Leseratte: Cryptos, Windstärke17 und Marianengraben
Die kurze Weihnachtspause bietet endlich wieder Gelegenheit, sich auf nichtwissenschaftliche Literatur zu stürzen. Statt Fußnoten und Schachtelsätzen halten drei Bestsellerautorinnen aufwühlende, gefühlvolle und futuristische Erzählungen für euch bereit. Schnappt euch ein Buch, ein paar Kekse und macht es euch gemütlich. Oder fallt überstürzt in die Buchhandlung um die Ecke, um diese Must-Reads in hübsches Papier für eure Liebsten einzuschlagen.
Cryptos von Ursula Poznaski
Habt ihr schon einmal darüber nachgedacht, wie die Zukunft aussehen könnte? Etwa fliegende Autos, ein Leben unter Wasser oder auch eine Zukunft, in der die Realität kaum mehr existiert und das gesamte Leben lediglich virtuell stattfindet. Wobei ein 40-minütiger Realitätsstopp schon noch drin ist. Man will ja schließlich nicht den Bezug zum echten Leben verlieren. Wenn euch die letztere Vision interessiert, ist Cryptos wohl ein Buch für euch. Denn genau das wird bitterer Ernst in Ursula Poznanskis Roman. Die Klimakatastrophe hat volle Fahrt aufgenommen: Der eine Teil der Erde japst nach Wasser, während der andere Teil darin untergeht und nur noch ein paar unregelmäßige Wellen an die dort früher gelegenen Ortschaften gedenken. Ein Leben auf der Erde ist also unmöglich. Was aber tun mit den Milliarden von Menschen? Als Lösung wird ihr Leben in virtuelle Welten verlegt, in denen sie ihren Alltag erleben. Dabei gibt es ganz unterschiedliche Welten. Der ›neuen Realität‹ sind keine Grenzen gesetzt. Dafür werden die Menschen in Kapseln gelagert, die diese mit dem Nötigsten versorgen und sich in noch halbwegs sicheren Bunkern befinden. Die Protagonistin Jana ist Weltendesignerin. Das bedeutet, dass sie solche Welten erstellt und pflegt. Doch eines Tages wird jemand in einer ihrer Welten ermordet. Dies wäre an sich nicht schlimm, da ein Tod in einer virtuellen Welt zunächst kein tatsächliches Ende bedeutet. Stattdessen werden sie kurzfristig zurück in die Realität katapultiert, um anschließend in eine andere virtuelle Welt zu fliehen. Doch dieses Mal ist es anders. Der Ermordete stirbt auch in der Realität. Ein Zufall? Als Jana dem nachgeht, bemerkt sie schnell, dass es nicht bei einem Opfer bleiben wird, und es liegt an ihr, dies zu verhindern. Die Bestseller-Autorin Ursula Poznanski hat nach Erebos ein weiteres Mal einen packenden Roman veröffentlicht und lädt dazu ein, sich in die Welt von Cryptos zu begeben, wobei durchaus auch mehr als ein Realitätsstopp gewünscht ist, um den Weihnachtsteller aufzufuttern und einen Schluck vom Kakao zu schlürfen. • kn
Windstärke17 von Caroline Wahl
Mitleiden, mitlachen und mitreißen lassen in Caroline Wahls neuem Roman Windstärke17.
Nach ihrem erfolgreichen Debütroman 22 Bahnen gibt sie im Dezember bereits ihre zweite Lesung in Kiel anlässlich der Veröffentlichung der Fortsetzung. Verzaubert von ihren farbenfrohen Outfits und einer einzigartigen Vortragsweise, zieht sie dabei die Zuhörer*innen in ihren Bann. Die besondere Dialogform und die Betonung beim Lesen verleihen den Figuren eine unverwechselbare Stimme. In 22 Bahnen geht es um das Schicksal von Tilda und Ida, zwei Schwestern, die sich der alltäglichen Herausforderung stellen müssen, mit ihrer alkoholkranken Mutter zusammenzuleben. Windstärke 17 erzählt uns aus der Sicht von der jüngeren Schwester Ida, wie sie nach Tildas Auszug mit Trauer, Wut und Angst zu kämpfen hat. Durch eine Reihe impulsiver Entscheidungen gelangt sie auf die Insel Rügen und lernt dort Menschen kennen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, aber jeder auf seine Weise Ida hilft, mit dem Schmerz zurechtzukommen. Es tauchen immer wieder launenhafte Wetterlagen und das stürmische Meer auf, die sich in der aufbrausenden und emotionalen Art von Ida widerspiegeln. Aber der Roman zeigt auch seine behagliche, sanfte Seite, vor allem durch viele detailreiche Beschreibungen von gemeinschaftlichem Essen, gemütlichen Zimmern und großherzigen Menschen. Den Leser*innen wird ein besonderer Einblick in Idas Gefühlswelt gegeben; ihre ausformulierten Gedanken lassen uns teilhaben an den traumatischen Erfahrungen, Ängsten und Unsicherheiten. Dadurch ist Windstärke 17 sehr nah an den Emotionen und der Wirklichkeit geschrieben und kann so die Leser*innen tief in Idas Schmerz und Wut hineinfühlen lassen. So sehr Caroline Wahl von Verlust und Schmerz erzählt, genauso sehr lässt sie einen auch die Wärme spüren, die von der Liebe und Fürsorge der Menschen ausgeht, die Ida umgeben. Was würde also besser zur Weihnachtszeit passen als ein bisschen Wärme und Geborgenheit.
Außerdem gibt es spannende Neuigkeiten! Seit diesem Jahr wohnt Caroline Wahl in Kiel und schreibt bereits an einem neuen Roman. Mit ganz viel Glück lauft ihr ihr ja sogar auf dem Kieler Weihnachtsmarkt über den Weg. • ms
Marianengraben von Jasmin Schreiber
Mittlerweile ist die Biologin und einstige Kultur-Twittermaus Jasmin Schreiber Autorin von sieben veröffentlichten Werken. Ihren stillen Durchbruch auf den Bestsellerlisten 2020 machte sie allerdings nicht mit einem Sachbuch.
Eine Traurigkeit, die sich so tief und drückend anfühlt wie 11 000 Meter Wasser. Unentwegter Druck auf Körper und Geist. Mit dieser Stimmung beginnt der Debütroman von Jasmin Schreiber und wirkt damit für einige schrecklich unweihnachtlich. Dabei gibt es viele Menschen, die sich besonders in dieser festlichen Zeit mit der Protagonistin Paula identifizieren: Der Verlust ihres Bruders stürzt Schreibers Heldin in ein tiefes Loch. Ausgerechnet auf einem düsteren Friedhof reicht man ihr eine rettende Hand, die sie ein Stück aus dem Sumpf der depressiven Traurigkeit ziehen kann. Endlich gibt es jemanden, der ihre Sprache der Trauer spricht und sie auf sturköpfig-unwillige Art wieder mit Leichtigkeit vertraut macht. Dann wären da noch ein Huhn, ein Hund und viele schräge Momente, die Marianengraben einen Roadmovie-Charakter geben.
Dieser Blumenstrauß an großen Emotionen und tiefgründiger Trauerbewältigung hat es seit vergangenem November auch auf die Leinwand geschafft. In der Kategorie ›Breakthrough International‹ konnte sich Eileen Byrnes Verfilmung auf dem San Diego International Film Festival durchsetzen. Auch ein Kinobesuch bietet sich also als Weihnachtsgeschenk an. • lf
Katharina studiert Biologie an der CAU und ist seit dem Oktober 2024 beim ALBRECHT
Merle studiert Deutsch und Französisch im Profil Fachergänzung an der CAU. Sie ist seit Juni 2024 in der ALBRECHT-Redaktion und unterstützt das Lektoratsteam.
Lena studiert Medienwissenschaft und Anglistik und leitet seit Januar 2024 das Kultur-Ressort. Seit November 2020 ist sie Teil der Albrecht-Redaktion, wo sie über Theater, Kino, Oper, Literatur schreibt. Selten verirrt sie sich auch in Themen der Hochschule und Gesellschaft.