Kieler Autorin Julia Niederstraßer über ihren neuen Roman und Repräsentationen von Menschen mit Behinderung
Jeder zweite Mensch in Deutschland träumt nach einer Umfrage von Books on Demand davon, mal einen Roman zu schreiben. Die Kieler Autorin Julia Niederstraßer hat sich diesen Traum erfüllt. Während sie in der Unibibliothek der CAU an ihrer Bachelorarbeit saß, bekam sie den Vertrag für ihr erstes Buch zugeschickt. Inzwischen hat sie bereits vier Romane veröffentlicht und im Juni erscheint ihr neuestes Buch Where I Left My Heart.
Julia hat uns in einem Interview erzählt, wie sie zum Schreiben gekommen ist: »Ich schreibe theoretisch schon immer, aber nie ganze Bücher.« Sie studiert Germanistik und Philosophie und besuchte einen Kurs vom Studentenwerk SH zum kreativen Schreiben. »Da habe ich das erste Mal gehört, dass es eigentlich ganz cool ist, was ich mache. Und dann bin ich einfach drangeblieben«, sagt Julia. Als der Verlag so schnell wie möglich ihr erstes Manuskript haben wollte, musste sie ihre Bachelorarbeit innerhalb von drei Wochen fertig schreiben. Inzwischen fehlt ihr nur noch die Masterarbeit, aber es war auch aufgrund von gesundheitlichen Problemen nicht immer einfach, neben dem Schreiben noch Zeit für Prüfungsleistungen zu finden.
Sommer, Sehnsucht, Schrevenpark
Julias neuer RomanWhere I Left My Heart erscheint am 24. Juni und kann bereits vorbestellt werden. Die Autorin selbst beschreibt ihr Buch als »romantische Sommerlektüre mit melancholischem Touch«. Erzählt wird die Geschichte von Juna und Link – zwei besten Freund*innen mit versteckten Gefühlen und einer Liebe mit großem Risiko: denn was passiert, wenn es zwischen ihnen nicht funktioniert?
Julia nimmt die Leser*innen dabei nicht nur mit auf eine Achterbahnfahrt der Gefühle, sondern auch auf eine Reise durch das sommerliche Kiel. Unter anderem werden der Schrevenpark, die Förde und Laboe besucht. »Ein paar Orte habe ich mir aber auch ausgedacht«, gibt die Autorin lachend zu. Einer davon ist das ›Museum of Broken Hearts‹. Juna gibt dort eine Zeichnung von Link ab, denn der Ort verspricht, sich durch hinterlassene Gegenstände von einer Liebe lösen zu können. Die verschiedenen Geschichten der anderen Ausstellungsstücke werden immer zu Kapitelbeginn erzählt und führen wie ein roter Faden durch den Roman.
Für mehr Vielfalt statt Klischees
Seit 2021 arbeitet die Schriftstellerin, die aufgrund einer Muskelerkrankung im Rollstuhl sitzt, auch als ›Sensitivity Readerin‹ im Bereich körperliche Behinderung. Beim ›Sensitivity Reading‹ werden Inhalte daraufhin überprüft, ob sie klischeehafte oder diskriminierende Darstellungen enthalten. Nach wie vor werden Stereotype über Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung in Büchern und Filmen reproduziert. Die Geschichten, die Julia liest, haben oft einen negativen Beigeschmack und beinhalten ableistische Begriffe, die Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen diskriminieren. Julia sagt dazu: »Es ist oftmals so, dass die Behinderung ein bisschen instrumentalisiert wird. Also diese Person hat eine Erkrankung, damit die Liebesgeschichte noch ein bisschen dramatischer wirkt. Die Person, die im Rollstuhl sitzt, wird entweder als super lebenslustig und klug dargestellt und für alles gefeiert oder eben so, dass ihr Leben keinen Sinn mehr hat, alles ein Riesendrama ist und sie super viel Hilfe braucht. Aber ich finde, Menschen mit Behinderung haben wesentlich mehr Facetten.«
Own–Voice–Geschichten sprechen für sich
Deswegen sind Julia Own-Voice-Romane sehr wichtig. ›Own voice‹ bedeutet, dass Menschen aus marginalisierten Gruppen ihre eigenen Erfahrungen in Geschichten einfließen lassen. Juna aus Where I Left My Heart hat wie die Schriftstellerin eine sehr starke Form von Skoliose, also einen schiefen Rücken. Julia erklärt: »Ich glaube, Skoliose zu haben, wenn man im Rollstuhl sitzt, ist nochmal anders, als Skoliose zu haben, wenn du läufst. Deswegen habe ich eine Person bei mir gehabt, die alles gelesen hat, was ich geschrieben habe und gesagt hat, wenn sie das völlig anders erlebt hat.« Sie hat versucht, den Charakter so zu bauen, dass verschiedenste Erfahrungen repräsentiert werden und dafür auf TikTok viele Videos von Betroffenen geguckt. »Im Endeffekt geht es bei der Repräsentation darum, dass sich Leute nicht mehr so allein fühlen. Deswegen gucke ich immer, dass es nicht nur meine Erfahrung ist oder eine Erfahrung von einer einzelnen Person, sondern dass die Schnittmenge stimmt.« So schafft die Schriftstellerin Sichtbarkeit für Skoliose, ohne dass Junas Krankheit im Fokus der Geschichte steht.
»Du wirst nie den Geschmack aller treffen«
Aktuell schreibt Julia am zweiten Band der Broken-Hearts-Reihe und damit bereits an ihrem sechsten Roman. Trotz ihrer Erfahrung wird sie bei dem Thema Kritik nachdenklich und gibt zu: »Ich nehme mir Dinge oft zu Herzen. Dann brauche ich Menschen um mich, die mich daran erinnern, dass nicht gleich die Welt untergeht.«
Menschen, die selbst gern schreiben und veröffentlichen möchten, gibt die Autorin mit auf den Weg: »Du wirst nie den Geschmack aller treffen. Lerne, zwischen subjektiver Meinung und handwerklichen Fehlern zu unterscheiden. Denn an Letzteren kann man arbeiten.« Für sie ist klar, wer schreiben will, braucht vor allem Geduld und sollte einfach schreiben, schreiben, schreiben.Am Ende ist es besonders eine Botschaft, die Julia nicht nur durch ihre Arbeit, sondern auch ausdrücklich allen Menschen ans Herz legen möchte: Sie sollen auf ihre Worte achten – beim Schreiben ebenso wie beim Rezensieren. »Man kann immer seine Meinung sagen. Dabei sollte man aber nicht nur an sich selbst, sondern auch an sein Gegenüber denken.«
Annika studiert Deutsch und Englisch im Master. Seit dem Sommersemester 2024 ist sie beim ALBRECHT. Außerdem ist sie Teil des Social Media Teams und unterstützt das Lektoratsteam.
Paula studiert Deutsch und Englisch auf Fachergänzung. Sie ist seit dem Sommersemester 2025 beim ALBRECHT.