Was steckt hinter dem Spruch auf der Juridicumswand?

Wer in letzter Zeit abends oder nachts auf der Olshausenstraße am Juridicum vorbeigekommen ist, wird sich wahrscheinlich sehr gewundert haben. Denn seit neuestem wird die Außenwand des Juridicums nachts von mehreren Scheinwerfern bestrahlt. Dort lässt sich lesen: „Recht ist Wille zur Gerechtigkeit“. Der Spruch stammt von Gustav Radbruch (1878 – 1949), der als einer der einflussreichsten Rechtsphilosophen des vergangenen Jahrtausends gilt.  

Warum Gustav Radbruch? 

Radbruch hat eine gewisse Verbindung zu Kiel. Geboren wurde er in Lübeck, er arbeitete aber nach seinem Studium erstmal als Professor in Mannheim und Heidelberg. Erst 1919 wurde er Professor an der CAU und blieb dort bis 1926. Aber auch neben der Arbeit als Professor ist er in Kiel in Erscheinung getreten. Der Kapp-Putsch von 1920, als sich der nationalistische Politiker Wolfgang Kapp zum Reichskanzler ausrufen wollte, war auch in Kiel zugange denn rechtsgerichtete Truppen probierten, die Macht in Kiel zu ergreifen. Dabei stießen sie aber auf Widerstand in Gestalt einer Front von Werftarbeitern. Radbruch versuchte zwischen den beiden Lagern zu vermitteln, um ein blutiges Aufeinandertreffen zu verhindern. Er wurde  von den Putschisten festgenommen und zum Tode verurteilt. Da der Kapp-Putsch aber kurz darauf scheiterte, kam er lebend wieder frei.  

Politisch war Radbruch für die SPD aktiv und wurde 1920 in den Reichstag gewählt. Er war damit der einzige Jurist in den Reihen der Sozialdemokraten. Ein Antrag von ihm und 54 weiteren Sozialdemokraten zur Straflosigkeit der Abtreibung wurde 1920 abgelehnt. Ein Jahr später wurde Radbruch Reichsjustizminister. Nach der Machtergreifung der Nazis wurde er aus politischen Gründen als Professor aus dem Staatsdienst entlassen. Eine Lehrstelle in Deutschland bekleidete er erst nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wieder, und zwar als Dekan in Heidelberg, wo er die juristische Fakultät wieder mitaufbaute. Nach seinem Tod wurde er in verschiedenen Städten nachträglich durch Platznamen oder anderes geehrt. In Kiel gibt es in der Nähe von OS75 eine Radbruchstraße.  

Stoßtruppfakultät Kiel 

Warum aber nun dieses Zitat von Radbruch? In der rechtswissenschaftlichen Geschichte gibt es viele Zitate, die geeignet gewesen wären. Die Fakultät sagt selber dazu, dass es auch vergangenheitsbezogene Gründe dafür gibt. Nachdem die Nazis an die Macht gekommen sind, haben sie jüdisch und politisch unpassend besetzte Professurstellen neu verteilt. Das Ergebnis war eine Gruppe an Rechtswissenschaftlern, die allesamt nationalsozialistisch ausgerichtet waren. Daraus entstand die Kieler Schule oder auch Stoßtruppfakultät genannt, da sie eine Musterfakultät der Nazis werden sollte. In Erinnerung an diese Zeit und die Lehren, die die Fakultät daraus gezogen hat, wurde das Zitat von Radbruch gewählt. So soll es das anspruchsvolle rechtsethische Selbstverständnis der Fakultät in die Zukunft gehend unterstreichen.  

Für die Studierenden? 

Zur Einweihung des Lichtspiels gab es extra eine kleine Feier mit Reden vom Dekan, dem Bürgermeister und auch der Künstlerin. Groß angekündigt wurde die Feier nicht, was sehr schade ist, denn der Spruch wurde doch, so mehrmals in den Reden betont, in Gedanken an die Studierenden ausgewählt. Stattdessen versammelten sich an dem Abend verschiedene Professor*innen, der Bürgermeister, Spender*innen und andere wichtige Persönlichkeiten in der Leibnizstraße 1, um die Einweihung des Schriftzuges zu beobachten.  

So ist jetzt nachts an dem Juridicum der Schriftzug zu sehen, was die Frage aufwirft: Warum nur nachts? Ohne Frage ist er ein Blickfänger und schon während der Einweihung sind einzelne Auto- oder Radfahrer*innen mit verdutztem Blick auf der Olshausenstraße entlanggefahren. Aber eben nur wenige, denn nachts ist da einfach wenig los. Ein Schriftzug, der die Studierenden an Radbruch erinnern soll, aber irgendwie von niemandem gelesen werden kann. Wäre da nicht eine Variante sinnvoller, die auch im Tageslicht sichtbar ist? Ideen dafür gab es. Neben den Scheinwerfern stellte die Künstlerin Gabriele Staarmann noch eine Lichtspielvariante im Juridicum vor. Da wäre der Schriftzug tagsüber lesbar gewesen und hätte so mehr Menschen erreicht. Ein Vorteil der Scheinwerfer scheint jedoch deren Anpassungsfähigkeit zu sein. Schon bei der Vorstellung wurde erwähnt, dass der Schriftzug veränderbar ist, sodass dort auch andere wichtige Zitate oder Mitteilungen stehen könnten. Wenn es denn jemand überhaupt mitbekommt. 

Der Schriftzug versteckt sich nämlich perfekt hinter den Bäumen vor dem Jurudicum. Schon von dem Fahrradweg aus ist es sehr schwer zu lesen. Überall ragt ein Ast oder ein Strauch ins Bild. … Cht ist Wille… Rechtigkeit? Was steht da? Ach egal. Aber vielleicht ist der Anblick ja besser von der anderen Straßenseite. Fehlanzeige. Überraschenderweise ist hier der Blick noch schlechter auf den Schriftzug. Sichtbar ist der ganze Satz nur, wenn mensch zu Fuß auf der richtigen Straßenseite unterwegs ist. Kurz innehalten und das Ganze kurz wirken lassen.  

Finanziert wurde das Projekt zum einen durch Spenden, aber auch durch die Fakultät selbst. Während über die Gesamtsumme wenig bekannt ist, ist zumindest bekannt, dass 50 Prozent der Kosten durch Spenden finanziert wurden. Die im letzten Jahr aufgerufene Spendensumme wurde laut eigenen Aussagen in gerade mal zehn Wochen erfüllt. Die andere Hälfte des Geldes kommt aus Rücklagen der Fakultät. Finanziert wurde das Ganze also nicht direkt von der Uni selbst. Und doch kann mensch es niemandem verübeln, wenn der Gedanke aufkommt, dass schon wieder die Rechtsfakultät etwas Imposantes bekommt, während andere Bereiche der Uni auch ein bisschen mehr Liebe verdient hätten. 

Autor*in
Stellv. Chefredakteur und Layouter

Joschka studiert seit dem Wintersemester 20/21 Soziologie und Politikwissenschaft und ist seit Ende 2022 Teil des Albrechtsteams. Dazu leitet er seit dem März 2023 das Layoutteam und ist seit Februar 2024 stellvertretende Chefredaktion.

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