Triggerwarnung: Suizid, Selbstverletzung, Brand, Rassismus; *Namen wurden geändert
Glückstadt – eine kleine Stadt, auf der rechten Seite der Elbe. Bekannt für ihre Elbfähre und die Matjesproduktion. Sie hat eigentlich nichts Aufregendes oder Spektakuläres an sich. Doch seit 2021 gibt es dort die Abschiebehafteinrichtung (AHE), die für die Länder Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein zuständig ist. Bereits 2022 hat DER ALBRECHT in einem Gastartikel von der Refugee Law Clinic Kiel e.V. auf das Problem der Abschiebehaft aufmerksam gemacht. Der Artikel „Mehr als ‚Wohnen minus Freiheit‘“ bezieht sich auf die Landesinnenministerin Sabine Sütterlin-Waack, welche die AHE mit den Worten „Wohnen minus Freiheit“ schöner darstellen wollte, als sie ist.
Was ist Abschiebehaft?
Jemand wird zu Abschiebehaft verurteilt, wenn die Person ausreisepflichtig ist und/oder der Verdacht besteht, dass sie sich der Ausreise verweigern oder entziehen könnte. Dieser Verdacht allein reicht für die Inhaftierung. Die Abschiebehaft unterscheidet sich vom gängigen Strafvollzug in mehreren Punkten. Den Inhaftierten steht kein Pflichtrechtsbeistand zu, der für die Wahrung ihrer Rechte in Haft sorgt. Die einzigen Personen, die sie regelmäßig sehen und für einige wie ein Hoffnungsschimmer sein können, sind die Besucher*innen der Inhaftierten.
Die Abschiebehafteinrichtung im Jahr 2024
Warum gibt es nun einen weiteren Artikel von uns dazu? Die Seebrücke Kiel hat in einem offenen Brief auf den Zustand der Abschiebehafteinrichtung aufmerksam gemacht. Dort bemängelt die Seebrücke unter anderem:
„Die medizinische und psychologische Versorgung der inhaftierten Menschen ist schlichtweg unzureichend. Vor Ort sind lediglich Allgemeinmediziner*innen und eine Psychologin der Notarztbörse, – die in Notfällen hinzugezogen wird, aber nicht für die Unterstützung des allgemeinen psychischen Wohlergehens der Inhaftierten zuständig ist. Dabei ist auffällig, dass Menschen trotz psychischer Auffälligkeiten für die Durchführung der Abschiebung gesundgeschrieben werden – so auch M., der trotz seines Suizidversuches am 5. Januar bereits am 8. Januar einem Abschiebeversuch ausgesetzt wurde.“
Seebrücke Kiel
Zu den Suizidversuchen kommen Personalmangel, Verweigerung des Besuchsrechts und Brände. Nichts davon wurde von der Abschiebehafteinrichtung selbst veröffentlicht, noch von dem Land Schleswig-Holstein öffentlich thematisiert.
Wohnen minus Freiheit
Die AHE besteht aus ehemaligen Marinekasernen, in denen Menschen, die abgeschoben werden sollen, untergebracht werden können. Insgesamt sei Platz für 60 Menschen, 20 je Bundesland, gleichzeitig. Sie diente vor dem Umbau schon als Ort für die Erstaufnahme von geflüchteten Menschen. Mittlerweile ist in unmittelbarer Nähe eine neue Landesunterkunft für Geflüchtete entstanden. „Wohnen minus Freiheit“, – eine perfide Beschreibung für einen Ort, der mit einer sechs Meter hohen Betonmauer und NATO-Draht umbaut ist. Auch sonst ähnelt die Anstalt mehr einem Gefängnis als einer eingeschränkten Wohnsituation.
Bei einer Führung konnten interessierte Menschen sich die Haftanstalt auch von innen anschauen, bevor sie eröffnet wurde. Mit dabei war auch Lennart* von der Besuchsgruppe für Menschen in Abschiebehaft. Lennart beschreibt die Haftanstalt wie ein Gefängnis. Ein betonierter Innenhof, überall Kameras, starke Sicherheitsvorkehrungen und schlichte Einrichtungen. Die Anstalt gehöre mit rund 170 Kameras zu einer der am besten ausgestatteten Justizvollzugsanstalten Schleswig-Holsteins, so der Einrichtungsleiter Stefan Jasper selbst.
Unterversorgung, Desinteresse und ihre Folgen
Wie die Seebrücke in ihrem offenen Brief schreibt, hat es in Glückstadt Ereignisse gegeben, die seit Anfang dieses Jahres vermehrt größere mediale Aufmerksamkeit bekommen haben. Sie zeugen von der Unterversorgung der Inhaftierten. Grund dafür waren zwei Brände in einzelnen Zellen Anfang des Jahres.
Der erste Brand passierte am 4. Januar. Ein Inhaftierter hat alles Brennbare in seiner Zelle angezündet, sich selbst mit einer Metallstange verletzt und wurde bewusstlos aufgefunden. Die Psychiaterin aus dem Krankenhaus in Itzehoe, in das er gebracht wurde, spricht von einer Anpassungsstörung und einem Suizidversuch. Wäre dies normalerweise ein Grund dafür gewesen, ihn nicht abzuschieben und ihn psychologisch zu betreuen, beschloss die Leitung der Haftanstalt das Gegenteil zu tun. Öffentlich sprach der Einrichtungsleiter Stefan Jasper davon, dass es kein Suizidversuch gewesen wäre.
„Niemand von uns kann in einen Menschen hineinschauen“, so äußerte sich der CDU-Innenstaatssekretär Carstens dazu. Der Inhaftierte wurde daraufhin in einen sogenannten BGH – besonders gesicherten Haftraum – verlegt. Eine Zelle, die neben einer Matratze ein Loch im Boden hat, welches als Klo dient. Kein Tageslicht, keine Möbel. „Es ist ein extrem schrecklicher Zustand. Eine Person, die suizidal ist, mit sich allein zu lassen und sich ihren eigenen Gedanken und der eigenen Hoffnungslosigkeit auszusetzen“, so Janina* von der Kampagne Keine Abschiebegefängnisse in Glückstadt und anderswo.
Stefan Jasper ist seit dem 1. September 2023 neuer Leiter der Abschiebehafteinrichtung. Er spricht von „Insassen“ und „gesicherten Außenflächen“, wenn er über die Einrichtung erzählt. Der Diplomrechtspfleger und -pädagoge versucht der eigenen Angabe nach, den Insassen zwischen Draht und Stahltüren eine möglichst angenehme Wohnatmosphäre zu schaffen. Es gibt zwar eine Küche, aber sie sei so sporadisch bestückt, dass sich gerade mal einen Kaffee gekocht werden könne. Neben dieser Verherrlichung der Situation, in der die vielen Insassen stecken, kam es aber auch zu rassistischen Aussagen. Der SHZ sagte er: „Besonders schwierig zu händeln sind für uns die Algerier, wegen der Sprache und wegen ihres aggressiven Verhaltens“.
„Es wird oftmals versucht, negative Presse zu vermeiden“, so Janina von der Besuchsgruppe. Viele Informationen kommen von den Inhaftierten selbst, die von Menschen aus der Besuchsgruppe besucht werden. Das liegt auch daran, dass es keine offiziellen Statistiken zu der Abschiebeeinrichtung gibt. Sie seien bei Eröffnung vom Land SH versprochen worden, aber bis heute gibt es keine öffentlich zugänglichen Nachweise dafür. Neben diesen Gesprächen sind die Anfragen der Abgeordneten im Landtag eine verlässliche Quelle. Positiv hervorzuheben sei, dass Lars Harms vom SSW immer wieder Anfragen zu Glückstadt stelle.
Zu Besuch bei denen, für die sich kaum mehr jemand interessiert
Auch schon in den Jahren zuvor sei es zu ähnlichen Vorfällen gekommen. Über die Lage innerhalb der AHE kommt auch nicht viel an die Öffentlichkeit. Um jemanden in der AHE zu besuchen, muss erstmal Kontakt zu den Menschen innerhalb aufgebaut werden. Das passierte in der Vergangenheit durch mehrsprachige Aushänge in der Anstalt selbst. Über die angegebenen Telefonnummern konnten sich Menschen bei der Besuchsgruppe melden. Um die Inhaftierten besuchen zu dürfen, muss die Besuchsgruppe den ganzen Namen des Menschen kennen. Bis Ende letzten Jahres hat die Sozialberatung die Aushänge drinnen aufgehangen. Da es die Sozialberatung momentan nicht mehr gibt, ist auch nicht mehr bekannt, ob die Aushänge noch hängen oder von den Angestellten abgenommen wurden.
Lennart* vergleicht das Hineinkommen in den Besuchsraum aufgrund der Scanner und der Vorgehensweise mit einem Sicherheitscheck am Flughafen. Was mit reingenommen werden darf, sei dann auch abhängig von den Angestellten, so Lennart*. Der Besuchsraum sei trostlos, komplett überwacht und Gespräche können nicht im Privaten stattfinden. Da einige Inhaftierte auch eine Familie in Deutschland haben, die nicht abgeschoben wird, gäbe es eine Spielecke mit einem Ausmalbild von einem lachenden Delfin.
Mauern überwinden
In den Gesprächen mit den meist älteren, männlichen Inhaftierten sei es auch schon ohne das drumherum des Besuchsraums schwierig, an Informationen zu kommen. Offen über Gefühle mit weiblich gelesenen Menschen zu sprechen, sei für einige Inhaftierte schwer. Aber die Menschen aus der Besuchsgruppe sind auch nicht nur da, um über Glückstadt zu reden. Sie spielen mit den Menschen Karten oder leisten ihnen Gesellschaft. In einem trostlosen Ort wie der Anstalt, in ständiger Ungewissheit über den Zeitpunkt der eigenen Abschiebung und vielen psychischen Belastungen ausgesetzt, hilft es den Inhaftierten zu sehen, dass sich andere Menschen für sie interessieren.
Die Anreise ist dabei nicht unerheblich. Die Haftanstalt liegt knappe 30 Minuten vom Glückstädter Bahnhof entfernt. Dazu liegt Glückstadt auch nicht besonders in der Nähe von anderen Großstädten. Für Menschen, die dort jemanden besuchen möchten, bedeutet das meist sehr lange Anreisen. Besonders, weil in Glückstadt auch Menschen aus Mecklenburg-Vorpommern inhaftiert werden können. Mittlerweile gibt es alle zwei Wochen auch einen festen Besuchstermin. Vorher ist es schon vorgekommen, dass Besucher*innen mit langer Anreise wegen des Personalmangels nicht hineindurften.
Gegen Unwissen und Vergessen
Die Kritik an der AHE gibt es schon länger. Genauso wie es, auch schon vor Glückstadt, bis 2014 eine Abschiebeeinrichtung in Rendsburg gab. In den anderen beiden Bundesländern Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern gab es ebenfalls vorher AHEs. Proteste dagegen von innen sowie außen sind nichts Neues. Und trotzdem scheinen viele Menschen nicht zu wissen, worum es sich bei der AHE handelt. In Gesprächen mit Menschen auf Informationsveranstaltungen und Demos zeigte sich, dass einige nicht einmal genau wussten, warum jemand in Abschiebehaft kommen kann. „Viele denken, dass dort Menschen eingesperrt sind, die eine Straftat begangen haben“, meint Janina* dazu.
Die Zeit und Arbeit, die Menschen wie Janina* und Lennart* investieren bleibt nicht unbemerkt, denn Rückmeldungen gibt es auch von den Inhaftierten selbst. Ihnen gibt es Kraft, dass dort draußen Menschen sind, die sich für sie einsetzen. Lennart* findet dafür ein paar schöne Abschlussworte: „Das Thema muss weiter hochgehalten werden und die Menschen, die dort weggesperrt wurden, nicht vergessen werden. Wo auch gezielt versucht wird, den Kontakt nach draußen kleinzuhalten, damit diese Zustände nicht nach draußen kommen. Und da braucht es eine wache Zivilgesellschaft, die da ein Auge drauf wirft, es nicht vergisst und laut bleibt!“
Von der Kampagne Kein Abschiebegefängnis in Glückstadt und anderswo! gibt es auch eine Broschüre, die sich tiefer mit der Thematik auseinandersetzt. Link zur Broschüre
Joschka studiert seit dem Wintersemester 20/21 Soziologie und Politikwissenschaft und ist seit Ende 2022 Teil des Albrechtsteams. Dazu leitet er seit dem März 2023 das Layoutteam und ist seit Februar 2024 stellvertretende Chefredaktion.
Svea studiert Geschichte und Politikwissenschaft im Profil Fachergänzung. Sie ist seit November 2023 Teil des Albrechts und seit Januar 2024 übernimmt sie die Leitung für den Gesellschaftsteil. Neben Texten über aktuelle Politik, schreibt sie auch sehr gerne über historische Themen.