Für 2026 plant die Landesregierung, Verwaltungsgebühren einzuführen. Mit 60 Euro pro Semester darf dann jede*r Student*in dazu beitragen, die angespannte Haushaltslage zu beruhigen. Im Albrecht-Interview erklärt die Vize-Bundesvorsitzende der SPD und Oppositionsführerin im Landtag Serpil Midyatli, wie wenig sie davon hält. An den Koalitionsverhandlungen im Bund beteiligt gewesen, spricht sie außerdem vom Kulturkampf mit der CDU und was die künftige Regierung für die Studierenden tun möchte.
Was ist die grundsätzliche Haltung der SPD zu den Verwaltungsgebühren? (ALBRECHT)
Unsere grundsätzliche Haltung als Sozialdemokrat*innen ist, dass wir uns Bildung und vor allem Chancen für alle Kinder und Jugendlichen wünschen und deswegen Gebühren, die für junge Menschen im Bildungsbereich anfallen, ablehnen. In diesem konkreten Fall lehnen wir daher natürlich auch die Verwaltungsgebühren für die Studierenden ab, ganz klar. (Midyatli)
Die Länderregierung hält gerne entgegen, an anderer Stelle für Studierende etwas zu machen, besonders eine Eigenkapitalerhöhung des Studierendenwerks wird angeführt, die dann in günstigere Wohnungen resultieren soll. Würden Sie sagen, dass diese anderen Maßnahmen ausreichend sind?
Auf keinen Fall. Es ist klar, dass wir eine Wohnungsnot haben, die insbesondere junge Menschen hart trifft. Nicht ohne Grund gibt es das Bundesprogramm „Junges Wohnen“, weil wir festgestellt haben, dass es in den letzten Jahren, insbesondere auch nach dem Angriffskrieg von Putin auf die Ukraine, zu massiven Preissteigerungen kam. Das betrifft Lebensmittelpreise, aber auch die Mieten sind massiv gestiegen, auch hier in Schleswig-Holstein. Hinzukommt, dass wir hier nicht einmal die Mietpreisbremse haben, die könnte die Landesregierung ja auch ganz einfach wiedereinführen. Ich finde Politik nach dem Motto „linke Tasche, rechte Tasche“ sowieso überhaupt nicht gut. Davon mal ganz abgesehen, belastet die Verwaltungsgebühr alle Studierenden ganz persönlich im Haushaltsbudget.
Was halten Sie von dem Vorschlag, der auch ab und zu aufgekommen ist, etwa aus Richtung der FDP, die Gebühren nach dem Studium zu zahlen, wenn man dann in Arbeit ist.
Die Debatte, wie sinnvoll es ist, wenn man im Grunde auf Pump studiert – so muss man das Ganze dann ja auch nennen – gibt es seit Jahren. Wir stellen fest, dass junge Menschen nicht nur von heute auf morgen leben wollen, sondern sich Gedanken darüber machen, wie der weitere Lebensweg aussehen soll. Ich höre von vielen, dass dieser Vorschlag sogar so unattraktiv ist, dass sie dann mit einem Studium gar nicht erst anfangen wollen. Wir von der SPD finden, dass es für junge Menschen tatsächlich kein guter Weg ist, erstmal auf Pump zu studieren und dann zu schauen, wie das zurückgezahlt werden kann. Vor allem, wenn man nicht aus Elternhäusern kommt, in denen sich darauf verlassen werden kann, dass die Eltern einspringen, wenn alle Stricke reißen. Wir haben schon heute eine große Spreizung was die Hintergründe von den Studierenden angeht. Viel weniger Arbeiterkinder fangen ein Studium an oder ziehen es auch tatsächlich bis zum Ende durch. Ich halte das für keinen gangbaren Vorschlag, wenn wirklich Menschen aus allen Hintergründen die Möglichkeit gegeben werden soll, zu studieren. Und das BAföG muss sowieso schon zum Teil zurückgezahlt werden. Junge Menschen dann noch weiter zu belasten, kann kein guter Weg sein.
Kommen wir zur Frage der Finanzierung. Es wurde konstatiert, dass im Haushalt von 2026 noch eine große Finanzierungslücke klafft. Wie könnte eine ausbleibende Verwaltungsgebühr gegenfinanziert werden?
Ich finde, auch das ist ein Scheinargument. Wir haben als SPD-Fraktion bei den Haushaltsverhandlungen Anträge gestellt, wie man den Haushalt anders hätte aufstellen können. Gerade diese Verwaltungsgebühren für junge Menschen werden erstens den Haushalt nicht ausgleichen, denn wir haben ein strukturelles Defizit von 200 Millionen. Was will die Landesregierung dann nächstes Jahr machen? Wir haben die große Sorge, dass das ein Einfallstor für zukünftige Erhöhungen ist, weil Konservative und Grüne die 60€ nie wirklich beziffert haben. Warum 60, warum nicht auf einmal 80 oder gar noch mehr? Das ist die erste Sorge. Zweitens haben wir Gegenvorschläge gemacht, wie man im Haushalt die Mittel anders auslegen könnte. Günther sagt ja immer, alle müssten sparen. Soll er doch bei sich selbst anfangen. Einsparpotenziale sehen wir zum Beispiel bei den vielen Posten für Staatssekretär*innen. Das wäre ein Zeichen gewesen für alle, dass man erstmal bei sich selbst anfängt und nicht gleich bei der Gruppe der Studierenden, die gerade ohnehin schon besonders struggelt.
Die Eltern wollte die Landesregierung auch nochmal zusätzlich belasten mit Kitagebühren. Es zieht sich im Grunde genommen wie ein roter Faden durch die Haltung dieser Landesregierung. Sie gucken immer erstmal, wie sie die Lasten bei den anderen noch weiter erhöhen, anstatt bei sich selbst anzufangen. Vorschläge, wie man insgesamt eine bessere Haushaltspolitik hinbekäme, haben wir der Günther-Regierung gemacht. Dazu gehört auch, die Einnahmenseite zu erhöhen. Wie wäre es mit der Wiedereinführung der Vermögenssteuer, die ist nur ausgesetzt. Das ist eine Steuer, die komplett an die Länder geht. Da haben wir Günther schon mehrmals das Angebot gemacht, dass wir initiativ werden können – auch aus Schleswig-Holstein heraus. Mögliche Lösungen gäbe es also genügend. Verwaltungsgebühren sind für uns aber keine Option!
Sehen Sie die Gefahr, dass es in gewisser Weise zu gesellschaftlichen Verwerfungen kommen könnte nach dem (verkürzten) Motto „Bomben statt Butter“. Also dass in Aufrüstung auf der einen Seite jetzt viele Gelder fließen können, was natürlich auch für die insgesamte wirtschaftliche Entwicklung gut sein könnte, aber auf der anderen Seite an Studierenden gespart wird, auf Bundesebene Bürgergeld vermutlich gekürzt wird und so weiter.
Wir haben schon einen großen Konsens über Parteigrenzen hinaus, was unsere Verteidigungsfähigkeit anbelangt. Viele Menschen haben derzeit auch ein unsicheres Gefühl. Im Bereich der Bundeswehr sind in den letzten Jahren auch Dinge liegengeblieben. Das eine ist unsere Verteidigungsfähigkeit, bzw. das Sicherheitsempfinden, aber auch das Nachkommen unserer Verpflichtungen als Nato-Partner. Das andere ist aber – das haben wir schon die ganze Zeit gesagt -, dass wir die äußere nicht gegen die soziale Sicherheit ausspielen dürfen!
Auch dafür gibt es die 500 Milliarden Euro an Sondervermögen. Aber auch hier war die Union erst dagegen. Da haben die gesagt, dass man das alles gar nicht braucht. Jetzt ist es da. Und wir wollen, dass gerade im sozialen Bereich nicht gespart, sondern im Gegenteil sogar investiert wird! Durch das Sondervermögen auf Bundesebene muss man jetzt genau schauen, was die investiven Maßnahmen im Haushalt sind. Sind Vorhaben dann über das Sondervermögen finanzierbar, damit mehr Raum im regulären Haushalt da ist, gerade für den sozialen Bereich und eben auch was Studierende anbelangt? Damit wir gerade auch hier Menschen entlasten.
Man muss also wirklich beides machen. Nur dann werden die Bürger*innen sehen: Okay, das eine ist zwar unsere Verteidigungsfähigkeit, aber auch wir werden nicht vergessen und in welchen Situationen wir teilweise leben. Das gilt wie gesagt für Studierende, für Auszubildende oder zum Beispiel auch für Alleinerziehende.
Studierende gehören außerdem mit zu der Gruppe, die am meisten armutsgefährdet ist. Auch das ist ein ganz klares Zeichen dafür, diese Gruppe von Menschen nicht noch zusätzlich zu belasten.
Daniel Günther ist vor Kurzem in die Schlagzeilen gekommen, weil er den Vorschlag gemacht hat, auf Bundesebene mit der Linken über eine grundsätzliche Reform der Schuldenbremse zu diskutieren. Merken Sie im Land auch eine solche Verhandlungsbereitschaft von Herrn Günther?
Bevor er zu den Linken hinüberguckt, hätte er auch einfach mal bei uns vorbeischauen können. Ich schlage ihm schon seit mehreren Jahren vor, dass wir initiativ werden müssen, was die Reform der Schuldenbremse anbelangt. (Wir haben zwar jetzt das Sondervermögen und die Angleichung der Schuldenregel vom Bund auf die Länder. Das finde ich auch gut, aber es ist nur ein erster Schritt.) Um ehrlich zu sein, brauchen wir Günther gar nicht mehr, weil wir das jetzt schon bereits in Berlin und dort sogar mit Merz umgesetzt haben. Er kommt zu spät und will jetzt noch auf diesen Zug mit aufspringen. Den hat er aber tatsächlich verpasst. Da hätte er sich vorher mal auf unsere Seite stellen sollen.
Was sind jetzt die Schritte der SPD, um die Verwaltungsgebühren doch noch zu verhindern? Was könnte noch gemacht werden?
Wir haben in den letzten anderthalb Jahren festgestellt, dass immer dann, wenn der Protest am lautesten und stärksten war, die Landesregierung sich am Ende doch nicht getraut hat. Wir haben derzeit das Gesetzgebungsverfahren laufen. Das heißt, die SPD bleibt an dem Thema auf jeden Fall weiterhin dran. Wir werden unsere kritischen Fragen stellen und unser klares Nein zu Studiengebühren weiterhin bekräftigen. Mit vereinten Kräften, vor allem mit Protest, kann man dafür sorgen, dass sich diese Regierung nochmal bewegt. Mein Rat wäre es, sehr sehr laut zu sein. Den Protest nochmal, wenn die Anhörungen im Landtag sind, zum Ausdruck zu bringen. Das kann wie gesagt gelingen, das haben wir auch schon an anderer Stelle geschafft.
Sie waren auch an den Koalitionsverhandlungen im Bund beteiligt. Wie ist der Drahtseilakt zwischen Oppositionsführerin im Land, sozusagen als Gegenspielerin der CDU und vertraulichen Gesprächen in Berlin. Ist das manchen Situationen schwierig?
Das eine ist, was ist gut für Schleswig-Holstein. Meine Aufgabe, erst recht als Oppositionsführerin, ist es, klar und deutlich zu machen, dass es eine bessere Wahl zum Regierungshandeln der Günther-Regierung gibt. Wir bringen die SPD-Positionen hier sehr klar und deutlich zum Ausdruck – so wie jetzt bei den Verwaltungsgebühren zum Beispiel. Wir sind überzeugt davon, dass Bildung nichts kosten darf, weil es immer auch um Chancen geht. Auf der anderen Seite haben wir nach der Bundestagswahl die Situation gehabt, wenn man sich die demokratischen Mehrheiten anschaut, dass es im Moment eben leider nur für schwarz-rot reicht. Da muss man schauen, inwieweit man sich aufeinander zubewegen kann. Am Ende geht es ums Land. Wir sind in einer schwierigen Situation und unsere Aufgabe ist es, gute und gerechte Politik zu machen. Das ist die Erwartungshaltung der Bürgerinnen und Bürger. Und das war auch mein Leitsatz, mit dem ich in diese Koalitionsverhandlungen gegangen bin. Für die Bereiche Familie, Kinder, Jugend, Senioren, Demokratie und Frauen konnte ich einiges mit der Union aushandeln. Aber es brauchte Überzeugungskraft. Wir hatten an der einen oder andern Stelle Kulturkampf-Fragen, da sind wir wirklich aneinandergeraten. Die SPD vertritt einfach eine grundsätzlich andere Haltung, was Gleichstellungspolitik angeht, vor allem, was Frauenpolitik und zum Beispiel auch Vereinbarkeit von Familie und Beruf anbelangt. Wir gehen da von komplett unterschiedlichen Rollenbilder aus. Am Ende ist das Wesen eines Kompromisses, dass man zusammenfindet.
Als letzte Frage auch nochmal zur Koalition: Wie möchten Sie auf Bundesebene die Situation der Studierenden verbessern? Konnten Sie sich auf etwas einigen mit der Union?
Grundsätzlich ist es so, dass wir immer wieder versuchen, das BAföG so auszugestalten, dass es eine Sicherheit für junge Menschen gibt, damit sie sich auf das Studium konzentrieren können. Insgesamt gibt es für den Bereich Wissenschaft und Forschung nochmal mehr Mittel. Wir haben versucht, vieles aus dem Sondervermögen heraus, was Investitionen anbelangt, dort zu tätigen. Dann gibt es noch Spezialbereiche, in denen wir Innovation und Forschung fördern wollen, was am Ende auch den Studierenden zugutekommen soll. Aber in erster Linie geht es darum, die Studierenden auch finanziell nicht weiter zu belasten, sondern eher zu entlasten. Das war und ist immer auch die Aufgabe der Sozialdemokratie.
Jesse ist 22 Jahre alt und studiert Sozio-Ökonomik an der CAU. Seit dem Sommersemester 2022 schreibt er für den ALBRECHT. Mittlerweile leitet er das Hochschulressort.