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„Diesmal sind wir zu weit gegangen. Selbst für uns“, entfährt es gegen Ende des ersten Bands von „Kick-Ass 2“ einem der Schurken. Selbiges dürften sich auch Autor Mark Millar und Zeichner John Romita jr. mehr als einmal gedacht haben, setzt ihr Comic doch neue Maßstäbe, wenn es darum geht, das Superhelden-Genre zu verwüsten. Aber alles der Reihe nach.

Im Vorgänger zwängte sich Teenager Dave bekanntlich in einen bei eBay ersteigerten Kampfanzug und bekam bei dem Versuch, Verbrecher zu bekämpfen fast ausschließlich auf die Mütze. Als Handlanger der erst elfjährigen Kampfmaschine Hit-Girl gelang es ihm dennoch, zum YouTube-Phänomen aufzusteigen und das Kartell der lokalen Mafia-Größe Johnny G. zu zerschlagen, der seit dieser Aktion bei den Fischen schläft. Und wie es im Internetzeitalter nun einmal ist, ziehen derartige Erfolge Nachahmer nur so an.

 „If the Kids are united, they can never be divided?“

„Kick-Ass 2“ knüpft hier nahtlos an und erzählt, wie Dave sich mit anderen selbsternannten Weltverbesserern zusammenschließt. Dies funktioniert zunächst überraschend gut: Nacht für Nacht hilft man betrunkenen Teenagern, sicher nach Hause zu kommen und verpasst am Wochenende ein paar Kleinkriminellen auch schon mal eine übertrieben brutale Abreibung. Das Superhelden-Live-Rollenspiel findet allerdings ein jähes Ende, als Daves alter Gegenspieler Red Mist wieder auf der Bildfläche erscheint. Der Sohn Johnny G.s hat sich fest vorgenommen den Tod seines Vaters zu rächen und beginnt mit einem gemieteten Killerkommando einen Amoklauf, dem Dave und seine Kollegen außer gutem Willen kaum etwas entgegenzusetzen haben.

Es sind diese Momente, in denen der Held jäh auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt wird, die Millar und Romita zu einer wahren Meisterschaft entwickelt haben. Wie schon im Erstling folgen sie zwar recht genau den tradierten Mustern der Heldwerdung im Comic, injizieren ihnen aber beständig unangenehme Realitätsschocks, die dem Genre eine Relevanz verleihen, wie sie kaum ein anderer Superheldentitel im 21. Jahrhundert mehr aufweist.

„Das Gegenteil von gut, ist gut gelaunt“

Die Härte, mit der sie dies tun, zeugt von dem tiefen Fatalismus, mit dem die beiden Künstler auf die Gegenwart blicken. Die Bösen wollen hier nicht mehr die Weltherrschaft an sich reißen, sie vollziehen Straftaten wie sie tagtäglich in den Nachrichten zu sehen sind, die in einem Genre indem die Sympathieträger stets unverletzlich erscheinen aber umso mehr erschüttern. „Kick-Ass“ ist von äußerster Brutalität, aber nicht weil er sich visuell an der Gewalt weidet – das Grauen lauert im Comic seit jeher außerhalb der Bilder, wo wir mit unserer Phantasie alleine sind. Nein, „Kick-Ass“ ist so hart, weil seine Macher so gut sind. Die Präzision mit der sie Pointen und Schocks servieren, würde einem Chirurgen zur Ehre gelangen und wie jeder wahre Künstler kennen sie keine Grenzen.

Die hier versammelten ersten vier Hefte der achtteiligen Miniserie münden folglich auch in einem Finale, nach dem man für eine mehrmonatige Atempause dankbar ist. Hollywood hat sich in der Zwischenzeit längst die Filmrechte gesichert, anders als beim Vorgänger dürfte es jedoch ein Ding der Unmöglichkeit sein, einem Massenpublikum diesen Stoff noch als Komödie zu verkaufen. Mit „Kick-Ass 2“ sind Millar und Romita zweifelsohne sehr weit gegangen – selbst für ihre Verhältnisse. Das Ende ihres Weges haben sie aber noch lange nicht erreicht.

Mark Millar/John Romita, Jr.: Kick-Ass 2 – Band 1. Panini. 108 Seiten (farbig), Softcover. 12,95 Euro.

Comics des Monats

„Die Kolonie“

Titel: Die Kolonie

Autor: Charles Burns

Verlag: Reprodukt. 56 Seiten (farbig), Hardcover. 18 Euro.

Wertung: ****½

Schon Charles Burns im März veröffentlichter Comic „X“ eignete sich nicht nur perfekt dazu, unerwünschte Frühlingsgefühle abzutöten – er verbannte sie auch gleich in einen Winkel der Seele, von dem aus sie nie wieder Tageslicht erblicken dürften. Die Fortsetzung „Die Kolonie“ verscheucht nun die letzten Ausläufer der Sommers und schwört auf andauernde Dunkelheit ein. In gewohnt verstörender Manier schildert Burns wie Teenager Doug im Fieberwahn durch eine Fantasiewelt stolpert, die aussieht als hätte sie „Tim und Struppi“-Schöpfer Herge während eines schlechten Trips zu Papier gebracht. Gleichzeitig offenbaren realistisch gezeichnete Rückblenden Dougs schwierige Beziehungen zu seiner Ex-Freundin Sarah (die in seinem Traum als eine Art menschliche Bienenkönigin erscheint) und seinem Vater. Auf diese Weise entsteht eine düster-faszinierende Charakterstudie von erstaunlicher emotionaler Tiefe und Burns gewohnter formaler Brillanz. Gerade wenn man den Eindruck erhält, man wisse endlich, wohin die Erzählung steuert, dreht uns der Künstler natürlich eine lange Nase und verweist auf das in Kürze erscheinende Finale „Zuckerschädel“. „Die Kolonie“ bleibt somit ein grandios unbefriedigendes Leseerlebnis, dass derzeit völlig zurecht in sämtlichen Feuilletons abgefeiert wird. Charles Burns ist der Einserschüler unter den Comicsadisten.

„Mach‘s gut, Chunky Rice“

Titel: Mach‘s gut, Chunky Rice

Autor: Craig Thompson

Verlag: Reprodukt. 128 Seiten (s/w), Softcover. 16 Euro.

Wertung: ***

Burns Landsmann Craig Thompson ist dagegen ein eher umgänglicher Zeitgenosse. Verständlich, betrachtet man den beispiellosen Aufstieg den er seit der Veröffentlichung seines autobiografischen Großwerks „Blankets“ hingelegt hat. Da ein bisschen Trübsinn aber sein muss, erscheint nun sein Frühwerk „Mach‘s gut, Chunky Rice“ in deutscher Erstveröffentlichung. Bei der Titelfigur handelt es sich um eine junge Schildkröte, die ihre Zelte in einer Hafenstadt abbricht, um auf einer nicht näher beschriebenen Insel sein Glück zu suchen. Warum sie das macht, enthält Thompson uns vor – Hauptsache es wird gelitten. Denn Chunky lässt seine beste Freundin, die Mäusedame Dandel ebenso zurück, wie seinen schlicht gestrickten Mitbewohner Salomon. Zugegeben: Thompsons Talent für eindrucksvolle schwarz-weiß Zeichnungen und Seitenkompositionen ist hier bereits unverkennbar, zudem erweicht die große Emotionalität mit der Chunkys Abschied von Dandel geschildert wird einem das Herz. Auf den pausenlos in breitem Idiolekt schwadronierenden Sidekick Salomon hätte man hingegen gut verzichten können, ebenso wie auf den löchrigen Handlungsverlauf. Anfang? Gibt‘s nicht. Ende? Ebenso wenig. Und dazwischen fehlt auch so einiges. Am Schlimmsten aber ist, dass da der fehlende Grund für Chunkys Abreise den Eindruck erzeugt, Thompson konstruiere mutwillig einen Anlass um seine Figuren leiden zu lassen. Das ist keine Dramatik, das ist Tierquälerei.

„Driver for the Dead“

Titel: Driver for the Dead

Autor: John Heffernan (Skript), Leonardo Manco (Zeichnungen)

Verlag: Splitter. 150 Seiten (farbig), Hardcover mit Schutzumschlag. 22,80 Euro.

Wertung: ****

Ein bisschen Aufmunterung zwischen all den psychischen Qualen gefällig? Bitteschön: Eklige Vodoorituale, glitschige Zombies und Werwölfe, die nicht nur spielen wollen – so etwas versteht der hartgesottene Comicleser unter Spaß. Recht hat er: „Driver for the Dead“ erzählt die handfeste und formschöne Horror-Story des Leichenwagenfahrers Alabaster Graves, der in New Orleans dafür sorgt, dass die Toten unter die Erde kommen, bevor sie durch irgendeinen Mumpitz wieder lebendig werden. Trotz Vampiren und ähnlichem „Twilight“-Gesindel eigentlich ein entspannter Job, bis eines Tages der Voodoo-Priester Moses auf Alabasters Bahre liegt. Auf einmal hat er nämlich nicht nur dessen ebenso attraktive wie zickige Enkelin an der Backe, sondern auch allerlei untotes Gesindel, dass sich nicht so einfach vom Reifen kratzen lassen will. Zugegeben: „Driver for the Dead“ präsentiert sich inhaltlich als Mix aus altbekannten Monstern und Mythen, serviert diesen Eintopf aber extrem gut zubereitet. Die grandiosen Zeichnungen sind beinahe fotorealistisch ohne sich in ihrer eigenen Kunstfertigkeit zu erschöpfen und erzeugen somit einen beinahe filmischen Fluss auf Papier. Das macht den Comic zur wohl einzigen Fahrt im Leichenwagen, an die man sich gerne zurückerinnert.

„Ikigami“

Titel: Ikigami – Der Todesbote Bd.1

Autor: Motoro Mase

Verlag: Carlsen Manga. 208 Seiten (s/w), Taschenbuch. 7,95 Euro.

Wertung: **

Nach all den amerikanischen Publikationen geht der Blick nun nach Japan und schon ist schlagartig wieder Schluss mit lustig. Irgendwann soll Nippon ja mal das „Land des Lächelns“ gewesen sein, seine Mangas können das allerdings gut verbergen. Titel wie „Battle Royale“, in denen die Regierung Schulklassen zwingt in einem Kampf auf Leben und Tod gegeneinander anzutreten, zeugen überdeutlich von einem gestörten Verhältnis zwischen den Comic-Künstlern und ihrer Heimat. Da macht auch „Ikigami“ keine Ausnahme, wenngleich es in der Zukunftsvision etwas gemäßigter zugeht: Hier erhält jeder Japaner bei der Einschulung eine Impfung, in der sich in einem von tausend Fällen eine Kapsel befindet, die den Betreffenden zwischen dem 18. und dem 25. Lebensjahr tötet. Ziel dieser ziemlich abstrusen Regelung ist es, die Bevölkerung dazu zu bringen ihr Leben mehr zu schätzen. Als ständige Hauptfigur von „Ikigami“ fungiert dabei der junge Staatsbedienstete Fuyimoto, dessen Aufgabe es ist, den Todgeweihten die Nachricht ihres bevorstehenden Todes zu überbringen. Wenngleich das Szenario interessant und durchdacht präsentiert wird, nutzt sich sein erzählerisches Konzept (pro Episode werden die letzten 24 Stunden eines der Unglücklichen gezeigt) bereits im ersten Band ab. Seine Zeit sollte man folglich besser nutzen als mit dieser Lektüre – vielleicht lässt dann auch die japanische Regierung mal Milde walten.

Wiederveröffentlichung des Monats

„Batman Knightfall“

Titel: Batman Knightfall: Der Sturz des dunklen Ritters 2

Autor: Doug Moench/Chuck Dixon/Alan Grant (Skript), Jim Aparon/Klaus Janson u.a. (Zeichnungen)

Verlag: Panini. 284 Seiten (farbig), Softcover. 24,95 Euro.

Wertung: ****½

Nicht einmal an Batman geht dieser Monat der Tiefschläge vorbei, wie der zweite Teil der „Knightfall“-Trilogie zeigt: Nachdem ihm Bane die erste wirkliche Niederlage seiner Karriere beigebracht hat, landet er mit gebrochenem Rückgrat halb tot auf den Straßen Gothams. Zwar gelingt seinen Verbündeten gerade noch eine Notoperation, aber an einen Einsatz als maskierter Rächer ist ab sofort nicht mehr zu denken. Schlimmer noch: Der dunkle Ritter ist gebrochen und hat scheinbar jeden Lebenswillen verloren. Um die Stadt nicht im Chaos versinken zu lassen, schlüpft der junge Jean-Paul Valley in das verwaiste Cape und patrouilliert fortan durch die nächtlichen Straßen. Physisch durchaus ein ebenbürtiger Nachfolger, legt Valley allerdings einen brutalen Fanatismus an den Tag, der nicht nur Gothams Unterwelt das Fürchten lehrt. Inhaltlich nach wie vor herausragend hätte dieser Meilenstein des Comics doch eine würdigere Neuauflage verdient: Tusche und Kolorierung hätten eine Auffrischung verdient, um die fast 20 Jahre alte Geschichte an heutige Standards anzugleichen. Auch fehlt leider eine Covergalerie, was bei den herausragenden Arbeiten, die diesbezüglich angefertigt wurden, besonders ins Gewicht fällt. Aber egal in welcher Form und Präsentation: Wer einmal gesehen hat, wie Bane sich des besiegten Batmans wie eines Haufen Mülls am Straßenrand entledigt, wird „Knightfall“ nie wieder vergessen.

Sekundärliteratur des Monats

„Alfons – Der Comicreporter“

Titel: Alfons – Der Comicreporter, 1/2012

Autor: Volker Hamann/Matthias Hofmann (Herausgeber)

Verlag: Edition Alfons. 84 Seiten (farbig), Softcover. 6,95 Euro.

Wertung: ***½

Und zum Abschluss dann doch noch mal was Erfreuliches: Obwohl es Sekundärliteratur hierzulande erfahrungsgemäß schwer hat, lassen sich Volker Hamann und Matthias Hofmann nicht beirren und lancieren neben ihrem jährlichen „Comic-Report“ nun auch ein vierteljährlich erscheinendes Magazin. Die Qualität der ersten Ausgabe gibt ihnen weitestgehend Recht: Das Layout ist ansprechend, die Artikel fundiert und im Umfang ihren Sujets angemessen. Das Themenspektrum deckt von Klassikern über Mangas und Verfilmungen ein erfreulich breites Feld ab, lobend hervorzuheben ist besonders der Artikel „The Avengers – Das nächste Kapitel der Originstory des neuen Supermediums“, in dem sich Koryphäe Georg Seeßlen gewohnt scharfsinnig über den Medienwechsel von Comic und Film auslässt. Als einziges Sorgenkind erweist sich ausgerechnet das Herzstück eines jeden Magazins, der Rezensionsteil. Mit der Aktualität hinkt es ja bei vierteljährlicher Veröffentlichung ohnehin, erschwerend kommt aber hinzu, dass die Redaktion alles super bis schlechtenfalls mittelmäßig findet. Und im Anschluss folgt eine Strecke mit unübersichtlich sortierten Neuvorstellungen, von denen man sich fragen muss, warum sie nicht gleich in die Rezensionen integriert wurden.

Janwillem promoviert am Institut für Neuere deutsche Literatur- und Medienwissenschaft. Er schreibt seit 2010 regelmäßig für den Albrecht über Comics und Musik, letzteres mit dem Schwerpunkt Festivalkultur.

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