Triggerwarnung: Schilderung intensiver körperliche Reaktionen, die in Belästigungssituationen vorkommen können.
Ein leichter Schauder überfällt dich. Wie eine elektrische Welle von Kopf, Gesicht den Rücken hinab. Jedes deiner Körperhaare stellt sich innerhalb eines Wimpernschlags auf. Und das schon bevor du den Atem in deinem Nacken spürst.
Schon kurz vorher ist deinem Körper aufgefallen, dass irgendetwas nicht stimmt. Hat sich dein Puls, dein Muskeltonus gerade erhöht? Haben sich deine Pupillen geweitet? Ist deine Atmung abgeflacht; vom Bauch Richtung Brustkorb gestiegen? In deinem Bewusstsein ist es vielleicht noch nicht ganz angekommen, aber dein Körper bereitet sich gerade auf Kampf, Flucht oder Schockstarre vor. Und dabei stehst du einfach nur hier. Im Supermarkt. An der Kasse.
Rückt dir da gerade jemand von hinten mächtig auf die Pelle? Ah, jetzt hat‘s auch die letzte Ecke deines Hirns kapiert.
Du drehst dich um, fassungslos von der Nähe deines unerwünschten Schattens. Versuchst es mit einem gequälten Lächeln in das fünfzehn Zentimeter entfernte Gesicht. Jetzt spürst du die Feuchte der ausströmenden Luft auf deiner Haut. Riechst, was es heute zum Mittag gab. Du probierst es mit einem genervt-auffordernden Blick. Rutschst zwei halbe Schritte vorwärts. Dein Schatten folgt im Gleichschritt. Ein Kaugummi – zäh und verdammt schwierig abzustreifen. Du bist dir kulturell oder psychisch bedingt verschieden gewählter Distanzräume bewusst. Trotzdem: Du hältst es nicht aus.
Du trittst raus. Raus aus der Schlange. Raus aus deinem intimen Distanzraum, den der Eindringling so glorreich unbedarft verletzt hat. Raus aus dem Über-Dich-Ergehen-Lassen. Hinein ins selbstbestimmte Handeln. Nimmst dein Kaugummi vom Band und wechselst zu einer SB-Kasse.
Chiara studiert seit dem Wintersemester 23/24 Psychologie im Master. Seit dem Sommersemester 2024 ist sie Teil der ALBRECHT-Redaktion und des Social Media Teams.