Nach der Reform ist vor der Reform
Wer sich derzeit mit Psychologiestudierenden unterhält, könnte schnell in Verwirrung geraten, wenn die Rede vom »alten« oder »neuen« Recht ist. Auch ein Blick auf die Website der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel bringt wenig Licht ins Dunkel. Hier zeigen sich nun neben Bachelor und Master in Psychologie auch der Masterstudiengang Psychologie mit Schwerpunkt Klinische Psychologie und Psychotherapie (KLIPP).
Was ist da los?
Der Studiengang (KLIPP) ist ein Novum – denn statt der bisherigen psychotherapeutischen Ausbildung im Anschluss an das Psychologie-Studium ist es nun möglich, direkt Psychotherapie zu studieren. Das ›Gesetz zur Reform der Psychotherapeutenausbildung‹ beschloss der Bundestag am 15. November 2019 als Reaktion auf die jahrelange Kritik an den Engpässen in der psychotherapeutischen Versorgung. »Moderne Ausbildung für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten« – so nannte das Bundesministerium für Gesundheit die Änderungen. Damit sollen die berufliche Qualifikation erleichtert und mehr Versorgungsfachkräfte gewonnen werden.
Klingt gut! Oder?
Zuvor konnten Studierende nach dem Master-Abschluss in Psychologie entscheiden, in welche Richtung sie beruflich gehen wollen. Nach diesem »alten Recht« war neben anderen Berufszweigen auch später noch eine psychotherapeutische Ausbildung an Lehrinstituten möglich. Das Problem – eine hohe Arbeitsbelastung bei noch höheren Kosten. Die Ausbildung in Verhaltenstherapie am Institut für Therapie- und Gesundheitsforschung (IFT-Nord) in Kiel kostete 2023 insgesamt – nach Modellrechnung – 26 670 Euro. Damit war der Zugang zur Approbation – und damit die Zulassung zur Abrechnung bei den Krankenkassen – längst nicht für alle eine Option. Trotz des anspruchsvollen Studiums. Dies gilt durch Übergangsregelungen weiterhin für alle, die ihr Studium vor dem 1. September 2020 begonnen haben. Die Mindestvergütung wurde dafür jedoch nun auf sage und schreibe 1 000 Euro pro Monat festgelegt. Zuvor gab es dafür keine verbindliche Regelung. Die Ausbildung muss jedoch bis zum 31. August 2032 absolviert werden. So will es das Gesetz. Diese Deadline wird zur Belastung für viele Studierende. »Ich kann einfach keinen sinnvollen Grund dafür sehen, warum uns nach so einem langen und aufwendigen Studium Zukunftsperspektiven verwehrt und Angst gemacht werden soll«, so beschreibt es ein*e Student*in im Master. Wer noch promovieren will, Berufserfahrungen sammeln, reisen, eine Familie gründen möchte oder gar krank wird – allerspätestens 2029 muss die Ausbildung begonnen werden, um sie in der schnellstmöglichen Zeit von drei Jahren in Vollzeit zu schaffen. Frust und Sorgen um die berufliche Zukunft werden auf den Fluren der Uni laut. »Vor allem würde ich gerne wissen, ob wir nach 2032 dann auf Lebenszeit keine Chance mehr haben, uns approbieren zu lassen.«
Was hat sich nun geändert?
Wer nach »neuem Recht« studiert, muss sich schon früh festlegen, denn für eine Zulassung im KLIPP müssen spezifische Wahlpflicht-Module belegt werden. Dies könnte nach Ansicht des Dozenten für Methodenlehre Dipl.-Psych. Dirk Bosy die Ausbildung in den Grundlagen- und Anwendungsfächern einschränken, wenn Studierende sich im Bachelor bereits inhaltlich spezialisieren müssen. Daneben bemerkt auch er einen steigenden Notendruck. Die Plätze im Master sind begrenzt – für 125 Bachelor-Studierende gibt es 40 KLIPP-Master-Plätze bei einem NC von 1,5 (Stand vom Juli 2024). Alternativ ist ein Aufbaustudium in der allgemeinen Psychologie oder – an anderen Universitäten – in weiteren Fachbereichen möglich. Wer dann allerdings in ein paar Jahren doch Interesse für die klinische Arbeit entwickelt, hat Pech gehabt. Ein Weg zurück ist ausgeschlossen. Das Studium der KLIPP endet dafür jedoch mit dem heiligen Gral – der Approbation. Mit erfolgreichem Abschluss der psychotherapeutischen Prüfung wird das Gelernte im Anschluss in einer mehrjährigen Weiterbildung zu Fachpsychotherapeut*innen vertieft und spezifiziert. Und das – laut der Reform – für ein faires Gehalt. Dieses Konzept erscheint durchaus vielversprechend. »Ich habe wirklich das Gefühl, endlich praktischere und klinisch relevantere Dinge zu lernen, und auch die vielen Rollenspiele in den unterschiedlichen Seminaren finde ich wirklich gut«, so erzählt es eine Studentin. Die Lehre bietet nun viel Raum für Selbsterfahrung und neben der Theorie auch Anwendung des Gelernten, um therapeutische Kompetenzen auszubilden. Zusätzlich gibt es geregelte berufsqualifizierende Praktika. Bei der Einrichtung des neuen Master-Konzepts habe sich die Klinische Arbeitseinheit unter Leitung von Prof. Dr. Anya Pedersen sehr für die Studierenden eingesetzt, wie die Fachschaft der Psychologie betont.
Ist jetzt alles besser?
Am 16. Oktober 2024 demonstrierten Studierende, Therapeut*innen und Solidarisierende wiederholt unter dem Motto Weiterbildung finanzieren jetzt! vor dem Deutschen Bundestag und forderten den amtierenden Gesundheitsminister Karl Lauterbach zum Handeln auf. Laut der Bundespsychotherapeutenkammer, der Deutschen Gesellschaft für Psychologie sowie dem Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen droht ein Versorgungsmangel – nicht, weil es zu wenig Absolvent*innen gibt, sondern weil es durch Finanzierungslücken an den versprochenen Weiterbildungsplätzen mangelt. Zwar ist die »angemessen bezahlte« Ausbildung auf dem Papier festgelegt – doch in der Praxis wird sich um die Kosten gestritten. Die Probleme, die das gesamte Gesundheitssystem seit Jahren belasten, machen auch vor der Reform nicht halt. Und hier wartet ein weiterer Knackpunkt – Konkurrenz um die bisher üblichen Ausbildungsinstitute. Denn wenn die Weiterbildungsplätze fehlen, bleibt nur noch Warten und Hoffen – oder der »alte Weg« mit hohen Kosten und Ablaufdatum. Eine Studentin im Bachelor überlegt nun im dritten Semester, etwas anderes zu studieren: »Sich diesen ganzen Druck zu machen, überhaupt durchs Studium zu kommen, dann am besten 1,0 schreiben zu müssen, damit man wirklich Chancen hat, um am Ende ohne wirkliche Ausbildungschancen dazustehen, fühlt sich alles so aussichtslos und entmutigend an.«
Der Druck steigt – Wer versorgt hier wen?
Es scheint deutlich, dass die Verbesserungen, die durch die Reform erreicht werden sollten, in der Praxis bisher wenig sichtbar sind – obwohl das Konzept eine echte Chance ist, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, mehr Menschen den Zugang für eine qualifizierte Ausbildung zu ermöglichen und bereits im Studium therapeutische Kompetenzen zu vermitteln. Laut der Kassenärztlichen Bundesvereinigung soll es bald ein Finanzierungsmodell geben. Ob, wann und in welcher Qualität das erfolgt, scheint aktuell aber unklar. Ohne eine gesicherte Finanzierung und ausreichende Kassensitze ist der derzeitige Versorgungsmangel ein echtes Problem. Der seit Jahren drängenden Not der Betroffenen auf Wartelisten für eine Psychotherapie wird damit immer noch wenig entgegengesetzt. Der Bedarf für Behandlungen in der Bevölkerung steigt seit Jahren. Und um den Kreis zu schließen, werden auch die psychischen Belastungen unter Studierenden nicht weniger. Ob die Wartelisten für Behandlungs- und Ausbildungsplätze bald Hand in Hand gehen, bleibt abzuwarten.
Clara ist seit dem WiSe 2024 beim ALBRECHT dabei und studiert Psychologie im Master. Neben allen Themen rund um die Psyche interessiert sie sich für Lyrik und Feminismus.