Warum eigentlich steht hier ‚Guide‘ im Titel? Es wird ein Stadtteil beworben, der zentraler liegt als die Wik und doch kennen ihn viele kaum. Liegt es am Wasser und der klapprigen Brücke, dass die Menschen, die auf dem Westufer leben, sich hier so selten hin verirren oder am Hörensagen, dem schlechten Ruf? Eigentlich sollte diese kleine Übersicht über Sehenswertes in Gaarden nicht Guide heißen. Denn Gaarden muss nicht touristisch erschlossen werden. 

Der Vinetaplatz liegt vier Minuten mit dem Fahrrad vom Hauptbahnhof entfernt. Es gibt eine Fußgängerzone, zahllose Restaurants, Lebensmittelläden und Kiosks. Ein Theater, zwei Schwimmbäder, leider kein Kino und diverse Kunstgalerien. Gaarden ist nicht nur sehenswert, sondern lebenswert.  

Ich hatte mal einen ‚Guide‘ für vegetarische Restaurants in Kiel in der Hand. Das älteste vegetarische Restaurant Kiels war dort nicht aufgeführt, denn die Macher*innen dieses kleinen Veggie-Führers waren nicht auf dem Ostufer gewesen. Dabei ist das Subrosa mit veganer und vegetarischer Küche und in kollektiver Selbstverwaltung in Kiel-Gaarden seit 1995 definitiv einen Besuch wert. 

Ein frisch Gezapftes oder einen deftigen Happen Grünkohl bekommt ihr auch in der Bambule, dem Kneipenrestaurant mit Biergarten am Henry-Vahl-Platz. An diesem sternförmigen Platz mit einem der schönsten Straßenzüge Kiels befinden sich ebenfalls zwei weitere kleine Restaurants (Asia-Quick & Sofra’s Imbiss) und the one-and-only Limomarkt. Ein kleiner Kiosk mit Artikeln für den täglichen Bedarf.  

Vom Platz in den Kirchenweg abzweigend stolpert ihr zum einen über ein Mahnmal der Bürokratie: die verfallene Hausnummer 34. Dahinter liegt das Garten- und Graffiti-Projekt. 

Wer historische Wandmalereien in schlechtem Zustand lieber hat, folgt der Iltisstraße bis zur Preetzer Straße und befindet sich am Hochbunker Kiel. Dieser bietet mittlerweile Platz für Band-Räume und Konzerte, ähnlich wie die daneben liegende Räucherei.  

Zum Verweilen, guten Kaffee oder Gimbabs lädt das Café Jupiter in der Parallelstraße, der Kaiserstraße (Ecke Medusastraße) ein. Ju und Lennart, die das Café führen, haben es über Monate hinweg zu dem gemacht, was es jetzt ist: ein Kunstwerk.  

Spätestens zum 06. Mai vereinen sich alle Kunst- und Kulturschaffenden zum zweitgrößten Straßenfest Kiels neben der Kieler Woche: der Kulturrotation 143. Bei Punk im Hinterhof und Poesie im Waschsalon lässt sich das Viertel noch einmal ganz neu erleben. 

Aus der Medusastraße weiter Richtung Werftstraße kommt ihr zum Bahide-Arslan-Platz. Hier befindet sich ‚Fire and Flames‚, ein Buch- und Plattenladen mit politisch links orientierter Literatur. Die Namensgeberin des Platzes starb mit ihrer Enkelin und deren Cousine durch die Flammen eines rechtsextremistisch motivierten Brandanschlages 1992 in Mölln und erinnert hier bis zum heutigen Tag an die faschistische Vergangenheit Deutschlands. 

Der Buchladen mit bruchsicheren Plexiglasscheiben macht uns die selbe Gegenwart bewusst. 

Vom jugendstilgeprägten Viertel der arbeitenden Bevölkerung zum beeindruckenden Werft-Panorama ist Gaarden immer ein Viertel mit Reibung, ein aufregendes Viertel geblieben. 

Wer sich hier umsieht, entdeckt immer wieder Altes, Neues und Spannendes. Es lohnt sich. 

Autor*in

Tim studiert Praktische Philosophie und ist seit Januar 2023 Teil der Redaktion.
MIt 13 Jahren hat er seine ersten Zeitungen verteilt und jetzt schreibt er selbst an einer mit; die er dann auch wieder verteilt.

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