Almuth Schmidt in ihrer persönlichsten Rolle?
Mit Rockaby – Schluss jetzt – Bing im Schauspielhaus Kiel lotet Kammerschauspielerin Almuth Schmidt, die bereits seit 1981 dem Ensemble des Kieler Schauspielhauses angehört, mit ihrer Darbietung die Grenzbereiche menschlicher Existenz aus. Der Abend setzt sich aus drei Texten zusammen, die einerseits szenisch, andererseits in Form einer Lesung vorgetragen werden. Mit minimalistischer Sprache und eindringlichen Monologen entfaltet sich die beklemmende Stimmung der Texte und die zermürbende Endlosigkeit der Einsamkeit, die Samuel Beckett so meisterhaft aufs Papier brachte. Almuth Schmidts Performance pendelt dabei zwischen nahezu stummer Resignation und eruptiver Verzweiflung, wodurch sie den drückenden Nihilismus und die tiefen Fragen nach dem Sinn des Daseins in den Vordergrund rückt.
Mit dem Kammerspiel Rockaby, in dem die Hauptfigur, eine ältere Frau, sich in ihrem Wippstuhl in Erinnerungen und Verlusten verfängt, eröffnet die Schauspielerin den Abend. Der Monolog vom Tonband, der durch den minimalistischen Einsatz der tatsächlichen Stimme doch den Dialog streift, wenn die alte wippende Protagonistin ihre Gedanken in kleinen Pausen durch ein »Weiter!« wieder anzuschieben scheint, verstärkt das Gefühl der Einsamkeit. Die Inszenierung von Regisseur Joachim Rathke, der nach ersten Berührungen mit Rockaby in seiner Jugend vom Stück fasziniert ist, setzt auf ein subtiles, aber kraftvolles Bühnenbild von Nina Sievers, das den Ton der Texte unterstützt. Durch eine gedämpfte Beleuchtung und sparsame Requisiten entsteht eine fast schon zeitlose Atmosphäre, die den Fokus auf die Worte und die intensiven Empfindungen des Gesagten lenkt. Besonders Rockaby mit seinem verstörenden Rhythmus des Schaukelstuhls zieht die Zuschauer*innen in eine hypnotische, fast tranceartige Spannung. Schluss jetzt und Bing dagegen spielen noch stärker mit der Auflösung des Verständlichen, wodurch die Abgründe der Isolation und Sprachlosigkeit nahezu greifbar werden. In Schluss jetzt setzt Beckett das Thema Isolation in einem verstörenden Gespräch mit einem inneren Dialog fort.
Bruch der Inszenierung
Almuth Schmidt meistert die emotionale und sprachliche Herausforderung, die Beckett den Schauspielenden abverlangt und bringt mit ihrer Ausdrucksstärke eine große Intensität auf die Bühne. In dieser Produktion geht es nicht nur um die Darbietung eines Stücks, sondern um eine Erfahrung der existenziellen Einsamkeit und die Fragen, die tief in der menschlichen Psyche verborgen sind. Die Grand Dame des Kieler Ensembles zieht das Publikum so in eine Welt, in der das Selbstverständliche zerfällt und Raum für Fragen nach der eigenen Vergänglichkeit und der Bedeutung des Lebens entsteht. Ihre zurückliegende Karriere betrachtet Almuth Schmidt retrospektiv zwischen den drei Texten aber dennoch als Teil der Inszenierung in einem Gespräch mit einer weitestgehend stummen Garderobendame (Carola Bock). In humoristischer Weise lässt Schmidt dabei ihre Bühnenjahre Revue passieren und macht auch nicht vor der Intendanz halt.
Die meisterhafte Premiere dieses Werkes hinterlässt eine anhaltende Wirkung und fordert zur Reflexion über die eigene Existenz heraus. Mit Rockaby – Schluss jetzt – Bing hat das Schauspielhaus Kiel eine beklemmende und kraftvolle Inszenierung geschaffen, die Samuel Becketts Werk auf eine Weise auf die Bühne bringt, die lange nachhallt.
Theaterlust geweckt? Rockaby – Schluss jetzt – Bing im Studio im Schauspielhaus Kiel am 23. November sowie am 7., 14. und 20. Dezember. Kieler Studierende können ab drei Tagen vor Vorstellung kostenlose Karten über das Kulturticket bestellen.
Finn ist seit Februar 2024 Chefredakteur des ALBRECHTs. Zuvor hat er ein Jahr lang das Kulturressort geleitet. Für unser Blatt sitzt er häufig in der Oper, im Theater oder im Konzertsaal. Er studiert Englisch und Geographie auf Lehramt und ist seit dem WiSe 22/23 Teil der Redaktion.