Händels Meisteroper als düsteres Spektakel voller Intrigen, Liebe und musikalischer Brillanz
Auf einem surrealistischen Friedhof erzählt das Ensemble des Opernhauses Kiel samt eingeflogenen Gästen die nunmehr drei Jahrhunderte alte Barock-Oper Rodelinda. Schaurig hängen duzende stählerne Kreuze über einer eingerüsteten Statue. Verhüllt unter transparenten Bauplanen zeichnet sich eine halbfertige Pieta ab, also eine um den verstorbenen Jesus trauernde Maria.
Das Bühnenbild von Christophe Ouvrard ist an den ›Berg der Kreuze‹ angelehnt, einem religiösen Wallfahrtsort in Litauen. Der in Barcelona lebende Regisseur Carlos Wagner (in Kiel: »Iolanta«, »Mutter Courage«) wünschte sich die Statue in der Mitte der Bühne, welche die Sänger*innen mehr schlecht als recht als Thron der Toten – oder Totgeglaubten – benutzen. Auf der Bühne und mit dem Bühnenbild passiert so gut wie nichts. Kurze Rezitative und minutenlange Arien reihen sich barocktypisch aneinander, ungewohnt für ein Publikum, dass dieser Tage auf schnelle Plots und Szenenwechsel aus aktuellen Film- und Fernsehproduktion eingestellt ist. Lediglich etwa zehn Minuten des zweiten Aktes können die Zuschauer*innen einen Blick in die Gruft unter dem Friedhof wagen, wenn die Hubbühne eine zweite versteckte Ebene offenbart.
Intrigen, Liebe und Treue
Die Oper erzählt die Geschichte einer Frau, die sich inmitten politischer Machenschaften und persönlicher Verluste behauptet. Nach der gewaltsamen Thronübernahme durch den machthungrigen Herzog Grimoaldo muss König Bertarido ins Exil fliehen und wird für tot erklärt. Seine Frau Rodelinda und ihr gemeinsamer Sohn Flavio bleiben zurück. Doch während Grimoaldo seine Herrschaft festigen will – sogar durch eine erzwungene Heirat mit Rodelinda –, hält sie unbeirrt an ihrem Glauben an Bertaridos Rückkehr fest.
Die Oper zählt neben »Giulio Cesare« und »Tamerlano« zu Händels drei größten Meisterwerken, die er alle innerhalb nur eines Jahres komponierte. Uraufgeführt wurde »Rodelinda, regina dei Longobardi« am 13. Februar 1725 im Londoner King‘s Theatre at the Haymarket. 300 Jahre später bringt das Theater Kiel in dieser Spielzeit einen wahren Barock-Brocken auf die Bühne des Kieler Opernhauses.
Barocke Glanzleistungen
Herausragend agiert das gesamte Ensemble. Das in barocker Besetzung spielende philharmonische Orchester – verstärkt durch Cembalo, Theorbe und Laute – unter der Leitung des renommierten Barock-Spezialisten Alessandro Quarta verleiht der wunderschönen Musik Händels einen schmeichelnden Charakter. Der Römer Quarta hat vier der sechs Sänger*innen aus Italien mit in die Produktion gebracht. Die italienische Sopranistin Carlotta Colombo gibt ein fulminantes Debüt an der Kieler Oper. In ihren Arien vereint sie all den Schmerz, der um ihren Ehemann trauernden Rodelinda glockenklar und zart.
Die Altistin Margherita Maria Sala überzeugt fast scheu daherkommend in einer Hosenrolle als totgeglaubter Bertarido. Francesco Lucii (Tenor) gibt dem Despoten-Anwärter Grimoaldo einen fies-spöttischen Unterton. Bass Mauro Borgioni spielt die Rolle des herrschsüchtigen Intriganten Garibaldo samt Hemd-aufreiß-Arie vorzüglich. Clara Fréjacques als Eduige und Tatia Jibladze als Unulfo überzeugen als einzige Kieler Haus-Sängerinnen. Jibladze, in einer Hosenrolle auf der Bühne, befindet sich in einer gefährlichen Doppelrolle: Einerseits dient Unulfo offiziell dem Fiesling Grimoaldo, andererseits unterstützt er den Exil-König Bertarido im Geheimen. Leider führt das tiefe Bühnenbild zu teilweise zu leisen Gesangspassagen gegenüber dem Orchester.
Die herausragenden Stimmen, das exzellent musizierende Orchester und die beklemmende Atmosphäre machen diesen Opernabend mit kleinen Einschränkungen zu einem unvergesslichen Erlebnis – barock, bewegend und beeindruckend bis zum letzten Ton.
Tickets sind für den 13.02., 22.02., 01.03., 04.04. (je 19 Uhr) und weitere Termine bis Juli online und an der Theaterkasse erhältlich. Studis gehen für acht Euro oder bei Buchung erst drei Tage vor der Veranstaltung mit dem im Semesterbeitrag enthaltenen Kulturticket sogar kostenlos ins Theater!
Finn ist seit Februar 2024 Chefredakteur des ALBRECHTs. Zuvor hat er ein Jahr lang das Kulturressort geleitet. Für unser Blatt sitzt er häufig in der Oper, im Theater oder im Konzertsaal. Er studiert Englisch und Geographie auf Lehramt und ist seit dem WiSe 22/23 Teil der Redaktion.
Lena studiert Medienwissenschaft und Anglistik. Seit November 2020 ist sie Teil der Albrecht-Redaktion, wo sie über Theater, Kino, Oper, Literatur schreibt. Von Anfang 2024 bis Anfang 2025 hat sie ein Jahr lang das Kulturressort geleitet. Selten verirrt sie sich auch in Themen der Hochschule und Gesellschaft.