Jeden Tag spazieren wir durch sie, unsere Lieblingscafés befinden sich dort und wir leben in ihnen. Doch was hat es mit den Personen auf sich, nach denen unsere Straßen benannt wurden? Bei einigen ist es offensichtlich, beispielsweise bei der Kant- und der Schillerstraße – es gibt jedoch auch solche, die aufgrund des weniger ausgeprägten Bekanntheitsgrades der Namensgeber*innen für viele Menschen nichts als Schriftzeichen auf meist blauem Untergrund sind. Dabei offenbaren die Geschichten dahinter oftmals interessante, verblüffende oder sogar fragwürdige Hintergründe. Mit diesen beschäftigt sich die Rubrik ‚Schilder schildern‘. Ich nehme euch mit auf eine Reise durch Kiel und beleuchte die Personen, die einigen unserer Straßen ihren Namen verliehen

Teil 1:  Die Wißmannstraße 

Im Kieler Stadtteil Neumühlen-Dietrichsdorf liegt die Wißmannstraße, die links und rechts von einigen einsamen Birken geschmückt ist. Es ist eine ruhige Straße, deren Backsteinhäuser eine angenehme und entschleunigte Atmosphäre verbreiten. Umgeben wird die Wißmannstraße von der Hertzstraße und der Nachtigalstraße – klingt fast schon niedlich. Das kann man über Hermann von Wißmann jedoch nicht behaupten. 

Hermann von Wißmann war ein Offizier, der während seiner Berufszeit in der Armee dem Reichskanzler Otto von Bismarck unterstellt war. Zudem bezeichnete er sich selbst als Afrikaforscher, was ihm später die Legitimation erbrachte, militärische Operationen auf dem afrikanischen Kontinent zu leiten. Tatsächlich reiste Wißmann zwischen 1880 und 1883 als Teil eines Forschungsteams nach Afrika, um als Kartograph die für das Deutsche Reich interessanten Gebiete festzuhalten. Zu jener Zeit gab es einen regelrechten Wettlauf europäischer Staaten auf dem afrikanischen Kontinent, mit dem Ziel, die imperiale Expansion weiter auszubauen. Wißmann kehrte einige Male nach Afrika zurück, bis er 1888 seine folgenschwerste Mission unternahm. Zu jener Zeit besetzte das Deutsche Reich einige Küstengebiete im Osten Afrikas. Im Sommer dieses Jahres kam es zu Aufständen der ostafrikanischen Bevölkerung, weshalb sich die deutsche Niederlassung zurückziehen musste. Bismarck beauftragte daraufhin Wißmann, den Widerstand zu zerschlagen – bei der Ausführung hatte er freie Hand. Mit der sogenannten ‚Wißmann-Truppe‘, bestehend aus über 600 Söldnern, ging er im Herbst 1888 in Tansania an Land. Stück für Stück eroberte die Wißmann-Truppe die belagerten Regionen zurück, verübte Massaker und brannte Dörfer und Ortschaften nieder. Die Truppe plünderte, brandschatzte, mordete, vergewaltigte, folterte. Wißmanns brutale Vorgehensweise brachte selbst in seiner Heimat Politiker und Militär in Erklärungsnot, was Wilhelm den II. jedoch nicht davon abhielt, Wißmann ob des Mehrwertes seiner Missionen für das Deutsche Reich in den Adelsstand zu heben. 

Die Debatte  

Nach den Richtlinien der Benennung von Straßennamen wird eine Straße nur nach einer Person benannt, wenn diese sich durch „besondere Verdienste“ ausgezeichnet hat. Zudem ist die Benennung einer Straße als Ehrung dieser Person gedacht, und genau hier liegt der Knackpunkt. Durch die Wißmannstraße wird eine Person geehrt, die für einen Massenmord verantwortlich ist, die einen Genozid bewilligt und dessen Durchführung geleitet hat. Die Kolonialzeit ist ein dunkles Kapitel in der Geschichte, an das definitiv erinnert werden sollte, damit die Opfer nicht vergessen werden und um sich seiner eigenen Privilegien bewusst zu sein. Doch eine Person zu ehren, die in diesem dunklen Kapitel eine tragende Rolle gespielt hat, bietet Stoff für gesellschaftspolitische Debatten, da das Weltbild und die Handlungen von Personen wie Wißmann die Antithese zu sämtlichen Werten bilden, die eine Demokratie symbolisieren sollten. Dass Straßen umbenannt werden können, sehen wir am ehemaligen Hindenburgufer. Nun ist die Frage, ob Kiel seiner Linie treu bleibt und auch andere Straßen mit kritisch zu bewertenden Namen durch zeitgemäßere, weltoffenere ersetzt.  

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