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Zeitzeuge Ilja Zuckermann bewegt Kiel

Der Hörsaal im CAP 3 der CAU war bereits kurz nach Beginn der Veranstaltung am 8. November 2024 prall gefüllt. Trotzdem drängen immer mehr Menschen durch die Türen, um einen der letzten freien Sitzplätze zu ergattern. Dort, wo sich normalerweise nur das Rednerpult befindet, stehen an diesem Freitagnachmittag drei Stühle, zwei für die Dolmetscher und einer für Ilja Zuckermann, einer der wenigen Überlebenden der Blockade von Sankt Petersburg. Organisiert wurde die Veranstaltung von der erst 2021 gegründeten jüdischen Hochschulgruppe, die junge jüdische Menschen verschiedener Hochschulen aus Kiel verbindet.  

Die Wahl des Datums war bewusst getroffen. Da der 9. November in diesem Jahr auf einen Schabbat fiel – ein Ruhetag, an dem jüdische Menschen keine Arbeit verrichten dürfen – fand das Gedenken einen Tag früher statt. Neben der Erinnerung an die Opfer der Novemberpogrome 1938 wurde auch den jüdischen Soldat*innen und anderen Menschen gedacht, die während der Blockade von Leningrad ihr Leben verloren. 

Die Hochschulgruppe 

Die jüdische Hochschulgruppe in Kiel, die sich aus Studierenden aus unterschiedlichen Schichten, Regionen und Altersklassen zusammensetzt, hat es sich zur Aufgabe gemacht, die jüdische Kultur und Gemeinschaft zu stärken. Neben der Organisation von kulturellen und religiösen Veranstaltungen legt die Gruppe großen Wert auf den Austausch mit anderen jüdischen Gemeinden und die Repräsentation des Judentums nach außen. Die Gemeinschaft in Kiel ist klein, insbesondere unter jungen Menschen. Die Gruppe bietet einen Raum, um Kontakte zu knüpfen und sich mit Kultur und Glauben auseinanderzusetzen, erklärt Isabel Marie Pesin, eines der aktiven Mitglieder. 

Die Gruppe wurde 2021 von Ariel-Salomon Gutman gegründet. Der 22-jährige Zahnmedizinstudent aus Berlin erkannte den Bedarf an einer Plattform für junge jüdische Menschen in Kiel. Die Arbeit der Gruppe ist ehrenamtlich und von dem Wunsch geprägt, jüdisches Leben sichtbarer zu machen und Geschichte lebendig zu halten. 

Ein einzigartiger Zeitzeuge 

Ilja Zuckermann, geboren 1935 in Sankt Petersburg (damals Leningrad), überlebte die Blockade der Stadt durch deutsche und finnische Truppen während des Zweiten Weltkrieges. Als einer der wenigen jüdischen Zeitzeugen aus diesem Ort, die heute in Deutschland leben, teilte er seine Erinnerungen an diese Zeit, die ihn für sein gesamtes Leben geprägt haben.  
Ein besonderes Detail seiner Erzählung, welches den anwesenden Redakteurinnen in Erinnerung geblieben ist, war die Geschichte der Katzen von Leningrad. Sie wurden in die von Ratten geplagte Stadt gebracht, um diese zu vertreiben. Die Ratten fraßen die sowieso schon sehr knappen Nahrungsmittel und teilweise auch die toten Menschen, die in den Gräben lagen und für die es bei minus 30 Grad Celsius kein angemessenes Grab gab. Doch »die Katzen waren immer satt und fühlten sich sehr wohl in Leningrad«, sagte Zuckermann mit einem Schmunzeln – eine Anekdote, die für Erheiterung im Saal sorgte.  

Auch Isabel lobte die Atmosphäre des Abends. Schließlich war es beeindruckend, wie Ilja es schaffte, trotz der schweren Themen auch humorvolle und positive Momente einzubringen. Diese Balance machte das Event so besonders. 

Verschiedene Gäst*innen mit demselben Interesse 

Mit knapp 300 Teilnehmer*innen war der Hörsaal bis auf den letzten Platz gefüllt – auf den Stufen des Hörsaals durfte kein Platz genommen werden, aus Sicherheitsgründen. Neben Studierenden und Dozierenden der CAU nahmen auch eine Schulklasse und andere Gäst*innen aus der weiteren Umgebung teil. Die Resonanz war für die kleine Hochschulgruppe aus Kiel überwältigend. Auch an anderen deutschen Universitäten fanden anlässlich des Jahrestags ähnliche Gedenkveranstaltungen statt, wobei Kiel und Köln die größten Besucherzahlen verzeichneten. Isabel meint, es war für die Hochschulgruppe unglaublich schön zu sehen, dass so viele Menschen den Willen habent, sich mit solchen Themen auseinanderzusetzen. Die Veranstaltung in Kiel hatte nicht nur das Ziel, zu erinnern, sondern auch, eine Brücke in die Gegenwart und Zukunft zu schlagen. »Es ist eine Zeit, in der wir immer mehr Zeitzeugen verlieren«, sagte Isabel. »Umso wichtiger ist es, ihre Geschichten festzuhalten und weiterzugeben.« 

Die jüdische Hochschulgruppe plant, auch in Zukunft ähnliche Events zu organisieren, um jüdische Geschichte und Kultur sichtbar zu machen. Der Abend mit Ilja Zuckermann hat gezeigt, wie wichtig solche Begegnungen sind – nicht nur für die jüdische Gemeinschaft, sondern für die gesamte Gesellschaft. 

Ressortleitung Gesellschaft

Svea studiert Geschichte und Politikwissenschaft im Profil Fachergänzung. Sie ist seit November 2023 Teil des ALBRECHTs und seit Januar 2024 übernimmt sie die Leitung für den Gesellschaftsteil. Neben Texten über aktuelle Politik, schreibt sie auch sehr gerne über historische Themen.

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Zeitzeuge Ilja Zuckermann bewegt Kiel

Der Hörsaal im CAP 3 der CAU war bereits kurz nach Beginn der Veranstaltung am 8. November 2024 prall gefüllt. Trotzdem drängen immer mehr Menschen durch die Türen, um einen der letzten freien Sitzplätze zu ergattern. Dort, wo sich normalerweise nur das Rednerpult befindet, stehen an diesem Freitagnachmittag drei Stühle, zwei für die Dolmetscher und einer für Ilja Zuckermann, einer der wenigen Überlebenden der Blockade von Sankt Petersburg. Organisiert wurde die Veranstaltung von der erst 2021 gegründeten jüdischen Hochschulgruppe, die junge jüdische Menschen verschiedener Hochschulen aus Kiel verbindet.  

Die Wahl des Datums war bewusst getroffen. Da der 9. November in diesem Jahr auf einen Schabbat fiel – ein Ruhetag, an dem jüdische Menschen keine Arbeit verrichten dürfen – fand das Gedenken einen Tag früher statt. Neben der Erinnerung an die Opfer der Novemberpogrome 1938 wurde auch den jüdischen Soldat*innen und anderen Menschen gedacht, die während der Blockade von Leningrad ihr Leben verloren. 

Die Hochschulgruppe 

Die jüdische Hochschulgruppe in Kiel, die sich aus Studierenden aus unterschiedlichen Schichten, Regionen und Altersklassen zusammensetzt, hat es sich zur Aufgabe gemacht, die jüdische Kultur und Gemeinschaft zu stärken. Neben der Organisation von kulturellen und religiösen Veranstaltungen legt die Gruppe großen Wert auf den Austausch mit anderen jüdischen Gemeinden und die Repräsentation des Judentums nach außen. Die Gemeinschaft in Kiel ist klein, insbesondere unter jungen Menschen. Die Gruppe bietet einen Raum, um Kontakte zu knüpfen und sich mit Kultur und Glauben auseinanderzusetzen, erklärt Isabel Marie Pesin, eines der aktiven Mitglieder. 

Die Gruppe wurde 2021 von Ariel-Salomon Gutman gegründet. Der 22-jährige Zahnmedizinstudent aus Berlin erkannte den Bedarf an einer Plattform für junge jüdische Menschen in Kiel. Die Arbeit der Gruppe ist ehrenamtlich und von dem Wunsch geprägt, jüdisches Leben sichtbarer zu machen und Geschichte lebendig zu halten. 

Ein einzigartiger Zeitzeuge 

Ilja Zuckermann, geboren 1935 in Sankt Petersburg (damals Leningrad), überlebte die Blockade der Stadt durch deutsche und finnische Truppen während des Zweiten Weltkrieges. Als einer der wenigen jüdischen Zeitzeugen aus diesem Ort, die heute in Deutschland leben, teilte er seine Erinnerungen an diese Zeit, die ihn für sein gesamtes Leben geprägt haben.  
Ein besonderes Detail seiner Erzählung, welches den anwesenden Redakteurinnen in Erinnerung geblieben ist, war die Geschichte der Katzen von Leningrad. Sie wurden in die von Ratten geplagte Stadt gebracht, um diese zu vertreiben. Die Ratten fraßen die sowieso schon sehr knappen Nahrungsmittel und teilweise auch die toten Menschen, die in den Gräben lagen und für die es bei minus 30 Grad Celsius kein angemessenes Grab gab. Doch »die Katzen waren immer satt und fühlten sich sehr wohl in Leningrad«, sagte Zuckermann mit einem Schmunzeln – eine Anekdote, die für Erheiterung im Saal sorgte.  

Auch Isabel lobte die Atmosphäre des Abends. Schließlich war es beeindruckend, wie Ilja es schaffte, trotz der schweren Themen auch humorvolle und positive Momente einzubringen. Diese Balance machte das Event so besonders. 

Verschiedene Gäst*innen mit demselben Interesse 

Mit knapp 300 Teilnehmer*innen war der Hörsaal bis auf den letzten Platz gefüllt – auf den Stufen des Hörsaals durfte kein Platz genommen werden, aus Sicherheitsgründen. Neben Studierenden und Dozierenden der CAU nahmen auch eine Schulklasse und andere Gäst*innen aus der weiteren Umgebung teil. Die Resonanz war für die kleine Hochschulgruppe aus Kiel überwältigend. Auch an anderen deutschen Universitäten fanden anlässlich des Jahrestags ähnliche Gedenkveranstaltungen statt, wobei Kiel und Köln die größten Besucherzahlen verzeichneten. Isabel meint, es war für die Hochschulgruppe unglaublich schön zu sehen, dass so viele Menschen den Willen habent, sich mit solchen Themen auseinanderzusetzen. Die Veranstaltung in Kiel hatte nicht nur das Ziel, zu erinnern, sondern auch, eine Brücke in die Gegenwart und Zukunft zu schlagen. »Es ist eine Zeit, in der wir immer mehr Zeitzeugen verlieren«, sagte Isabel. »Umso wichtiger ist es, ihre Geschichten festzuhalten und weiterzugeben.« 

Die jüdische Hochschulgruppe plant, auch in Zukunft ähnliche Events zu organisieren, um jüdische Geschichte und Kultur sichtbar zu machen. Der Abend mit Ilja Zuckermann hat gezeigt, wie wichtig solche Begegnungen sind – nicht nur für die jüdische Gemeinschaft, sondern für die gesamte Gesellschaft. 

Ressortleitung Gesellschaft

Svea studiert Geschichte und Politikwissenschaft im Profil Fachergänzung. Sie ist seit November 2023 Teil des ALBRECHTs und seit Januar 2024 übernimmt sie die Leitung für den Gesellschaftsteil. Neben Texten über aktuelle Politik, schreibt sie auch sehr gerne über historische Themen.