Ausblick auf die Oscars
Die nominierten Filme der diesjährigen Oscarverleihung können nicht besonders überzeugen, war das Niveau im letzten Jahr doch deutlich höher. Dennoch lohnt es sich, am Sonntag wach zu bleiben und die Nacht mit den Stars im »Dolby Theatre« in Hollywood zu verbringen. Denn auch dieses Mal gibt es wieder ein paar besondere Filme zu entdecken. Das dabei nicht alle Nominierungen auf Gegenliebe beim Publikum stoßen, zeigt »Emilia Pérez«. Hier präsentieren wir die wichtigsten Favoriten und erklären, warum manche Filme mehr Aufmerksamkeit verdient hätten.
»Konklave« zeigt die Machtspiele innerhalb des Vatikans

Nach der Verleihung der Britischen Filmpreise (Baftas) ist »Konklave« von dem deutschen Regisseur Edward Berger einer der großen Anwärter auf die Academy Awards. In London wurde der Film, in dem es um die Wahl eines neuen Papstes geht, in vier Kategorien – unter anderem als bester Film –ausgezeichnet. Bei den »SAG Awards« der amerikanischen Schauspielgilde, die eine Woche vor den Oscars stattfinden, bekam das Drama den Hauptpreis für das beste Schauspielensemble. Das ist nachvollziehbar, denn »Konklave« wird durch seine Darsteller getragen. Neben Ralph Fiennes, den die meisten noch als »Lord Voldemort« in Erinnerung haben werden, können auch Stanley Tucci, John Lithgow und Sergio Castellitto in ihren Rollen als machthungrige Kardinäle überzeugen. Die produzierten Bilder sind wunderschön, die Inszenierung des Ränkespiels meistert Berger vorbildhaft. Dennoch gelingt es, der erzählten Geschichte zu wenig, wirklich zu überraschen. Viele der Wendungen und Erzählstränge sind vorhersehbar und so ist »Konklave« zwar ein durchaus guter aber eben kein großer Film.

Warum ist »Emilia Pérez« für so viele Oscars nominiert?
Das Musical vom französischem Regisseur Jacques Audiard ist mit 13 Oscar-Nominierungen der meist-nominierte Film dieses Jahr, unter anderem für bester Film, beste Regie und beste Hauptdarstellerin. Die »Academy of Motion Pictures Arts and Sciences«, die die Oscars vergibt, hält also große Stücke auf den Film. Gleichzeitig geben die Zuschauer*innen nur 2,1 Sterne beim Filmtagebuch »Letterboxd« und 16 Prozent positive Bewertungen auf der Kritiken-Vergleichsseite »Rotten Tomatoes«. Mit anderen Worten: Der kommt gar nicht gut an. Und tatsächlich lässt der Film zu wünschen übrig, eine Handlung, die ständig jede Plausibilität vernachlässigt, eindimensionale Charaktere, die teilweise mit ablenkend schlechten Schauspielleistungen dargestellt werden und Lieder, die man kein zweites Mal anhören möchte. Da stellt sich logischerweise die Frage, wieso »Emilia Pérez« dann so häufig nominiert ist. Das lässt sich zusammenfassend auf zwei Aspekte zurückführen: Hollywood-Politik und Politik-Politik.
Audiard ist ein in der Branche international angesehener und geliebter Filmemacher. In seiner Heimat Frankreich konnte er bei den renommierten Filmfestspielen von Cannes für den (zumindest visuell beeindruckenden) »Emilia Pérez« den Jury-Preis gewinnen. Wer in Cannes gut abschneidet, hat häufig für die weiteren Filmehrungen die Nase vorn. Er ist also mit einem Heimvorteil in die Award Season gestartet. Die im Film behandelten Themen haben auch zu den vielen Nominierungen verholfen. Eine Transfrau, die endlich sie selbst sein kann und das durch mexikanische Drogenkartelle verursachte Leid, sind die zentralen Konflikte. Die Thematisierung und Repräsentation zweier Gruppen, die im aktuellen politischen Klima extrem zu leiden haben. Das liberale Hollywood kann mit der Nominierung ein Zeichen gegen die republikanische Tyrannei setzen.
An der Stelle scheiden sich wieder die Geister. Während sich die Academy für ihre Progressivität selbst auf die Schulter klopft, kommt von vielen Seiten Kritik, dass der Film in Wirklichkeit regressiv sei. Mexikaner*innen und Transpersonen werden mit negativen Stereotypen dargestellt und der Film arbeitet mit einer Vielzahl an schädlichen Motiven, verstärkt bekannte Narrative und darüber hinaus findet keine ernsthafte Auseinandersetzung mit den behandelten Themen statt.
Anstatt also »Emilia Pérez« zu schauen, könnte man für eine bessere Geschichte aus Lateinamerika den ebenfalls nominierten brasilianischen Film »Ainda Estou Aqui«, für eine bessere Trans-Repräsentation »I Saw the TV Glow« und für ein besseres Musical »Wicked« oder »Better Man« auf die Watchlist schreiben.
Reise in die Welt von Oz
Der erste Teil der Verfilmung des beliebten Broadway Musicals »Wicked«, eine Vorgeschichte zum Zauberer von OZ, ist insgesamt zehnmal nominiert. Unter anderem sind die beiden Hauptdarstellerinnen für ihre Schauspielleistungen nominiert, wobei besonders Cynthia Erivo mit ihrer Darstellung der grünen Außenseiterin »Elphaba« und mit ihrem Gesang überzeugt. Der Film von Jon M. Chu wurde vor allem von Theater- und Musical-Fans heiß erwartet. Es gab Zweifel, ob Ariana Grande der Rolle als »Glinda« gerecht werden könnte, doch auch sie ist verdienterweise nominiert. Die größte Schwäche des Films ist das Tempo. Für die erste Hälfte der Geschichte braucht er so lange, wie das komplette Musical dauert. Eine Kürzung hätte dem Film gutgetan, was aber auch der einzige Kritikpunkt bleibt.
Keine Science-Fiction bei den Oscars
Einer der besten Filme des letzten Jahres ist vor allem in den technischen Kategorien nominiert. »Dune: Part Two« findet bei den Nominierungen nicht die Berücksichtigung, die er verdient hätte. Traditionell haben es Science-Fiction Filme schwer bei den Oscars. Sie treffen in der Breite nicht den Geschmack der Mitglieder der Academy, die die Gewinner*innen wählen. Doch »Dune: Part Two« ist besser und vor allem beeindruckender als viele seiner Mitstreiter. Seine Bildgewaltigkeit und insbesondere die Leistung aller Schauspieler*innen von Timothée Chalamet über Zendaya bis Javier Bardem ist virtuos. Dass Regisseur Denis Villeneuve keine Regie-Nominierung bekommen hat, ist traurig und unverständlich.
Ein echtes Zeichen gegen Trump
Die diesjährigen Oscars stehen nicht nur im Schatten der Waldbrände, die das Umland von Los Angeles verwüsteten, sondern auch die Rückkehr Donald Trumps ins Weiße Haus schwebt wie ein Damoklesschwert über der Preisverleihung. Das überwiegend demokratische Hollywood ist ein Feindbild der Rechten in den USA und so versucht auch Trump sich in die Traumfabrik einzumischen. Er ernannte zu diesem Zweck die als Anhänger der Republikaner bekannten Schauspieler Sylvester Stallone, Mel Gibson und John Voight zu »Hollywood-Botschaftern« seiner Regierung. Die Veröffentlichung des zweifach nominierten Films »The Apprentice« versuchte er, durch seine Anwälte zu verhindern.
Die Biographie zeigt die Anfangsphase seines Aufstiegs zum Immobillienmogul. Dabei geht es vordergründig um das Verhältnis Trumps zum halbseidenen Anwalt Roy Cohn. Dieser wird mit einer oscarwürdigen Leistung grandios von Jeremy Strong verkörpert. Der Film klärt auf mit welchen Methoden Trump zu Einfluss kam und entlarvt ihn als Hochstapler und notorischen Schwindler, dem es in seinem rücksichtlosen Vorgehen nur um sein eigenes Ansehen geht. The Apprentice stellt die unrühmliche Genese Trumps dar und gehört deswegen zu den Perlen der Oscarverleihung.
Schmerzhafte Reise in die Vergangenheit
Jesse Eisenberg hat mit »A Real Pain« seinen erst zweiten Film inszeniert und das dazugehörige Drehbuch geschrieben, für das die Tragikomödie eine Nominierung bekommen hat. Hierin reisen zwei Cousins, gespielt von Eisenberg selbst und dem ebenfalls völlig zurecht nominierten Kieran Culkin, auf Wunsch ihrer verstorbenen Großmutter, die den Holocaust überlebte, nach Polen. Dort sollen sie die Vergangenheit ihrer jüdischen Familie kennenlernen. Das Verhältnis der beiden ist zunächst distanziert, doch im Verlauf der Reise schaffen sie es, sowohl ihre eigene Vergangenheit ein Stück weit aufzuarbeiten als auch die ihrer Vorfahren.
In der erzählten Geschichte reihen sich komödiantischen Szenen und durchaus ernste Momente aneinander, ohne dabei fehl am Platz zu wirken. Im Stil erinnert der groteske Humor an die Filme des ebenfalls jüdischen Regisseurs Woody Allen. Begleitet wird der Film durch die Klaviersonaten von Frédéric Chopin, die zu einer reflektierenden Atmosphäre beitragen. »A Real Pain« ist leicht und schwer zugleich, eine Mischung, die gegenwärtig viel zu selten im Kino vorkommt und hätte deswegen mindestens eine Auszeichnung verdient.
Tennis ohne Gewinner*innen
»Challengers« hat keine Nominierungen erhalten. Luca Guadagninos Tennis-Drama hätte vor allem für den Soundtrack von Trent Reznor und Atticus Ross, der das Hin und Her zwischen Zendaya, Josh O’Connor und Mike Faist fantastisch untermalt, eine Ehrung verdient. In dem Film geht es eigentlich gar nicht um Tennis, sondern um die wechselvolle Dreiecksbeziehung der drei genannten Schauspieler*innen. Das Drehbuch stand auf der Blacklist der besten unverfilmten Skripts Hollywoods. Guadagnino schafft es nach »Call Me by Your Name« wieder, die oft schmerzhafte Leidenschaft der Liebe fantastisch auf die Leinwand zu bringen. Die geniale Kameraarbeit fängt die dazu passenden rasanten Bilder ein. »Challengers« ist als Film wie ein Wimbledonfinale im Tie-Break und fehlt daher unbedingt bei den diesjährigen Oscars.
Wer räumt am Ende ab?
Im letzten Jahr konnte sich »Oppenheimer« sieben Oscars in den wichtigsten Kategorien sichern. So einen Siegeszug eines einzelnen Films wird es dieses Mal wahrscheinlich nicht geben. Zu ausgewogen ist das Feld der nominierten Kandidat*innen. Aufgrund der Vielzahl der Nominierungen wäre es überraschend, wenn »Emilia Pérez« leer ausgeht. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit auf ein erfolgreiches Abschneiden in den großen Kategorien, nach dem Aufruhr um alte rassistische Tweets der Hauptdarstellerin Karla Sofía Gascón stark gesunken.
Dem Historiendrama »Der Brutalist« mit Adrien Brody in der Hauptrolle werden trotz des Einsatzes von KI gute Chancen eingeräumt. Auch Timothée Chalamet könnte für die Verkörperung von Bob Dylan in der Biographie »Like A Complete Unknown« seinen ersten Oscar gewinnen. Doch der größte Favorit für die Auszeichnung als bester Film ist »Konklave«. Regisseur Edward Berger war bereits vor zwei Jahren mit »Im Westen nichts Neues« äußerst erfolgreich bei den Academy Awards. Hinzu kommt, dass der Film einige gute Voraussetzungen für den Hauptpreis mitbringt: das populäre Thema, das Genre (Drama/Thriller), die bekannten Schauspieler*innen und die doch ziemlich gewöhnliche Story.
Michelle studiert Englisch und Wi/Po. Sie ist seit 2024 beim Albrecht, seit 2025 leitet sie den Weißraum und ist dort unter anderem verantwortlich für die Fotostory-Serie Schwibbventures.
Tore studiert Politikwissenschaft und Philosophie an der CAU. Er leitet seit Februar 2025 das Kulturressort. Schwerpunktmäßig setzt er sich mit Filmen, Literatur und politischen Themen auseinander.