Für mehr Offenheit im Umgang mit Verlust
Jede*r kennt sie. Keine*r will sie. Trauer. Wir können sie irgendwo im Körper spüren, wenn sie sich anschleicht, uns unvorbereitet packt und überrollt. Jede*r geht zu unterschiedlichen Zeitpunkten im eigenen Trauerprozess anders mit ihr um. Wir wenden uns ab, wollen in unserem Schmerz alleine sein, wollen uns mitteilen, uns anvertrauen. Weinen. Lachen. Schreien. Und doch trauern viele häufig ganz für sich allein.
Sie betrifft uns alle irgendwann einmal, doch fällt es vielen schwer, der eigenen Trauer ins Gesicht zu sehen. Wenn es dann darum geht, dass jemand anderes trauert, sind wir oftmals mit dem Schmerz der anderen Person komplett überfordert und meilenweit davon entfernt, ihr den Raum für ihre Trauer offenhalten zu können. Trotz ihrer immerwährenden Präsenz in unserer menschlichen Mitte, ist sie damit der im Permafrost unserer Gesellschaft gefangene Elefant im Raum.
Trauermodelle
Trauer wissenschaftlich zu erklären, wird schon lange versucht. Phasenmodelle der Trauer, wie das von Kast (1986) oder Kübler-Ross (1969) sind zwar teilweise noch etabliert, allerdings aufgrund ihrer vermeintlichen Linearität des Trauerprozesses überholt.
Eines der evidenzbasiertesten dagegen ist das Duale-Prozess-Modell der Trauer von Stroebe & Schut (1999). Dieses beschreibt einen dynamischen und regulativen Prozess zwischen verlustorientierten (z.B. die Umstände des Todes) und wiederherstellungsorientierten Stressoren (z.B. die eigene Einsamkeit), die beide wichtig für ein adaptives Trauerbewältigungsverhalten seien. Dabei wird davon ausgegangen, dass Konfrontation mit und Vermeidung der Stressfaktoren ein elementarer Bestandteil einer adäquaten Trauerbewältigung sind.
Ambivalenz der Emotionen
Trauer ist nicht linear und lässt sich nicht kontrollieren oder ausschalten. Sie kommt und geht in Wellen oder bleibt ein stetiger Strom, manchmal bricht sie herein wie ein Hurrikan. Die Welt dreht sich weiter, aber der Kopf steckt oft in der Vergangenheit fest. Der Verlust eines geliebten Menschen – sei es absolut und unwiederbringlich durch dessen Ableben oder sei es, dass dieser Mensch aus anderen Gründen unser Leben verlässt – verändert Menschen nachhaltig.
Es bedeutet nicht nur, dass eine Person nicht mehr da ist, sondern geht mit dem Verlust von Identität, Stabilität, Hoffnung, Unterstützung, Zukunftsplänen und bekannten Strukturen einher. Trauern beinhaltet nicht nur Traurigkeit, sondern kann auch ambivalente Emotionen wie Wut, Angst, Unsicherheit, Einsamkeit und Neid hervorrufen. Die Absolutheit des Verlusts macht das Ganze so schmerzhaft. Der absolute Kontaktabbruch, keine Gespräche, kein Nachfragen mehr möglich, keine Nähe.
Während sich viele im Dezember auf Weihnachtsmärkte, Gemütlichkeit und freie Tage mit der Familie freuen, haben andere Angst vor einem leeren Stuhl am festlich gedeckten Wohnzimmertisch. Feiertage können viele Gefühle hervorrufen: Schuldgefühle, dass man sich nicht an materiellen Dingen erfreuen kann; Neid und Wut, dass andere Menschen gerade vermeintlich unbeschwert Zeit mit geliebten Menschen verbringen; Traurigkeit und Einsamkeit, weil das Leben nie wieder so sein wird, wie es mal war.
Raum für Gespräche
Mit der Zeit wird die Trauer nicht kleiner, aber man lernt, damit zu leben. Trauer erinnert Menschen daran, dass das Leben nicht unendlich und damit wahnsinnig kostbar ist. Menschen, die jemanden verloren haben, freuen sich, wenn ihnen Raum gegeben wird, über jene Personen zu sprechen. Jede Nachricht, dass Freund*innen an einen denken, ist wertvoll und hilfreich. Besonders an Todestagen oder anderen wichtigen Tagen wie Geburtstagen und Feiertagen. Fragt Betroffene, was sie sich von euch wünschen, wenn ihr unsicher seid. Mit der Zeit werden unangenehme Gespräche einfacher, denn es erfordert Übung, einander Raum zu geben und Emotionen zuzulassen. Über Verlust zu sprechen, muss nicht immer traurig sein, man kann auch gemeinsam in Erinnerungen schwelgen und über lustige Situationen der Vergangenheit lachen. Zusammen lässt sich alles besser aushalten und verarbeiten als alleine.
Annika studiert Deutsch und Englisch im Master. Seit April 2024 ist sie Teil der Albrecht-Redaktion und des Social Media Teams.
Chiara studiert seit dem Wintersemester 23/24 Psychologie im Master. Seit dem Sommersemester 2024 ist sie Teil der ALBRECHT-Redaktion und des Social Media Teams.