Das studentische Theater stellt sich vor

Berührend tiefsinnig kann es auf dem Campus werden, wenn das studentische Theater einen Vorstellungsabend zum Besten gibt. Auf den Regiestühlen der letzten Produktion saßen Carlotta Cagnoli und Mareike Wendorff, die mit Still Life (Mai 2024) eine Auseinandersetzung mit Schicksalsschlägen und den ernsten Fragen des Lebens formten. Wir haben mit ihnen über die vergangene Produktion gesprochen und über die Schwierigkeiten, mit denen ihre Hochschulgruppe zu kämpfen hat. 

Wie kam es zu der Produktion von Still Life? 

Carlotta Cagnoli: Still Life aufzuführen war meine Idee. Ich habe über ein offenes Casting gesucht, weil das gerade jetzt nach Corona unser Bestreben ist, mit dem studentischen Theater wieder zu zeigen: Wir sind hier und machen wieder Theater mit und für euch. Mareike habe ich dabei nicht über ein Casting gefunden, sondern wir machen schon seit einigen Jahren vor Corona gemeinsam Theater. Und sie konnte sich vorstellen, die Regie mit mir zu übernehmen. 

Das bedeutet, du hast das Drehbuch von Alexander Dinelaris gelesen und beschlossen: Das ist ein Stoff, aus dem ich etwas machen möchte? 

C.: Ich habe in der Schule – das ist schon über zehn Jahre her – bei dem Stück mitgespielt und hatte es damals noch nicht so ganz durchschaut. Deswegen hatte ich den Eindruck: Ich bin noch nicht so ganz fertig mit dem Stück. Nun wollte ich selbst meine eigenen Ideen in das Stück reintragen. 

Was war eine große Herausforderung bei eurem Stück? 

Mareike Wendorff: Wir hatten eine relativ späte Umbesetzung. Oder vielmehr hatten wir insgesamt zwei. Aber die eine war so früh, dass außer Frage stand, dass wir wieder jemanden aus dem Pool finden. Dann gab es allerdings auch eine ganz kurzfristige, aber auch da hat es letztendlich gut funktioniert. 

C.: Die emotionale Arbeit war sehr anstrengend. Aber eigentlich war es vielmehr dieser Kurzfilm. Mareike hat mit vielen anderen Menschen einen Kurzfilm für das Stück gedreht, innerhalb von zwei Tagen Dreharbeiten. Ich habe es nur peripher mitbekommen, aber wie viel Anstrengung in diesen Kurzfilm geflossen ist, war enorm. Es gab schon den Moment, in dem ich dachte: Schaffen wir das? 

M.: Film ist schließlich auch ein anderes Medium. Beim Film probt man vorher quasi nicht, wenn man dann aber dreht, muss alles da sein. Das war viel vorausdenkende Organisationsarbeit. Beim Theater ist es ein stückweit mehr so, dass man probt und ausprobiert und dann Entscheidungen trifft. Natürlich muss man auch im Voraus planen, aber man kann es mehr aufteilen. Es gibt einfach mehr Zeit für die Teilbereiche. 

Viele Zuschauer*innen und viele Vorstellungen bedeuten ja auch viel Sorge. Habt ihr ein Gruppenritual, um Lampenfieber entgegenzuwirken? 

M.: Ja, es gibt ein stückspezifisches Ritual bei uns und dazu einen Schlachtruf. Alle machen sich ein bisschen zum Affen und ein bisschen warm. Dazu kommen dann stimmspezifische und konzentrationsspezifische Übungen.  

C.: Ich habe den Eindruck, das inoffizielle Ritual bei den Aufführungen ist eher zu schauen, dass alle das haben, was sie brauchen. Viele sind bei den Aufführungen am Kränkeln. Hustensaft, Wärmflasche – einfach mal eine Runde machen, bevor man Medikamente für alle bestellt. 

Nunmehr seit fünf Jahren steht das Kulturherz der CAU vermeintlich still: Recht unvermittelt wurde am 10. September 2019 der Sechseckbau neben der Mensa I wegen Brandschutzmängeln geschlossen. Im ehemaligen Foyer fährt zur Zeit das Campusradio seine Sendungen. Kaum jemand weiß heute noch, dass im Obergeschoss ein funktionstüchtiges Theater schlummert. Und dennoch schlagen sich die studentischen Theaterschaffenden weiterhin durch. Der Traum, bald wieder im Sechseckbau Kultur anzubieten, ist noch am Leben. 

Mehr zum Sechseckbau

Seit 1966 war der Sechseckbau auf dem Kieler Campus der zentrale Ort für die Kultur. Die teils studentische Initiative Sechseckbau macht sich gemeinsam mit dem AStA dafür stark, dass dieser dritte Raum bald wieder seinem Zweck übergeben wird. Ihre Vision ist, dass mit der Sanierung der Mensa I auch erforderliche bauliche Maßnahmen am angeschlossenen Gebäude erfolgen und das Theater anschließend zurückziehen darf. Das Studentenwerk Schleswig-Holstein schätzt die Lage dagegen anders ein. Sie verstehen sich zwar als Partner der Studierenden und bedauern die Lage rund um den Sechseckbau. Dass die Beteiligten der Hochschule, des Landes, GM.SH, Denkmalamt und Stadt Kiel jedoch kein konkretes Sanierungsvorhaben für das Gebäude formulieren, begründe sich in den begrenzten Geldern, die priorisiert für Mensen, Forschung und Lehre verwendet werden. 

DER ALBRECHT: Wie seid ihr heute als studentische Gruppe organisiert? 

Carlotta Cagnoli: Es ist nicht eine große Gruppe, die das studentische Theater ausmacht, sondern wir bestehen aus vielen unterschiedliche Gruppen. Gruppenmitglieder können auch von sich aus eine neue Gruppe gründen. Deswegen ist es nicht immer ein fester Satz an Menschen, die an jedem Stück beteiligt sind oder die jedes Mal gefragt werden. Wer auch immer eine Gruppe anmeldet, sucht sich dann die Leute zusammen oder sucht sich neue Leute.  

Mareike Wendorff: Man kann das auch als ein fluides System bezeichnen. Denn es gibt bei uns ja eine Community, in der man aus jedem Kompetenzbereich Menschen findet. Das heißt, da sind dann Leute drin, die mehr Erfahrung im technischen Bereich haben, andere, die lieber werkeln und die Nächsten, die am liebsten auf der Bühne stehen.  

Still Life wurde von den Cocktailhühnern präsentiert. Ist das der Name eurer Produktionsgruppe oder nennt sich das gesamte studentische Theater so? 

C.: Wir haben uns so genannt, weil die Gruppe sich an das Stück angelehnt benennen wollte. Das ist nach Corona so ein Ding geworden. 

M.: Grundsätzlich hat sich das Studierendentheater in der vergangenen Zeit sehr entwickelt. Es ist am Anfang in den 60ern aus den Arbeitsgemeinschaften des Studentenwerks Schleswig-Holstein entstanden. Ein irre langer Titel, den sie immer wortwörtlich für alles angeben mussten. Im Rahmen der Schließung des Sechseckbaus habe ich mich mit allen möglichen Ehemaligen vernetzt, die zwischen den 60er und 00er Jahren aktiv waren. Als ich sie kontaktierte, haben sie alle gesagt: Ja, ich war auch in der Arbeitsgemeinschaft des Studentenwerks Schleswig-Holstein! Das war schon witzig. Später [in den Jahren vor Corona; Anm.d.R.] hatten die Gruppen ihre eigenen Namen und legten diesen Sermon an Titel ab. Über lange Zeit waren es sechs Gruppen, die parallel aktiv waren und jeweils mehrere Stücke aufgeführt haben. Die Mitglieder blieben nicht gleich, aber die Gruppenstärke zunächst schon. Das heißt, es gab eine große Community, innerhalb derer man sich austauschen konnte. Zudem gab es mit dem Sechseckbau einen gemeinsamen Raum, in dem vorbereitet werden konnte. 

C.: Doch dann kamen die Einschläge. 

M.: Genau. Erst kam die Schließung des Sechseckbaus. Das heißt, 2019 wurde das Gebäude wegen Brandschutzmängeln geschlossen. Im Moment sagen Politik, Uni und Studentenwerk dasselbe: Grundsätzlich fänden wir einen geöffneten Sechseckbau gut, aber haben nicht das Geld und die Verantwortung. Alle schieben es sich also gegenseitig zu. Im Endeffekt sagt das Studentenwerk unterm Strich: Wir kümmern uns nicht darum, sollen sich die Studierenden mal darum kümmern. Allerdings ist ihnen das erst nach Corona eingefallen. Das bedeutet für uns: Wir haben jetzt eine Ersatzbühne, die zwar gut ist, aber den Nachteil hat, dass man den Raum als Speisesaal kennt. 

Dadurch geraten wir gelegentlich in Raumkonflikte, weil wir keinen Raum mehr haben, den wir so flexibel nutzen können wie vorher. Jetzt sind wir beschnitten worden auf zwei Produktionen pro Jahr, sodass man nicht mehr viele Gruppen hat, die parallel an vielen Projekten arbeiten. Es ist vergleichbar mit einer Staffelübergabe, nur ist es hier so: Eine*r rennt komplett das eigene Rennen und wenn er*sie am Ziel angekommen ist, gibt es eine Übergabe vom Staffelstab an die nächste Gruppe. Das war früher nicht so. Da gab es je eine heiße Vier-Wochen-Phase, in der eine Gruppe die Bühne für sich hatte. Die restlichen Produktionszeiten überschnitten sich. 

C.: Im Mai war ja das Casting für das Weihnachtsmärchen. Wir haben es so erlebt: Es ist gut, bei einigen Produktionen dabei gewesen zu sein, bevor man sich als studierende Person ein eigenes Stück aussucht und eine Gruppe bildet. Bei zwei Produktionen im Jahr ist nun die Zeit begrenzt. 

M.: Zumal es viele Interessierte gibt. Für das vorletzte Stück hatten wir ein Casting über Aufruf gemacht und hatten am Ende hundert Leute, die mitmachen wollten. 

C.: Und so wollen wir es ja auch halten, weil es ja ein studentisches Theater ist.  

M.: Aber da befinden wir uns in einem Dilemma: Weil ich einerseits eine Community möchte, aber nicht hunderte von Castings stemmen kann. 

Wie viel Vorerfahrung muss eine studierende Person denn zum Casting mitbringen? 

C.: Keine! Interesse und Zeit reicht. Das, woran am häufigsten gedacht wird, ist auf der Bühne zu stehen. Viele machen das gerne, aber hinter und neben der Bühne sind auch viele Jobs. Zum Bespiel Regie, Technik, Maske oder das Bühnenbild. Wenn sich also jemand für diese Aufgaben interessiert, käme er*sie auch zum Casting, um informiert eine Entscheidung zu treffen. 

Das nächste Projekt steht nun in den Startlöchern. Übernehmt ihr da auch Regie? 

C.: Nein! (lacht) Da sind wir nicht dran beteiligt und das ist auch gut so. Das Weihnachtsmärchen hatte im Mai die Castings und es wird mehrere Aufführungen geben. 

M.: Allein der Name Weihnachtsmärchen reicht aus, um Topseller zu sein. Ganz egal welches Theater es ist, Hauptsache es ist irgendwas mit Herz, dann kommen die Zuschauer*innen von allein. 

Das Weihnachtsmärchen 2024 wird am 28. November im Großen Saal der Mensa I (1.OG) Premiere feiern.   

Autor*in
Ressortleitung Kultur

Lena studiert Medienwissenschaft und Anglistik und leitet seit Januar 2024 das Kultur-Ressort. Seit November 2020 ist sie Teil der Albrecht-Redaktion, wo sie über Theater, Kino, Oper, Literatur schreibt. Selten verirrt sie sich auch in Themen der Hochschule und Gesellschaft.

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