Strangers in Paradise XXV
Autor: Terry Moore.
Verlag: schreiber&leser. 232 Seiten, Softcover (s/w). 24,95 Euro.
Das ausladende Epos Strangers in Paradise (1993-2007) bescherte dem alternativen amerikanischen Comic einst sein wohl unwahrscheinlichstes Pin-Up-Girl: Die kurzgeratene, stets latent aggressive Katina Choovanski, genannt Katchoo, die kein Interesse an Männern hatte und stets bereit war, diesen Standpunkt auch mit einem gezielten Faustschlag zu untermauern. Dass ihr Herz seit High-School-Zeiten BFF Francine gehörte, die sich krampfhaft an ihre Heterosexualität klammerte, sorgte damals ebenso für Komplikationen wie Katchoos kriminelle Vergangenheit. Entsprechend dauerte es stolze 14 Jahre, bis die Frauen schließlich zueinander fanden und fortan glücklich bis ans Ende ihrer Tage lebten…
…oder zumindest bis zu dem Tag, an dem Katinas ehemalige Komplizin Stephanie sich mit einem Diebstahl übernimmt und nun im Tausch gegen Immunität über ihre Vergangenheit auszupacken droht. Um ihrFamilienglück mit Francine zu schützen, sieht Katchoo keine andere Wahl, als die Mitwisserin zur Strecke zu bringen, bevor diese sie belastet kann. Es ist also die alte Geschichte vom pensionierten Helden, der sich noch einmal zu einem letzten Himmelfahrtskommando aufraffen muss. DiePseudo-Rente ist an Katina allerdings nahezu spurlos vorbei gegangen – in zweieinhalb Dekaden ist sie bestenfalls die Schaltjahre gealtert.
Die Welt, in der sich bewegt, ist hingegen eine andere geworden. Die patentierte moralische Überlegenheit von einst läuft heute zunehmend ins Leere: Der Wirt einer schäbigen Pension, in der Katchoo auf ihrer Suche absteigt, sieht sich hinter dem Tresen scheinbar ungeniert pornographische Websites an. Als sie ihn gewohnt rüde zurechtweist, antwortet der Mann mit müdem Blick auf Spanisch: „Meine Tochter ist verschwunden, ich suche sie auf den Seiten.“ Katina versteht die Sprache nicht. Der traurigste Moment der letzten 25 Jahre bleibt ihr erspart.
Es ist ein Lied vom Ende der modernen Gesellschaft, das hier angestimmt wird. Je näher Katina ihrem Ziel kommt, desto deutlicher erkennt sie die Tragweite ihrer Suche: Durch Industriespionage ist Stephanie in den Besitz einer waffenfähigen Formel gelangt, deren Umsetzung das Ende des Planeten herbeiführen könnte. Dazu passend zerlegt auch Autor Tony Moore die uns bekannte Welt und setzt sie aus Versatzstücken seiner eigenen Serien neu zusammen: Er lässt Katchoo in die Handlung von Rachel Rising (2011-16) stolpern, holt die Hauptfiguren aus Echo (2008-11) und Motor Girl (2016-17) zurück und spinnt damit die Fäden, die in der bereits angekündigten Fortsetzung Five Years zu einem Patchwork, in dem fast 30 Jahre alternativer Comic-Geschichte kulminieren, verknüpft werden. „There is no Rest for the Wicked“ –Katina dämmert es langsam. (8/10)
Mister Miracle Megaband: Darkseid ist.
Autor: Tom King (Skript) & Mitch Gerards (Zeichnungen)
Verlag: Panini. 308 Seiten, Softcover (farbig). 30 Euro.
Einst sah Scott Free als Thronfolger des hochentwickelten Planeten New Genesis einer strahlenden Zukunft entgegen. Heute vegetiert er unrasiert im ausgewaschenen Batman-T-Shirt auf seiner irdischen Couch dahin – wenn er nicht gerade als lebensmüder Entfesselungskünstler Mr. Miracle Kopf und Kragen riskiert, um die Miete zahlen zu können. Scott ist das Opfer einer besonders traumatischen Patchwork-Adoleszenz: Um den Frieden mit der Kriegswelt Apokolips zu gewährleisten, tauschte sein Vater die Söhne mit dessen Herrscher Darkseid. Nach Jahren einer Erziehung, die einzig aus Drill und Folter bestand, gelang Scott schließlich die Flucht zur Erde.
Dort ist er nach einem Selbstmordversuch auf dem Tiefpunkt angekommen, als ihn eine weitere Hiobsbotschaft erreicht: Sein Vater wurde ermordet, womit das Friedensabkommen hinfällig und Scott gezwungen ist, gegen Darkseid ins Feld zu ziehen. Er wähnt sich als Opfer einer dämonischen Intrige – oder aber seiner derangierten Psyche, die Wahn und Wirklichkeit nicht mehr auseinander halten kann.
Mister Miracle zählt ursprünglich zu den weniger bekannten Schöpfungen Jack Kirbys (1917-1994), der in den 1960ern gemeinsam mit Stan Lee alle maßgeblichen Figuren des Marvel-Universums (außer Spider-Man) erfand. 1971 wechselte er zum Konkurrenzverlag DC, der ihm kreativ komplett freie Hand ließ – das Ergebnis war die episch angelegte Fourth World-Saga um New Genesis und Apokolips. Nachdem die Resonanz der Leser aber weit hinter den Erwartungen zurückblieb, wurden die Figurenmal mehr, mal mehr inspiriert durch andere Serien gereicht.
Der Zwölfteiler Mister Miracle: Darkseid ist reibt ihnen nun komplett ihren futuristischen Glanz ab und kratzt solange an der Oberfläche, bis außer Psychosen und Traumata nicht mehr viel übrig bleibt. Seltsam aber wahr: Genau dieser radikal dekonstruktive Ansatz brachte der Fourth World den Erfolg, der ihr zuvor 50 Jahre verwehrt blieb. Die Serie rasierte zwei Jahre lang die gängigen Preisverleihungen, dominierte Bestenlisten mit beinahe anmaßendem Selbstbewusstsein und gilt bereits als Klassiker des postmodernen Superheldencomics.„Lonely at the top“, fürwahr. (9/10)
Die Unheimlichen: Antigone
Autor: Olivia Vieweg
Verlag: Carlsen. 64 Seiten, Hardcover (s/w & rot). 12 Euro.
Die von Isabel Kreitz (Die Entdeckung der Currywurst, Die Sache mit Sorge) herausgegebene Reihe Die Unheimlichen kompiliert die Versuche mal mehr (Nicolas Mahler, Barbara Yelin), mal weniger (Lucas Jüliger, Birgit Weyhe) bekannter Zeichner aus dem deutschsprachigen Raum, mal mehr (Edgar Allen Poes Berenice, John Kendrick Bangs Das Wassergspenst von Harrowby Hall), mal weniger (Elfride Jelineks Der Fremde, Theodor Fontanes Unterm Birnbaum) naheliegende Klassiker der Schauerliteratur in pointierter Form als Comic zu interpretieren. Olivia Vieweg ist in diesem Kontext sicherlich eine der interessanteren Adeptinnen, da sie fest im Genre verhaftet ist (ihre Zombie-Dystopie Endzeit wurde 2019 nach eigenem Drehbuch verfilmt), gleichzeitig aber einen naiv-kindlichen Stil pflegt, der auf den ersten Blick so gar nicht zum Horrortopos passen will.
Dass die Wahl dabei auf Sophokles antike Tragödie Antigone (Erstaufführung: 442 B.C.) fiel, verdeutlicht bereits ihren erfrischend undogmatischen Zugriff auf den Sektor des Unheimlichen. Vieweg behält die Geschichte um König Eteokles von Theben dabei im Kern bei: Nachdem er seinen Bruder Polyneikes im Streit um die Krone getötet hat, verbietet er dem Rest der Familie, den Verstorbenen zu bestatten. Schwester Antigone setzt sich allerdings über die herrschenden Machtstrukturen des Patriachatshinweg und beschwört damit ein Unheil herauf, das Theben in seinen Grundfesten erschüttern wird.
Vieweg verdichtet die fünf Akte (und Pro- wie Epilog kommen noch dazu) der Vorlage auf gut fünfzig Seiten, dampft das Drama somit zu einer Novelle ein. Die hat allerdings so einiges zu bieten: Aktuelle Bezüge und konsequentes Empowerment stehen neben Anleihen bei Hitchcock (Die Vögel) und Frank Miller (Sin City) – zwei Ikonen, die selbst eine eigenwillige Auslegung der Horror-Erzählung praktizierten. Als Aktualisierung der Vorlage ist das überaus originell, ohne Sophokles und den Kontext der Reihe im Hinterkopf gelesen, wirkt die engagierte Miniatur aber vornehmlich enigmatisch. (6/10)
Batman: Was wurde aus dem dunklen Ritter?
Autor: Ian Edginton/Neil Gaiman/Scott Snyder/Sean Murphy (Skript) & Bernie Wrightson/Andy Kubert/Riley Rossmo/Sean Murphy (Zeichnungen)
Verlag: Panini. 360/128/172/220 Seiten, Softcover (farbig). 32/15,99/17,99/22 Euro.
Wie so Vieles hat Batman den gealterten Superhelden quasi erfunden. Man schrieb bekanntlich das Jahr 1986 – Starzeichner Frank Miller hatte einen bis heute beispiellosen Lauf und revolutionierte den Comic mit nicht weniger als vier Großwerken in zwölf Monaten, unter denen The Dark Knight Returns als Juwel in seiner Krone herausragte. Sich mit dieser Darstellung eines Senioren-Batmans zu messen, galt als künstlerischer Selbstmord, Millers Nachfolger mussten sich daher ein paar neue Tricks einfallen lassen, um den dunklen Ritter in den Folgejahren frisch zu halten.
Ein Crossover-Ansatz lässt sich derzeit im Sammelband Batman vs. Aliens bewundern, der drei Miniserien (von 1997, 2002 und 2007) kompiliert, in denen die Fledermaus gegen die außerirdischen Killermaschinen aus Ridley Scotts Science-Fiction-Klassiker von 1979 antritt. Dass dabei wüst alles mitverwurstet wird – vom Kino der 1980er über die serieneigene Schurkengalerie bis hin zu anderen Superhelden – wirkt hier ausnahmsweise mal nicht wahllos, sondern im Stil der 1990er erfrischend entgrenzt. (7/10)
Und wenn einem sonst gar nichts mehr einfällt, kann man den Protagonisten ja immer noch sterben (und später wieder auferstehen) lassen. Dieser Ansatz allein ist dann doch etwas zu flach, weshalb man 2009 Universalgenie Neil „Sandman“ Gaiman anheuerte, der bekanntlich alles kann – außer sich kurz zu fassen. Mit Was wurde aus dem dunklen Ritter schuf er eine metaphysische Mär, in der Batman aus quasi göttlicher Perspektive auf seine eigene Totenwache hinabblickt und herauszufinden versucht, wie er wohl gestorben ist. Zum zehnten Geburtstag wird dieses inspirierte Kabinettstück völlig verdient mit einer formidabel erweiterten Neuauflage gewürdigt. (9/10)
Weniger ambitioniert, aber durchaus effektiv ist die Richtung, die Batman & The Shadow 2017 einschlug: Paart man den dunklen Ritter mit einer Figur, die noch älter als er ist (und Batman ist ja bekanntlich Jahrgang 1939), lässt ihn das gleich wieder in jugendlichem Glanz erstrahlen. Vor allem da der Shadow (*1930) nie so richtig den Sprung in die Moderne geschafft hat und noch immer retroseligen Art-Deco-Glanz versprüht. Die gemeinsame Jagd auf einen Serienkiller fördert zudem den besten in Vergessenheit geratenen Superschurken-Namen der letzten 90 Jahre zu Tage: Batman und Shadow fahnden nach „dem Bock“ – anzügliches Wortspiel hier bitte selbst einfügen. (7/10)
Noch relativ frisch, aber bereits als moderner Klassiker mit diversen geplanten Fortsetzungen kanonisiert ist Der Weisse Ritter (2018): In einer alternativen Realität ist der Joker ein geisteskranker aber im Grunde harmloser Kleinkrimineller und Batman ein brutaler Fanatiker, dessen gnadenlos Kreuzzug gegen das Verbrecher längst zu einer Gefahr für die Bevölkerung geworden ist. Als ein experimentelles Medikament den Schurken heilt, zieht er gegen den außer Kontrolle geratenen Helden vor Gericht und wird damit zum Liebling der Öffentlichkeit. Die Anmutung ist erschreckend realistisch – bei Batman steht man weiterhin mit beiden Beinen im Hier und Jetzt. (8/10)
Wiederveröffentlichung des Monats: Omaha the Cat Dancer
Autor: Kate Worley (Skript) & Reed Waller (Zeichnungen).
Verlag: schreiber&leser. 256 Seiten, Softcover (s/w). 29,80 Euro.
Anders als in der Filmindustrie hatte die Produktion sexuell expliziten Materials im Comic stets auch eine gesellschaftspolitische Komponente: Die „Tijuana-Bibeln“, die in den 1920ern ihren Siegeszug antraten und vornehmlich pornographische Parodien populärer Serien boten, waren kein reiner Herrenwitz, sondern auch ein Auflehnen gegen die repressive amerikanische Sexualmoral. Und in den Undergroundcomix, deren Speerspitze Robert Crumbs Fritz the Cat darstellte, wurde die offensive Freizügigkeit während der Sechzigerjahre zu einem festen Bestandteil der Gegenkultur. Dies änderte allerdings nicht daran, dass eine dezidierte Darstellung körperliche Liebe bestenfalls dem plakativen Tabubruch diente und die emotionale Dimension der Sexualität ignoriert wurde – zumindest bis 1978 Omaha the Cat Dancer die Bühne betrat.
Es ist die Geschichte der attraktiven Katzendame Susan, die das Tanzen mit vollem Körpereinsatz liebt und damit unter dem Namen Omaha zum bewunderten Zugpferd eines lokalen Stripschuppens avanciert. Als sie den schüchternen Künstler Chuck kennenlernt, beginnt eine Liebe voller Hochs und Tiefs, die von Hingabe ebenso bestimmt ist, wie von Eifersucht und finanziellen Engpässen. Das Milieu wird dabei geradezu romantisch verklärt, weshalb das Pärchen konsequenterweise genau dann in die Schusslinie krimineller Kräfte gerät, als doppelgesichtige Politiker Susans Arbeitsstelle zum vermeintlichen Schutz der Sitten schließen, nur um sie anschließend für ihr eigenes, illegalesEtablissement anzuwerben.
Die Darstellungist dabei nicht eben jugendfrei: Die Figuren sind zwar Tiere, präsentieren auf der Bühne oder im Schlafzimmer aber stets ihre eindrucksvoll ausgeprägte menschliche Anatomie. Allerdings ist Omaha Pornographie mit Herz – so viel Herz übrigens, dass Autorin Kate Worley (1958-2004) und Zeichner Reed Waller (*1949) über die Zusammenarbeit auch zu einem Liebespaar wurden. 1994endete die Serie, für die (nun auch in deutscher Übersetzung erscheinende) Gesamtausgabe wurden noch einmal filigrane neue Episoden angefertigt, die vorhandene Leerstellen füllten. Die Handlung mag eher schlecht gealtert sein, die ungezwungene Sinnlichkeit der ebenso selbstbestimmten wie offenherzigen Titelfigur war ihrer Zeit voraus – und ist es eigentlich noch heute. (7/10)
Short Cuts
Ed Brisson/Mike Henderson: Dead Man Logan 1+2: The Dark Knight Returns hat den Typus des Opa-Helden erfunden, die Wolverine-Elegie Old Man Logan hat ihn 22 Jahre später erfolgreich reanimiert. Der verbitterte Senior stammt aus einer dystopischen Zukunft, in der die Superhelden von ihren vereinten Gegnern ausgelöscht wurden und wurde bald so populär, dass man sein jüngeres Vorbild sterben und ihn dessen Platz einnehmen ließ.
Als sich der Charme des rüstigen Rentners abnutzen begann, dichtete man ihm eine tödliche Krankheit an. Vor dem Ableben will Logan aber noch sicherstellen, dass seine Zukunft niemals Realität wird und eröffnet die Jagd auf die dafür verantwortlichen Schurken. Der zunächst überraschend skurrile bisweilen gar leichtfüßige Tonfall erweist sich im zweiten Band als Finte: Dead Man Logan mündet in einen apokalyptischen Kreuzgang, der seinem Helden alle Ehre macht. (156/148 Seiten, Softcover. Je 16,99 Euro)
Parallel stieg übrigens dessen jüngere Ich in Die Rückkehr von Wolverine wieder aus seinem noch recht frischen Grab. Die Auferstehung konnte zwar phasenweise durch das wuchtig-brutale Artwork von Steve McNiven (dem Original-Zeichner von Old Man Logan – irgendwie paradox!) überzeugen, enttäuschte die Fanbase aber durch das uninspirierte und wirre Szenario von Charles Soule (Star Wars: Poe Dameron). (140 Seiten, Softcover. 16,99 Euro)
Ethan Sacks/Marco Checchetto: Old Man Hawkeye 1+2: Dem Bogenschützen Hawkeye haftet ja immer der Makel des minderwertigen Helden an – mit ein paar Pfeilen kann man neben Thor oder Hulk halt wenig ausrichten. Entsprechend kam ihm inOld Man Logan lediglich die undankbare Rolle des Sidekicks und Chauffeurs zu. Das zwölfteilige Prequel Old Man Hawkeye gibt ihm nun etwas von seiner Würde zurück: Unter dem Trauma leidend, dass die Schurken ihn einst verschonten, da sie ihn schlicht nicht als Bedrohung ansahen, rafft er sich, als er feststellen muss, dass er zunehmend erblindet, zu einem Rachefeldzug auf, um seine ehemaligen Teamkameraden, die mit den Schurken paktierten, einen nach dem anderen vom Angesicht der hässlichen Erde zu tilgen. (140/132 Seiten, Softcover. Je 16,99 Euro)
Frank Tieri/Inaki Miranda: Old Lady Harley: Eine derartige Überpräsenz alter, weißer Männer schreit natürlich geradezu nach einerParodie – Old Lady Harley ist sogar eine recht gelungene. Darin kehrt eine rüstige Harley Quinn nach langer Abwesenheit in ein postapokalyptisches Amerika zurück, um dem zuvor tot geglaubten Joker ein letztes Mal entgegen zu treten. Dabei überzeugen vor allem die politischen Anspielungen (Amerika wird von der Superheldin Power Girl regiert, Kanada von der zombifizierten Eishockey-Legende Wayne Gretzky), mehr aber noch die konsequenten Rentner-Witze, die ungehemmt unter die Gürtellinie geriatrischer Versionen von Catwoman, Lobo und Co. gehen. (148 Seiten, Softcover. Je 16,99 Euro)
Brian Michael Bendis/Ivan Reis & Patrick Gleason u.a.: Superman: Der Mann aus Stahl & Unsichtbare Mafia: Eine solch respektlose Behandlung würde auch Superman vielleicht mal ganz gut zu Gesicht stehen. Nur ist seine Erscheinung derart ikonisch, dass sie heute beinahe als unantastbar gilt. Starautor Brian Michael Bendis (Powers, Jessica Jones) hätte man nach dessen Wechsel von Marvel zu DC aber durchaus zugetraut, dessen altem Zugpferd mit einem radikalen Ansatz neuen Glanz zu verleihen. Das Ergebnis ist aber eher ernüchternd: Bendis gelingt es zwar, die Welt, in der Superman sich bewegt, pointiert zu modernisieren und ihr somit zusätzliche Tiefe zu verleihen. Vor dem „Mann aus Stahl“ selbst erstarrt er aber weitestgehend in Ehrfurcht, wodurch es seine Interpretation letztlich an Dringlichkeit fehlen lässt. (188/148 Seiten, Softcover. 18,99/16,99 Euro)
Mark Millar/Wilfredo Torres: Jupiter’s Circle: Das Konzept des Instant-Klassikers Jupiter’s Legacy ging vor einigen Jahren quasi auf Konfrontationskurs mit dem Erfolgsrezept von Old Man Logan und Konsorten: Hier trat eine von vorneherein gealterte Heldengarde an, ihren Status gegen junge Emporkömmlinge – teilweisesogar den eigenen Nachwuchs – zu verteidigen. Da die Eltern diesen Generationskonflikt nahezu vollständig mit dem Leben bezahlten, wird die Serie nun in Form eines Prequels fortgeschrieben, das die ersten Heldentaten von Utopian, Lady Liberty und Skyfox in den auslaufenden 1950er Jahren schildert. Was dabei auffällt: Nach uninspirierten Beginn gewinnt die Geschichte an dramaturgischem Gewicht, je weiter sie sich der Gegenwart nähert. Und die Moral von der Geschicht‘: Alte Säcke enttäuschen einen nicht! (300 Seiten, Softcover. 29 Euro)
Alejandro Jodorowsky & Francois Boucq: Mondgesicht Gesamtausgabe 2: Nachdem der erste Teil genüsslich eine degenerierte, postapokalyptische Zukunft ausbuchstabierte, in der religiöser Wahn, Diktatur und gesellschaftliche Verrohung fröhliche Urstände feiern, schlägt der zweite und abschließende Band den Haken zur messianischen Heilsgeschichte. Die Episoden Der Stein der Vollendung (1997) und Das versteinerte Licht (2004) erzählen, wie stumme Sonderling Borrado Naturgewalten bändigt, den Tod überwindet und zum Symbol der Hoffnung in einer dem Untergang geweihten Welt wird. Klar, dass ihm die von Hass und Missgunst zerfressene Gesellschaft dafür ans Leder will – doch Borrado erweist sich (anders als sein Vorgänger J.C.) als äußerst robuster Heiland. Mondgesicht praktiziert Religionskritik durch ausufernden Mystizismus – ein Ansatz, auf den wohl nur der chilenische Psychomagiker Alejandro Jodorowsky kommen konnte. Der burleske Psychedeliker Francois Boucq, der das Wort „Mäßigung“ schon lange aus seinem Wortschatz verbannt hat, visualisiert ihn derweil mit Zeichnungen, gegen die sich die biblische Sintflut wie ein laues Lüftchen ausnimmt. (176 Seiten, Hardcover. 34,80 Euro)
Naoki Urasawa: Monster – Perfect Edition 2+3: Der japanische Meisterchirurg Tenma rettet im Deutschland der 1980er dem aus der DDR geflüchteten Jungen Johann das Leben. Als das Kind verschwindet und eine mysteriöse Mordserie beginnt, fällt der Verdacht auf den Arzt. Bei seiner Flucht muss er erkennen, dass sein junger Patient im Geheimen die Fäden zieht. Doch was hat Johann bloß zu einem solchen Monster gemacht? Der zweite Band der Serie führt unvermittelt ins Herz der Finsternis: Nach dem Fall der Mauer reist Tenma durch die neuen Bundesländer, um Johanns Vergangenheit aufzudecken und sich selbst zu entlasten. In einem geschlossenen Kinderheim, in dem man versuchte, Kinder zu perfekten Soldaten heranzuziehen, stößt er auf die Spuren eines grausam außer Kontrolle geratenen pädagogischen Experiments, das Herr der Fliegen wie ein Picknick im Park aussehen lässt.Diesem Auftakt wie ein Faustschlag folgt ein dritter Teil, in dem es auch nicht erbaulicher wird: Das wiedervereinigte Deutschland gleicht einer Geisterbahn, in der neofaschistische Organisationen versuchen, den charismatischen Johann zu einem neuen Hitler zu stilisieren. Das liest sich 2020 freilich noch weitaus erschreckender, als bei der Erstveröffentlichung vor 17 Jahren. (401/434 Seiten, Softcover. Je 20 Euro)
Diverse: Captain Marvel: Zwischen den Sternen: Während die Karrieren von Thor, Spider-Man oder Hulk nahezu aus dem Stand abhoben, brauchte Captain Marvel Carol Danvers satte 35 Jahre um in die erste Liga der Superhelden aufzusteigen.Diese Anthologie, die ihr Auf und Ab in 15 Episoden nachzeichnet, überzeugt zunächst durch ihren kritischen Ansatz, der die anfängliche Funktion als austauschbare Quotenheldin und tendenzielles Sexobjekt problematisiert. Im Mittelteil zeigt sie Carol zudem für das Genre ungewohnt reflektiert: Sich ihrer prekären Stellung im Superheldenzirkus bewusst werdend, denkt sie über eine Rückzug nach, kämpft sich durch pure Willenskraft dann aber doch an die Spitze. Nach diversen Reboots ist Carol ab 2012 dann so allmächtig und untadelig, dass höchstens Vorbild Captain America sie noch übertrifft. Im Rennen um den Titel als größter Langweiler lässt sie den – jeglicher Selbstzweifel beraubt – längst mühelos hinter sich. Eine Geschichte ohne Happy End. (324 Seiten, Hardcover. 29 Euro)
Janwillem promoviert am Institut für Neuere deutsche Literatur- und Medienwissenschaft. Er schreibt seit 2010 regelmäßig für den Albrecht über Comics und Musik, letzteres mit dem Schwerpunkt Festivalkultur.