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Maschinelle Gefühle in einer fleischlichen Welt

Hey ChatGPT, was ist das Menschlichste am Menschen?

Das Menschlichste am Menschen ist vielleicht genau das, was nicht perfekt ist: unsere Fähigkeit zu fühlen, zu zweifeln, zu hoffen, zu scheitern – und trotzdem weiterzumachen. Es ist das Mitfühlen mit anderen, das Suchen nach Bedeutung, die Sehnsucht nach Nähe. Unsere Zerbrechlichkeit genauso wie unser Mut, trotzdem zu lieben, zu vertrauen, zu träumen.

Ein Mensch ist nicht berechenbar wie ein Algorithmus. Wir sind ein Chaos aus Erinnerungen, Gedanken und Emotionen – und genau darin liegt unsere Schönheit.

Fühlen als Stärke

Evolutionär gesehen erfüllt Fühlen für uns Menschen überlebenswichtige Aufgaben. Wut hilft uns, Grenzen zu setzen und für uns einzustehen. Angst warnt uns vor Gefahr. Liebe schafft Bindung und fördert Zusammenarbeit. Gefühle sind also keine Schwäche, sie sichern unser Überleben. Emotionen erlauben es uns, in Gemeinschaft zu leben. Sie bewirken Mitgefühl und Empathie. Ohne sie wären wir allein – und auf Dauer psychisch krank.

In vielen Bereichen unserer Gesellschaft erleben wir eine zunehmende Bewegung zur Optimierung, alles muss schneller, besser und effizienter funktionieren. Die Gesundheit des Menschen wird zunehmend als Schlüssel betrachtet, um das Rentenalter zu verlängern und die Arbeitskraft zu sichern. In diesem Kontext spielt Künstliche Intelligenz eine entscheidende Rolle. Sie ermöglicht es uns, schneller zu arbeiten, indem sie viele Denkvorgänge übernimmt und die Notwendigkeit verringert, selbstständig nach Lösungen zu suchen.

Während Künstliche Intelligenz und Optimierung viele Vorteile in der Arbeitswelt und darüber hinaus bieten, stellen sich zunehmend Fragen über das, was uns menschlich macht. Denn in all der Effizienz und Geschwindigkeit, die durch Technologie erreicht wird, bleibt eine entscheidende Frage unbeantwortet: Was passiert mit unseren Gefühlen, unseren Beziehungen und unserer Fähigkeit zur echten, menschlichen Verbindung? In einer Welt, die immer mehr von Maschinen und Algorithmen gesteuert wird, könnte es sein, dass genau das verloren geht, was uns als Menschen ausmacht – unser Mitgefühl und die Fähigkeit, wirklich füreinander da zu sein.

Auch bei Emotionalen Angelegenheiten wird ChatGPT zum Ratgeber für viele. Foto: Airam Dato-on

Gefühle für die Gesellschaft

Fühlen wird in unserer Gesellschaft oft negativ bewertet. Wer wütend ist, gilt schnell als unberechenbar oder unangenehm. Dabei liegt in Wut eine enorme Kraft – gerade in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen. Die Debatte um Gleichberechtigung zum Beispiel lebt davon, dass Flinta* laut werden, wütend sind und damit deutlich machen: Es braucht Veränderung. Dr. Leon Windscheid hat in seinem Buch Besser fühlen“ erklärt, dass Wut Energie freisetzt, um sich Problemen zu stellen. »Wut selbst ist nicht das Problem, sondern der erste Schritt zur Lösung«.

Gefühle zulassen – eine Übung

Ein tröstlicher Gedanke für Momente, in denen Gefühle übermächtig erscheinen: Jede Emotion dauert – biologisch betrachtet – nur etwa 90 Sekunden, wenn wir es zulassen, statt wegzuschieben. Spürst du zum Beispiel Angst bewusst dort, wo sie sich in deinem Körper zeigt, kann sie sich von selbst wieder lösen. Schiebst du sie hingegen beiseite, kommt sie oft gestärkt zurück.

Ein Mensch, der lernt, seine Gefühle zu fühlen, wird merken: Sicherheit wächst, Beziehungen vertiefen sich, und das eigene Selbstbild wird klarer. Wut lässt nicht mehr Rot sehen, sondern Lösungen.

Der programmierte Trost

KI kann viele Aufgaben übernehmen und uns bei unseren täglichen Herausforderungen unterstützen. Vielleicht sollten wir uns beim nächsten Mal fragen: Wenden wir uns lieber an eine geliebte Person, um Rat oder Mitgefühl zu suchen, anstatt an eine Maschine, die nur vorgibt, sich um uns zu kümmern? Denn echtes Mitgefühl ist mehr als nur tröstende Worte, es ist eine Brücke zu echter Verbindung. Eine KI kann uns die Worte sagen, die wir hören wollen, und uns so Trost spenden. Sich einem anderen Menschen zu öffnen, schafft etwas Tieferes: es baut eine Gemeinschaft auf und hilft uns nachhaltig.

Isabella studiert seit dem Wintersemester 23/24 Sportwissenschaft im Master. Seit dem Sommersemester 2024 ist sie beim ALBRECHT.

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