Arthur Millers Handlungsreisender macht Zwischenstopp in Kiel
Die Bühne ist in dichten Nebel getaucht. Der typische New Yorker Dunst spielt in Dariusch Yazdkhastis Inszenierung am Kieler Schauspielhaus eine entscheidende Rolle. Er ersetzt im Grunde alles, was Arthur Miller in seinem Werk aus den 1940er Jahren vorschreibt. So ist in Millers Regieanweisungen von einer Drehbühne und einem darauf befindlichen Haus die Rede. Doch an diesem Abend finden die Zusehenden lediglich einen abgehalfterten Verkaufsvertreter in einem schwarzen Anzug auf einem ebenso schwarzen Stuhl vor.
Willy Loman (Zacharias Preen) gesteht sich und seiner Familie seine gescheiterte Karriere nicht ein. Er macht einfach immer weiter, versucht Herr seiner selbst zu bleiben. Sein halbes Leben ist er auf Achse, reist als Vertreter von Stadt zu Stadt und wieder zurück nach New York und langsam aber sicher geht ihm die Puste aus. Doch eigentlich ist dieser ausgenutzte Vertreter bloß von sich selbst verwirrt und merkt nicht mehr, dass er und auch seine Familie am Ende sind. Noch schützen ihn seine Frau Linda (Ksch. Ellen Dorn) und seine Söhne Biff und Happy (Rudi Hindenburg und Tony Marossek) vor der bitteren Wahrheit, aber wie lange können die Lomans diesen Schutzschirm aufgespannt halten, bevor ein dunkler Sturm ihn zerfetzt?
Yazdkhasti, der nicht nur Regie führt, sondern auch die Bühnengestaltung übernimmt, bringt mit Millers Werk einen großen Klassiker der Theatergeschichte nach vielen Jahren zurück ins Kieler Schauspielhaus. Miller, geboren 1915 in New York City, gelte als Meister der Sozialtragödie und bringe das Gewissen Amerikas zu Papier, so Dramaturg Tristan Benzmüller im Vorgespräch. Auch Zacharias Preen darf an diesem Abend aus seiner mittlerweile angestammten Rolle des Bösewichts und Unsympathen ausbrechen und zeigt eine völlig andere schauspielerische Seite. Als Willy Loman, der vor lauter Sorgen manchmal nachts aufsteht und Blumen einpflanzt, ist er nahbar und einfühlsam, wenn auch verloren in der Schnelllebigkeit der Welt und dem wirtschaftlichen Fortschritt seiner Zeit.
Ach, die große weite Welt
Die Inszenierung fängt das Gefühl der Entfremdung und Verlorenheit in der modernen Welt meisterhaft ein. Der düstere Nebel, der die Bühne umhüllt, spiegelt die verwirrende und erdrückende Atmosphäre wider, in der Willy Loman und seine Familie gefangen sind. Es ist eine Welt, in der die Werte des Erfolgs und des materiellen Wohlstands alles dominieren, während persönliche Träume und Beziehungen verloren gehen.
Die Performance von Zacharias Preen als Willy Loman ist von einer zerbrechlichen Menschlichkeit durchdrungen. Allerdings ist der Begriff der ‚fragilen Männlichkeit‘ ebenfalls entscheidend sowohl für das Werk als auch die Inszenierung im Besonderen. Gerade die männlichen Figuren wollen tough sein, sich ja nichts anmerken lassen, bloß keine Schwäche zeigen. Und doch haben sie alle ihre eigenen Probleme und fechten innerlich so manchen Kampf mit sich selbst aus. Biffs Traumata aus der Jugend, die nicht richtig verarbeitet sind, oder der Druck, der nach der Schule auf den anderen Sohn Happy eindrückt, sind nur einige Beispiele. Sie repräsentieren unterschiedliche Facetten der männlichen Identität und des amerikanischen Traums. Biff, der ältere Sohn, war einst vielversprechend, aber er kämpft mit seinen eigenen inneren Konflikten und dem Druck seines Vaters. Happy hingegen versucht, seinem Vater zu gefallen und erfolgreich zu sein, vernachlässigt dabei jedoch oft seine eigenen Bedürfnisse. Und auch Willy geht es nicht besser. Man sieht den inneren Konflikt in seinen Augen, das Ringen um Anerkennung und Erfolg, während gleichzeitig die Realität seiner gescheiterten Träume immer deutlicher wird. Die neu-gekürte Kammerschauspielerin Ellen Dorn verkörpert als Linda die treue und liebevolle Ehefrau, die trotz aller Widrigkeiten an ihrer Familie festhält. Sie ist die Stimme der Vernunft in Willys Leben, obwohl sie die harte Realität nicht ignorieren kann.
Weniger ist mehr
Schlicht schwarz und mit viel Nebel, dazu Tische und Stühle, die zu verschiedensten Bühnenbildern verschoben, gedreht und aufgeschichtet werden: Dariusch Yazdkhasti schafft in seiner Inszenierung mit einer ganz eigenen und sehr reduzierten Bühnengestaltung einen speziellen Blick auf Millers Werk. Die Darsteller*innen präsentieren eine breite Palette von sehr ruhigen – gar andächtigen – Momenten bishin zu Ausrastern, die in einer Schlägerei zu enden drohen. Diese Performance macht Eindruck und lässt noch so manchen Zusehenden still verweilen, als der Vorhang fällt.
Das Stück wirft auch wichtige Fragen über den amerikanischen Traum auf und stellt die Illusion des unendlichen Fortschritts und Erfolgs infrage. Die Lomans stehen stellvertretend für viele amerikanische Familien, die in einer Welt des Konsums und der Oberflächlichkeit verloren gehen und dabei ihre Menschlichkeit verlieren. Insgesamt ist diese Inszenierung von Tod eines Handlungsreisenden eine eindringliche und zeitlose Darstellung der menschlichen Tragödie und ein eindringlicher Appell an die Zuschauer*innen, über ihre eigenen Werte und Prioritäten nachzudenken.
Finn ist seit Februar 2024 Chefredakteur des ALBRECHTs. Zuvor hat er ein Jahr lang das Kulturressort geleitet. Für unser Blatt sitzt er häufig in der Oper, im Theater oder im Konzertsaal. Er studiert Englisch und Geographie auf Lehramt und ist seit dem WiSe 22/23 Teil der Redaktion.