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Komödie Arsen und Spitzenhäubchen begeistert in Kiel

»Nein!« birst es aus Mortimer Brewster (Felix Zimmer) heraus, sodass er den altem Mr. Gibbs (Philipp von Schön-Angerer) gerade noch so vom tödlichen Schluck der köstlichen, selbstgepanschten Hollunderwein-Arsen-Mischung abhalten kann. An dieser Stelle in Joseph Kesselrings Arsen und Spitzenhäubchen hat der Neffe schon einen – sagen wir – aufschlussreichen Nachmittag im Hause seiner Tanten Abby (Kammerschauspieler Imanuel Humm) und Martha (Nikolaus Okonkwo) hinter sich. Bei der Suche nach wichtigen Unterlagen findet Mortimer unter großem Schrecken eine Leiche in der Sitztruhe unterm großen Fenster. Doch seine Tanten, die ihn großgezogen haben, eröffnen ihm kurzerhand, dass alles so seine Richtigkeit habe. Mr. Hotchkiss sei just ein paar Minuten vor Mortimers Eintreffen gestorben und es sei einfach noch keine Zeit gewesen, ihn »wie die Anderen im Keller zu begraben«.  

Obwohl er sich eigentlich nur auf einem Zwischenstopp ins Theater bei seinen Mörder-Tanten aufhält – nach dem vermeintlichen Abstieg aus dem Immobilienressort muss der Zeitungsredakteur Mortimer nun Kritiken schreiben –, hält ihn die Gesellschaft im Brewster-Haus ganz schön auf Trab. Da wäre sein Bruder Teddy, wunderbar überspitzt-komisch gespielt von Agnes Richter, der sich für Teddy Roosevelt hält und regelmäßig den Panama-Kanal im geräumigen Keller des Brooklyner Wohnsitzes der Familie aushebt. Mortimers Freundin Elaine (aufbrausend-verliebt: Claudia Friebel) möchte ihn am liebsten auf der Stelle heiraten, was den Mann in Anbetracht der bevorstehenden Ereignisse ganz schön ins Schwitzen bringen wird. Doch auch die Streifenpolizisten Klein und Brophy (Isabel Baumert und Tristan Taubert) und allen voran Möchtegern-Drehbuchautor Officer O’Hara (Marius Borghoff) nagen an Morts Nerven. Wäre das alles nicht schon genug, kehrt sein anderer Bruder Jonathan (Mischa Warken) nach über 20 Jahren mit entstelltem Gesicht und in Begleitung eines abgewrackten Schönheitschirurgen Dr. Hermann Einstein (Jennifer Böhm) nach Brooklyn zurück.  

Ein Puzzle, dem eine Ecke fehlt

Ausstatter Michael Lindner verpasst dem Werk den passenden Anstrich. Sein Bühnenbild, ein kolonialzeitlicher Salon mit Elefantenrüssel-Beistelltischchen verleiht der Bühne des Kieler Schauspielhauses Tiefe – und Höhe. Es findet sich sowohl eine Galerie als auch eine Kellertreppe. Gäste des Hauses sitzen am reich gedeckten Esstisch, ein Officer telefoniert, Teddy setzt zum zehnten Trompetentusch an und Imanuel Humm und Nikolaus Okonkwo tattern als alte Damen übers Fischgrätenparkett. Und das alles gleichzeitig. Stimmig und zart, teilweise gar unauffällig sind die Kostüme. Mortimers stilechte braun-weiße Steelground Budapester, Abbys und Marthas züchtige Hochsteckfrisuren sowie Officer Kleins Fatsuit-Uniform sind weder über- noch untertrieben. Lediglich Jonathans Frankensteinvisage und Dr. Einsteins übergroßer schwarz-weißer 80er-Jahre-Anzug wirken völlig aus dem Konzept gefallen. Sie machen Mischa Warken und Jennifer Böhm eher lächerlich als lustig und sind der Immersion keineswegs zuträglich.  

Mit Arsen und Spitzenhäubchen hat die Kieler Schauspielsparte einen würdigen Nachfolger auf Außer Kontrolle im Komödien-Genre gefunden. Die Inszenierung von Volker Schmalöer könnte allerdings noch etwas mehr auf Zack sein. Die erste ›Hälfte‹ nimmt etwa eineinhalb Stunden der etwas über zweistündigen Spieldauer ein. Dann doch lieber gleich durchziehen und die Zwangspause sausen lassen. Das Publikum wird für sein Sitzfleisch durch die großartige Leistung des gesamten Ensembles jedoch allemal entlohnt.  

Tickets sind für den 18.12. sowie für sieben weitere Termine bis Juli online und an der Theaterkasse erhältlich. Schnell sein lohnt sich. Studis gehen mit dem Kulturticket sogar kostenlos ins Theater! 

Chefredakteur

Finn ist seit Februar 2024 Chefredakteur des ALBRECHTs. Zuvor hat er ein Jahr lang das Kulturressort geleitet. Für unser Blatt sitzt er häufig in der Oper, im Theater oder im Konzertsaal. Er studiert Englisch und Geographie auf Lehramt und ist seit dem WiSe 22/23 Teil der Redaktion.

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Komödie Arsen und Spitzenhäubchen begeistert in Kiel

»Nein!« birst es aus Mortimer Brewster (Felix Zimmer) heraus, sodass er den altem Mr. Gibbs (Philipp von Schön-Angerer) gerade noch so vom tödlichen Schluck der köstlichen, selbstgepanschten Hollunderwein-Arsen-Mischung abhalten kann. An dieser Stelle in Joseph Kesselrings Arsen und Spitzenhäubchen hat der Neffe schon einen – sagen wir – aufschlussreichen Nachmittag im Hause seiner Tanten Abby (Kammerschauspieler Imanuel Humm) und Martha (Nikolaus Okonkwo) hinter sich. Bei der Suche nach wichtigen Unterlagen findet Mortimer unter großem Schrecken eine Leiche in der Sitztruhe unterm großen Fenster. Doch seine Tanten, die ihn großgezogen haben, eröffnen ihm kurzerhand, dass alles so seine Richtigkeit habe. Mr. Hotchkiss sei just ein paar Minuten vor Mortimers Eintreffen gestorben und es sei einfach noch keine Zeit gewesen, ihn »wie die Anderen im Keller zu begraben«.  

Obwohl er sich eigentlich nur auf einem Zwischenstopp ins Theater bei seinen Mörder-Tanten aufhält – nach dem vermeintlichen Abstieg aus dem Immobilienressort muss der Zeitungsredakteur Mortimer nun Kritiken schreiben –, hält ihn die Gesellschaft im Brewster-Haus ganz schön auf Trab. Da wäre sein Bruder Teddy, wunderbar überspitzt-komisch gespielt von Agnes Richter, der sich für Teddy Roosevelt hält und regelmäßig den Panama-Kanal im geräumigen Keller des Brooklyner Wohnsitzes der Familie aushebt. Mortimers Freundin Elaine (aufbrausend-verliebt: Claudia Friebel) möchte ihn am liebsten auf der Stelle heiraten, was den Mann in Anbetracht der bevorstehenden Ereignisse ganz schön ins Schwitzen bringen wird. Doch auch die Streifenpolizisten Klein und Brophy (Isabel Baumert und Tristan Taubert) und allen voran Möchtegern-Drehbuchautor Officer O’Hara (Marius Borghoff) nagen an Morts Nerven. Wäre das alles nicht schon genug, kehrt sein anderer Bruder Jonathan (Mischa Warken) nach über 20 Jahren mit entstelltem Gesicht und in Begleitung eines abgewrackten Schönheitschirurgen Dr. Hermann Einstein (Jennifer Böhm) nach Brooklyn zurück.  

Ein Puzzle, dem eine Ecke fehlt

Ausstatter Michael Lindner verpasst dem Werk den passenden Anstrich. Sein Bühnenbild, ein kolonialzeitlicher Salon mit Elefantenrüssel-Beistelltischchen verleiht der Bühne des Kieler Schauspielhauses Tiefe – und Höhe. Es findet sich sowohl eine Galerie als auch eine Kellertreppe. Gäste des Hauses sitzen am reich gedeckten Esstisch, ein Officer telefoniert, Teddy setzt zum zehnten Trompetentusch an und Imanuel Humm und Nikolaus Okonkwo tattern als alte Damen übers Fischgrätenparkett. Und das alles gleichzeitig. Stimmig und zart, teilweise gar unauffällig sind die Kostüme. Mortimers stilechte braun-weiße Steelground Budapester, Abbys und Marthas züchtige Hochsteckfrisuren sowie Officer Kleins Fatsuit-Uniform sind weder über- noch untertrieben. Lediglich Jonathans Frankensteinvisage und Dr. Einsteins übergroßer schwarz-weißer 80er-Jahre-Anzug wirken völlig aus dem Konzept gefallen. Sie machen Mischa Warken und Jennifer Böhm eher lächerlich als lustig und sind der Immersion keineswegs zuträglich.  

Mit Arsen und Spitzenhäubchen hat die Kieler Schauspielsparte einen würdigen Nachfolger auf Außer Kontrolle im Komödien-Genre gefunden. Die Inszenierung von Volker Schmalöer könnte allerdings noch etwas mehr auf Zack sein. Die erste ›Hälfte‹ nimmt etwa eineinhalb Stunden der etwas über zweistündigen Spieldauer ein. Dann doch lieber gleich durchziehen und die Zwangspause sausen lassen. Das Publikum wird für sein Sitzfleisch durch die großartige Leistung des gesamten Ensembles jedoch allemal entlohnt.  

Tickets sind für den 18.12. sowie für sieben weitere Termine bis Juli online und an der Theaterkasse erhältlich. Schnell sein lohnt sich. Studis gehen mit dem Kulturticket sogar kostenlos ins Theater! 

Chefredakteur

Finn ist seit Februar 2024 Chefredakteur des ALBRECHTs. Zuvor hat er ein Jahr lang das Kulturressort geleitet. Für unser Blatt sitzt er häufig in der Oper, im Theater oder im Konzertsaal. Er studiert Englisch und Geographie auf Lehramt und ist seit dem WiSe 22/23 Teil der Redaktion.