Ein dreiteiliger Ballettabend voller Magie und Bewegung
Mit »Balanchine – Lee – Ivanenko« präsentiert die Ballettkompanie des Theater Kiel einen außergewöhnlichen Abend im Kieler Opernhaus. Trotz einer Streik-Woche der Mitarbeiter*innen des öffentlichen Diensts hinter den Kulissen gelingt es den Tänzer*innen, mit einer Mischung aus klassischem Ballett, abstrakten Experimenten und humorvollen Momenten das Publikum zu begeistern. Vom virtuosen »Allegro Brillante« über die düstere, elektronische Choreografie »Gatefall« bis hin zu einem magischen, humorvollen Abschluss – dieser Abend ist ein wahres Feuerwerk der Tanzkunst.
Zum Auftakt des neuen Ballett-Programms inszenierte Paul Boos mit den Tänzer*innen das »Allegro Brillante« von George Balanchine. 1904 in Sankt Petersburg geboren, brachte Balanchine die Tradition des klassischen russischen Balletts in die USA und gründete 1948 das heute weltberühmte New York City Ballet. Während seiner Karriere als Choreograf schuf er über 400 Werke, die heute vom George Balanchine Trust verwaltet und lizensiert werden. Möchte eine Ballettkompanie eine Balanchine-Choreografie aufführen, muss sie sich darum bewerben und durch Videoeinsendungen beweisen, dass sie ein ausreichendes künstlerisches Niveau besitzt. Diese Hürde nahm das Ballett Kiel und entschied sich letztendlich mit Hilfe der Kieler Ballettmeisterin Heather Jurgensen, die selbst für das New York City Ballett tanzte, für das »Allegro Brillante«.
Im »Allegro Brillante« präsentiert das Ballett Kiel ein Zusammenspiel aus Präzision und Eleganz. Zur mitreißenden Musik von Tschaikowskys Klavierkonzert Nr. 3 entfaltet sich ein atemberaubendes Spiel aus Geschwindigkeit, Virtuosität und technischer Raffinesse. Balanchine soll über das Stück gesagt haben: »Es enthält in 13 Minuten alles, was ich über klassisches Ballett weiß.« Ohne erzählerische Handlung verdichtet Balanchine die Essenz des klassischen Balletts in einem reinen Tanzstück für ein Solopaar (Keito Yamamoto und Adonis Corveas Martinez) und vier begleitende Paare. Die Choreografie besticht durch ihren fließenden, musikalisch exakt abgestimmten Bewegungsfluss und demonstriert eindrucksvoll die balletttypische Verbindung von Anmut und Athletik. Die Musik kommt in dieser Produktion vom Band, doch das tut dem anmutigen Spektakel auf der Bühne keinen Abbruch.
Licht, Klang und Bewegung: Die abstrakte Welt von »Gatefall«
Im zweiten Teil des Abends wird es düster und experimentell. Die in künstlichen Nebel gehüllte Bühne durchsticht das gleißende Licht mehrerer Reihen kaltweißer Leuchtstoffröhren. An Seilen unter der Decke der Bühne aufgehängt, sind sie in ihrer Höhe beweglich und teilen die Bühnenfläche über Douglas Lees Choreografie »Gatefall« hinweg immer wieder unterschiedlich ein. Die Musik von Nicolas Sávva vereint klassische und elektronische Klänge. Der Australier erforscht in seinen Arbeiten die Schnittstellen von Musik, Bewegung und Sounddesign.

Die Sounds von elektronisch verzerrten Klavieren verarbeitet Douglas Lee unmittelbar in Bewegungen der Tänzer*innen. Diese sind in »Gatefall« ans klassische Ballett angelehnt – klar zu sehen, wenn Lee die Tänzerinnen auf Spitze tanzen lässt – doch auch völlig losgelöst davon. Die Choreografie erzählt keine zusammenhängende Geschichte, die Mitglieder des Ensembles haben nacheinander zu kurzen musikalischen Sequenzen alle ihren eigenen Auftritt.
Angelo Alberto, in dieser Produktion für die Kostüme aller drei Choreografien zuständig, hüllt die Tänzer*innen in »Gatefall« in hautenge schwarze und durchsichtige Anzüge, die sie je nach Lichteinstellung vor dem schwarzen Hintergrund verschwinden lassen. Farben werden in diesem Stück nur durch die Beleuchtung erzeugt, was das Abstrakte abermals hervorhebt.
Humorvoller Höhepunkt
Für den amüsant-lustigen Abschluss des Programms »Skoki Skoki« von Ballettdirektor Yaroslav Ivanenko greift Bühnenbildnerin Eva Adler im wahrsten Sinne des Wortes tief in die Trickkiste. Eine große dunkle Holzkiste mit einer verspiegelten Scheibe hilft dabei, Tänzer Christopher Carduck durch geschickte Beleuchtung innerhalb oder außerhalb der Kiste wie von Zauberhand erscheinen zu lassen – ganz wie in einem Barbiekarton. Zu Country-, Jazz und Swing-Musik des 20. Jahrhunderts bringt das Ensemble eine wahre Show-Revue auf die Bühne, die an die goldene Zeit des Samstagabendprogramms erinnert.

Man merkt, dass Ivanenko das Haus und ›seine‹ Tänzer*innen kennt und diese Choreografie genau für diese geschaffen hat. Farbenfrohe Kostüme und Songs voller positiver Energie vermittelte die heitere Stimmung, die aus dem »Sommernachtstraum« – der ersten Premiere der Spielzeit – noch nachzuhallen scheint. Da passt es ins Bild, dass die Rückseite der Zauberkiste noch die Möglichkeit bietet, einen Mini-Tänzer mit erstaunlicher Sprungkraft zum Leben zu erwecken.
Mit »Balanchine – Lee – Ivanenko« bietet das Theater Kiel einen abwechslungsreichen Ballettabend, der die Vielseitigkeit und Kreativität der Tanzkunst in all ihren Facetten zeigt. Vom klassischen Glanz über experimentelle Klangwelten bis hin zu humorvollen Zaubereffekten – dieser Abend ist ein faszinierendes Erlebnis für alle Sinne. Das Ensemble stellt erneut unter Beweis, wie lebendig und vielseitig die Welt des Balletts sein kann.
Tickets sind für Termine von April bis Juli online und an der Theaterkasse erhältlich. Studis gehen für acht Euro oder bei Buchung erst drei Tage vor der Veranstaltung mit dem im Semesterbeitrag enthaltenen Kulturticket sogar kostenlos ins Theater!
Finn ist seit Februar 2024 Chefredakteur des ALBRECHTs. Zuvor hat er ein Jahr lang das Kulturressort geleitet. Für unser Blatt sitzt er häufig in der Oper, im Theater oder im Konzertsaal. Er studiert Englisch und Geographie auf Lehramt und ist seit dem WiSe 22/23 Teil der Redaktion.