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Leni Riefenstahl: Jede Facette eine Farce

Ein Dokumentarfilm von Andreas Veiel wirft einen neuen Blick auf das Leben und Werk einer der umstrittensten Persönlichkeiten der deutschen Filmgeschichte. Für Riefenstahl wurde über mehrere Jahre der umfangreiche Nachlass der berüchtigten NS-Propagandaregisseurin ausgewertet. Sandra Maischberger fungiert als Produzentin, die selbst noch die Gelegenheit hatte, Leni Riefenstahl im Alter von 100 Jahren zu interviewen. Seine Premiere feierte der Film in Venedig, an dem Ort, wo Riefenstahl selbst zur Zeit des italienischen Faschismus mehrfach ausgezeichnet wurde. 

Die Doku beleuchtet episodisch einzelne Abschnitte ihres Lebens. Oft werden lange Sequenzen gezeigt, die entweder aus ihren eigenen Filmen oder aus aufgenommenen Interviews stammen. So wird Riefenstahls Geschichte in nicht immer chronologischer Reihenfolge von ihrer Kindheit bis zu ihrem Ende nachgezeichnet. 

Eine Besonderheit dabei ist der Schnitt, der 18 Monate in Anspruch nahm. Viele von Riefenstahls nach dem Krieg geäußerten Behauptungen, die ein relativierendes Bild der Zeit des Nationalsozialismus und ihrer Rolle darin zeichnen sollen, werden gekonnt konterkariert durch Szenen, die das Gegenteil zeigen und so ihre Täuschungsversuche und Lügen entlarven. Ihre Widersprüche werden durch dieses Vorgehen virtuos offenbart. 

Vom Bergfilm zum Reichsparteitag 

Ihr Aufstieg beginnt in der Weimarer Republik als Hauptdarstellerin in den technisch revolutionären Bergfilmen Arnold Fancks. Bei eisiger Kälte und Schnee wird vor originaler Kulisse in den Alpen gedreht. Einmal fällt Riefenstahl in eine Schlucht und muss für längere Zeit dort ausharren. Ihr Wille, für die besten Aufnahmen bis zum Äußersten zu gehen, wird dadurch nicht beeinträchtigt. Einer der Bergfilme, Die weiße Hölle vom Piz Palü, wird von Tarantino in Inglourious Basterds aufgegriffen. 

Hitler und Goebbels werden auf Riefenstahl aufmerksam und künftig wird sie die nationalsozialistischen Massenveranstaltungen filmen. Später bestreitet sie, dass sie ein enges Verhältnis zu den Größen des Nationalsozialismus gehabt hat. Ihr Nachlass, der für den Dokumentarfilm erstmals ausgewertet wurde, demaskiert ihre Lüge. Bei den Filmfestspielen in Venedig bekam sie im Auftrag von Hitler einen großen Blumenstrauß und bedankte sich dafür bei ihm in einem sehr persönlichen Brief. 

Riefenstahl leugnete später ein enges Verhältnis zu Adolf Hitler gehabt zu haben. Foto: Majestic Filmverleih / Bayerische Staatsbibliothek/Bildarchiv

Den Höhepunkt ihres Schaffens erreicht sie nach eigener Aussage in den Dreißigerjahren. In Triumph des Willens inszeniert sie den sechsten Reichsparteitag der NSDAP in Nürnberg. In Veiels Dokumentarfilm wird gezeigt, wie sie noch Jahre nach dem Krieg genau die Kamerafahrten des Films kommentieren kann und stolz auf die Motive hinter den verschiedenen Einstellungen rekurriert. Eine kritische Distanz zu ihrem eigenen Schaffen hat sie nie entwickelt; eher hat sie den Ruhm und das Ansehen genossen, den sie von vielen Deutschen nach 1945 noch immer bekommen hat. Auch in Hollywood bekommen ihre Filme große Anerkennung, so ist beispielsweise der Star Wars-Schöpfer George Lucas beeindruckt von der Ästhetik der Propagandafilme und kopiert manche Einstellung eins zu eins. 

Riefenstahl selbst erklärt nach dem Krieg, dass sie von Politik keine Ahnung habe. Ihre Leidenschaft gelte der Kunst, denn diese bedeute, in Dinge einzudringen. Die Kunst ist für sie der Gegensatz zur Politik. Angesprochen auf die Gräueltaten der Nationalsozialisten erwidert sie, dass damals alle von Hitler begeistert waren. Für ihre tragende Rolle, die sie in der nationalsozialistischen Propagandamaschinerie gespielt hat, hat sie zu keinem Zeitpunkt wirkliche Reue gezeigt. 

Indoktrination der Massen 

Für die Aufnahmen der Olympischen Spiele 1936 – ein Ereignis wie gemacht für die modernen Massen – bekommt Riefenstahl vom Propagandaministerium ein unfassbar hohes Budget. In der Doku werden lange Ausschnitte aus ihrem Film Olympia gezeigt. Die Ästhetik der Aufnahmen ist immer noch beeindruckend, die Verbindung von griechischer Mythologie mit nationalsozialistischer Ideologie wird zelebriert. 

Riefenstahl (r.) bei den Dreharbeiten zu »Olympia«. Neben ihr Goebbels (l.) und Göring (m.). Foto: Majestic Filmverleih / aus dem Nachlass

Der jüdische Philosoph Walter Benjamin, eines der unzähligen Opfer des Nationalsozialismus, hat bereits 1935 in seinem Kunstwerk-Aufsatz den durch die Propaganda vorbereiteten Krieg vorhergesehen. »Alle Bemühungen um die Ästhetisierung der Politik konvergieren in einem Punkt. Dieser Punkt ist der Krieg.« Riefenstahl wird zum Kriegsausbruch in Polen an die Front geschickt, um Bilder des Vormarsches der deutschen Truppen aufzunehmen. Konfrontiert mit den Schrecken des Krieges hält sie es dort nur wenige Monate aus. 

Schuldig und keine Strafe 

Ihr nächstes Werk wird die Verfilmung einer von Hitlers Lieblingsopern sein. Die Handlung von Tiefland spielt in den Pyrenäen und für den Film wurden stereotypisch aussehende Sinti*zze und Rom*nja, viele davon waren Kinder aus einem KZ, als Kompars*innen zwangsrekrutiert. Eine Vorstellung, die einen erschaudern lässt. Die meisten werden später in Auschwitz sterben. Als Reaktion auf die Vorwürfe behauptete Riefenstahl, sie habe alle, die in Tiefland mitgewirkt haben, nach Kriegsende wiedergesehen. »Keinem einzigen ist etwas passiert.« Eine Aussage, die sie nach einer gerichtlichen Unterlassungserklärung nicht wiederholen durfte. 

Aufgegriffen wird der Vorgang um die Kompars*innen aus dem KZ in Daniel Kehlmanns zuletzt erschienenem Roman Lichtspiel, in dem Riefenstahl als eiskalt und erfolgsbesessen charakterisiert wird. Trotz ihrer massiven Verstrickungen in den Nationalsozialismus wird sie als Mitläuferin eingestuft und entgeht dadurch einer Gefängnisstrafe. Als immer noch gefragte Person des öffentlichen Lebens genießt sie ein erfülltes Leben in der BRD. 

Ausschnitt aus einem Interview über ihren Film »Triumph des Willens«. Foto: Majestic Filmverleih / Ray Müller

Veiels Riefenstahl schafft es, Werk und Leben der Regisseurin auf beeindruckende Art und Weise einzufangen. Oft sprechen die Bilder für sich, seien es private Aufnahmen, die Riefenstahl gefangen in ihrer Selbstsüchtigkeit zeigen, Interviewausschnitte, in denen sie ihre Verbindung zu hochrangigen Nationalsozialisten leugnet, oder Szenen aus ihren Filmen, die einem deren Propagandawirkung verdeutlichen. Wie Benjamin zurecht bemerkte, geht die Krise der Demokratie der Weimarer Republik auch auf den Film zurück, denn dieser bedingt »eine Auslese vor der Apparatur, aus der der Champion, der Star und der Diktator als Sieger hervorgehen.« 

9 von 10 Kinokatzenpunkte 

Tore studiert Politikwissenschaft und Philosophie an der CAU. Er leitet seit Februar 2025 das Kulturressort. Schwerpunktmäßig setzt er sich mit Filmen, Literatur und politischen Themen auseinander.

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