Im September und Oktober nimmt die Comic-Kolumne Abschied von einem großen Erzähler und heitert sich anschließend mit sagenhaft Skurrilem aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wieder auf.


01 Ice AgeIce Age – Chronicle of the Earth

Autor: Jiro Taniguchi

Verlag: schreiber&leser. 272 Seiten, Softcover (s/w). 16,95 Euro.

Im Februar verstarb Jiro Taniguchi im Alter von 69 Jahren. Als Zeichner hatte der Japaner im Westen eine Rezeption erfahren, wie sie vor ihm nur den drei Revolutionären des Mangas – Tezuka, Nakazawa, Otomo – zuteilwurde. Seine Werke waren derweil ganz und gar einzigartig: Subtil-dramatische, von feiner Melancholie durchzogene Erzählungen, die mit unerschöpflicher Sympathie für ihre Figuren zu ergründen versuchten, was es bedeutet, ein Mensch zu sein. Dabei wurden sich die Geschichten immer ähnlicher, sie ließen sich irgendwann nicht einmal mehr an den bewusst austauschbaren Titeln (Träume von Glück, Von der Natur der Menschen oder Die Sicht der Dinge) unterscheiden – bei Taniguchi hatte man immer das Gefühl, genau diesen Manga schon einmal gelesen zu haben, ohne sich dessen je wirklich sicher zu sein.

Im Hang zu Wiederholung und Minimalismus lag dabei die große Meisterschaft des Autors, der es wie kein Zweiter verstand, noch der alltäglichsten Situation stets neue Facetten abzutrotzen. Seine schönste Arbeit Der Gourmet – Von der Kunst alleine zu Genießen (1997) zeigt eigentlich nur, wie die Hauptfigur immer wieder unterschiedliche Restaurants aufsucht um dort über Speisen und Ambiente nachzudenken – am Ende ist man ihr so nahegekommen, dass man sich eine spektakulärere Erzählung kaum vorstellen kann.

Taniguchi hinterlässt aber auch ein umfangreiches Frühwerk, wie die meisten jungen Mangaka der Achtziger musste er ein gewaltiges Arbeitspensum absolvieren um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Er produzierte, was der Markt verlangte, Action- und Detektivgeschichten, aber auch die nun erstmals in deutscher Übersetzung vorliegende Science-Fiction-Serie Ice Age (1988). Darin steigt ein Trupp Minenarbeiter aus dem Inneren der Erde empor und begibt sich auf eine Reise über die unwirtlich verschneite Erde, in der er vergessenen Mythen und Lebensformen begegnet. Die Optik geriet bereits imposant, Handlung und Figuren blieben noch ungelenke Holzschnitte, die der Autor nicht besser ausformulieren konnte oder wollte. Taniguchi gelangte als vollendeter Autor in den Westen. Dass er sich nach seinem Tod auch als junger Suchender offenbart, wird diesem außergewöhnlichen Künstler auf seltsame Weise gerecht. (außer Wertung)


02 PatiencePatience

Autor: Daniel Clowes


Verlag: Reprodukt. 180 Seiten, Hardcover (farbig). 29 Euro.

Daniel Clowes (Ghost World) ist der große Kulturpessimist des alternativen nordamerikanischen Comics. Entsprechend amüsiert zeigte sich die Szene, als er 2007 einen Gastauftritt in der Simpsons-Episode Husbands and Knives absolvierte, bei dem er zu Protokoll gab, dass er jetzt lieber mal Batman zeichnen würde. Zehn Jahre später wirkt diese Vorstellung gar nicht mehr so abwegig: Mit The Death Ray (2011) schuf er bereits eine (freilich reichlich verquere und deprimierende) Variante des Superhelden, in seinem jüngsten Werk kommt er klassischen Genremustern nun noch näher.

Patience erzählt eine nahezu archetypische Geschichte: Als Jacks hochschwangere Frau ermordet wird, versucht er 17 Jahre erfolglos, ihren Mörder zu finden. Anno 2029 gelingt es ihm schließlich, einer nicht ganz ausgereiften Zeitreisevorrichtung habhaft zu werden und in die Vergangenheit zu reisen. Von nun an setzt er in unkoordinierten Zeitsprüngen alles daran, die Tat zu verhindern. Das Ergebnis ist Clowes inhaltlich wie formal konventionellster Comic, was angesichts seines eklektischen Gesamtwerks aber auch nicht viel heißt: Obgleich die Geschichte stringent erzählt wird, dient sie doch primär als Anlass, die Figuren über ihre Handlungsunfähigkeit und die Existenz als kosmischen Witz räsonieren zu lassen. Der Buchrücken bezeichnet Patience trotzdem optimistisch als „Horrortrip zum Ursprung der ewigen Liebe“ – was zugegebenermaßen auch einladender klingt als „warum das Leben nicht mehr, als eine Selbstgeißelung in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist“. Das Gegenteil von gut ist gut gelaunt. (7)


03 VisionVision

Titel: Vision Bd. 1: Eine (fast) normale Familie & Bd. 2: Träumen Androiden von virtueller Liebe?


Autor: Tom King (Skript) & Gabriel Hernandez Walta (Zeichnungen)


Verlag: Panini. Je 136 Seiten, Softcover (farbig). 16,99 Euro.

Dass sich im Superhelden-Genre Geschichten erzählen lassen, die den kanonisierten Klassiker der Weltliteratur ebenbürtig sind, ist 30 Jahre nach The Dark Knight returns und Watchmen kaum mehr erwähnenswert. Gleichsam ist aber die Zahl der Titel, die diesen Anspruch überhaupt erst formulieren, doch eher überschaubar – und die Miniserie Vision der erste Vertreter seit langem, der in dieser Hinsicht reüssiert: Als Teil der Avengers ist der Titelheld eines der mächtigsten Wesen der Erde, doch innerlich quält den Androiden der unerfüllte Wunsch nach Menschlichkeit.

Seine Psychohygiene besteht nun darin, nach eigenem Vorbild eine Frau und zwei Kinder zu bauen und mit ihnen in die Vorstadt zu ziehen. Ein Verhalten, das allgemein kritisch beäugt wird: Kumpel Tony „Iron Man“ Stark wittert schon eine digitale Psychose und die engstirnigen Nachbarn geben sich erst gar keine Mühe, ihre Intoleranz den Robotern gegenüber zu verbergen. Gleichzeitig kollidiert die Programmierung auf ein als normal geltendes Verhalten als Ehefrau und Mutter, Teenager-Tochter und -Sohn mit den gewaltigen Kräften der künstlichen Menschen, so dass bald die erste Leiche im Vorgarten verscharrt werden muss. Es wird nicht die einzige bleiben.

Thematisch steht Vision natürlich in einer Traditionslinie mit Isaac Asimov und Philip K. Dick, die resignative Erzählhaltung aber ist genuin. Trotz tiefer Sympathie für seine Figuren lässt die Geschichte keinen Zweifel an einem tragischen Ausgang, gegen den selbst Superhelden machtlos sind. Sagenhaft nüchtern fallen in der Folge die wenigen Action-Szenen aus: Emotionslos und kurzangebunden knipst der Androide jedem, der sich ihm in den Weg stellt die Lichter aus, als würde er mit einer knappen Handbewegung eine lästige Fliege verscheuchen. In punkto Lakonie und Abgeklärtheit nur noch mit Cormac McCarthys No Country for old Men konkurrierend, ist Vision ein Instant-Klassiker, der mit allem Recht bereits mit dem Eisner-Award, den Oscar der Comicindustrie, ausgezeichnet wurde. (9/10)


04 SpirouSpirou und Fantasio

Titel: Spirou + Fantasio Spezial Bd. 22: Der Meister der schwarzen Hostien & Bd. 23: Das Licht von Borneo


Autor: Yann/Zidrou (Skript) & Olivier Schwartz/Frank Pé (Zeichnungen)


Verlag: Carlsen. 78/102 Seiten, Softcover (farbig). 12/12,99 Euro.

Mit dem besten Kumpel um den Erdball reisen, Abenteuer erleben und gefeierte Reportagen darüber schreiben – so einfach war es mal für Spirou und Fantasio. In Das Licht von Borneo sind die sorglosen Zeiten für die beiden frankobelgischen Klassiker kaum mehr als ein fernes Echo: Ihre Redakteurin lehnt die jüngste Enthüllungsgeschichte ab, da sie einen großen Anzeigenkunden massiv belastet – der gealterte Spirou, mittlerweile auf eine Sehhilfe angewiesen und ein unter Haarausfall leidender Fantasio landen auf der Straße. Das Leben findet sie auch dort: Ein alter Freund drückt Spirou seine 13jährige Tochter aufs Auge, die er als Kind im Dschungel zurückließ und deren Traumata von der ehemals heilen Comicwelt nicht mehr viel übrig lassen. Die Pein der Pubertät ist hier auch der Wachstumsschmerz eines Helden, der sich von der Schablone plötzlich zum richtigen Menschen entwickeln muss.

Im Jahr 1946 verortet und in kunstvollem Retro-Stil gezeichnet, suggeriert Der Meister der schwarzen Hostien im Gegenzug zwar eine Rückbesinnung auf die gute alte Zeit, strebt tatsächlich aber eher deren Revision an: Als Spirou und Fantasio in den Kongo reisen, um einen mächtigen Fetisch seinen rechtmäßigen Besitzern zurückzugeben, müssen sie erkennen, dass ihre kolonialen Landsleute die Einheimischen skrupellos ausbeuten und mit Nazis paktieren, die nach dem Fall des dritten Reichs im Dschungel Unterschlupf gesucht haben. Dank des sagenhaften Lingala-Belgisch-Kauderwelsch, in dem sich die kongolesischen Figuren über ihre Besatzer lustig machen, hat das aber auch seine komische Seite. Und die deutsche Übersetzung, der es gelingt, die Lebendigkeit dieses Slangs zu erhalten, ist schon ein kleines Wunder. (8/10)


05 Wonder WomanWonder Woman

Titel: Wonder Woman: Anthologie/Hicketeia/Die Götter von Gotham


Autor: Diverse


Verlag: Panini. 404/100/100 Seiten (farbig), Hardcover/Softcover. 34,99/12,99/12,99 Euro.

Wonder Woman hat die Zeit ihres Lebens: Dank der überraschend emotionalen und vielschichtigen Verkörperung durch Gal Gardot fuhr ihr Kinodebüt massives Lob seitens der Kritik ein und spülte ganz nebenbei mal 800 Millionen Dollar in die Kriegskasse. Schon im November darf die Amazone wieder ran, um gemeinsam mit Batman die Verfilmung der „Justice League“ anzuführen – bis dahin empfiehlt es sich, mal etwas tiefer in die Geschichte der Figur einzusteigen. Möglichkeit dazu bietet vor allem eine sorgfältig editierte Anthologie, die mit achtzehn Geschichten von 1942 bis 2015 einen Querschnitt aus der umfangreichen Publikationshistorie bereitstellt und mit schlüssigen Textbeiträgen versieht, die es ermöglichen, der Entwicklung der Figur ohne größere Irritationen zu folgen.

Dass sich der Fundus damit aber noch lange nicht erschöpft hat, beweist der neu aufgelegte Einzelband Hicketeia (2002, Greg Rucka/J.G. Jones), in dem Wonder Woman eine junge Mörderin nach einem antiken Brauch unter ihren Schutz stellt. Wie die Amazone in der Folge zwischen weiblicher Solidarität und geltenden Gesetzen zwischen Tradition und modernem humanistischen Denken aufgerieben wird, ist die vielleicht eindringlichste Vorstellung, die die Figur bis heute gegeben hat. Wer hingegen nach gut aufgelegtem Krawall sucht, greift zu Die Götter von Gotham (2001, J.M. DeMatteis/Phil Jiminez): Wenn Wonder Womans mythische Gegenspieler die Körper der Batman-Schurken Joker, Poison Ivy und Scarecrow besetzen, um ihren Vater, den Kriegsgott Ares, zu beschwören, bleibt kein Stein auf dem anderen. (7/10)


06 HorrorMarvel Horror

Titel: Die offizielle Marvel-Comic-Sammlung: Classic Bd. XXI: Marvel Horror

Autor: Diverse

Verlag: Hachette. 140 Seiten, Hardcover (farbig). 12,99 Euro.

In den ersten Horrorcomics, die nach dem zweiten Weltkrieg Popularität erlangten, mordeten und meuchelten Menschen und Monster, dass es eine reine Freude war. Puritanischen Zensoren gelang es zwar, dem Treiben knapp zwei Dekaden lang einen Riegel vorzuschieben, doch als sich die Gesellschaft Ende der 1960er Jahre rasant zu wandeln begann, ließen sich ihre antiquierten Ideale nicht länger aufrecht erhalten: Vampire, Werwölfe und Mutationen begannen in der ersten Hälfte der Siebziger nun wieder fröhliche Urstände zu feiern (wenn auch nicht ganz so zügellos wie einst). Die Superhelden-Spezialisten von Marvel sicherten sich einen Wagon in diesem Zug und lancierten gleich eine ganze Reihe neuer Figuren, von denen die acht bekanntesten nun in einer Sammlung vereint wiederveröffentlicht werden. Zwar hat sich nur der Ghost Rider wirklich nachhaltig in die Populärkultur einschreiben können, doch auch die Reihe The Tomb of Dracula, die den Altvorderen der Blutsauger modernisierte, wird häufig zu den Klassikern seiner Dekade gezählt. Bemerkenswert ist aber vor allem das im Umfeld der haitianischen Kulte angesiedelte Heft Brother Voodoo, war die Titelfigur doch einer der ersten afroamerikanischen Superhelden und das – bis heute lediglich partiell eingelöste – Versprechen einer ethnischen Diversifizierung des US-Comic-Mainstreams. (7)


07 SlaineWiederveröffentlichung des Monats: Slaine

Titel: Slaine Bd. 1: Morgendämmerung


Autor: Pat Mills (Skript) & Massimo Bernadinelli/Angie Kincaid/Mike McMahon (Zeichnungen)


Verlag: Dantes. 128 Seiten, Softcover (s/w). 16 Euro.

Bei dem keltischen Barbaren Slaine läuft es mal so gar nicht: Die Mutter tragisch verstorben, der versoffene Vater hat sie auf dem Gewissen. Auch die vielversprechende Laufbahn als bester Krieger seines Stammes findet ein jähes Ende, als Slaine seine Finger einfach nicht von der Braut des Anführers lassen kann. Um sich seinen Weg zurück zu erkaufen, jagt er dem Reichtum hinterher, doch auch hier ist der Wurm drin. Der Erwerb eines Gefängnisses erweist sich als Minusgeschäft, da im Keller ein Ungeheuer haust, das die Insassen einfach auffrisst. Und die befreite Königstochter, die gar keinen Bock hatte, gerettet zu werden, bringt ihren Vater um, noch bevor dieser Slaine bezahlen kann. So bleibt dem Barbaren am Ende nicht viel mehr übrig, als seinen Frust am devoten Zwerg Ukko auszulassen, der ihm vorgeblich aus Geldgier, tatsächlich wohl aber eher aufgrund einer masochistischen Veranlagung folgt.

Slaine, ein Klassiker des britischen Comics, der bisher nur fragmentarisch für den deutschen Markt aufbereitet wurde, erfährt hier erstmals eine chronologische Ausgabe, mit bisher unveröffentlichtem Materials aus dem Jahr 1983. Damals musste sich die Serie zumeist mit dem auf den ersten Blick ähnlich gelagerten Conan vergleichen lassen, tatsächlich ist der muskelbepackte Pechvogel aber vielmehr ein Al Bundy aus mythischer Vorzeit. Zwar benimmt er sich wie die Axt im Walde, dass ihm wirklich so gar nichts gelingen mag, macht Slaine letztlich aber zum unwahrscheinlichsten Sympathieträger der Fantasy-Literatur. (7/10)


SHORT CUTS

 Garth Ennis/Mark Dos Santos: A Train called Love 1+2: Es kommt nicht oft (eigentlich nie) vor, dass sich Ausnahmeautor Garth Ennis mal verhebt, aber diese Komödie über vier Loser-Freunde, die eine Ladung Kokain stehlen und ins Visier brutaler Gangster geraten, ging voll in die Hose. Die Story liest sich, als sei sie Anfang der 1990er aus Quentin Tarantinos Papierkorb gefallen und das grobschlächtige Cartoon-Artwork macht alles nur noch schlimmer. (Je 136 Seiten, Softcover. 16,99 Euro)

Terry Moore: Echo: Ein Militärexperiment scheitert, woraufhin ein metallischer Regen auf die Erde niedergeht und die Fotografin Julie bedeckt. Auf ihrer Brust bildet sich nun eine Art Schutzschild, der in der Lage ist, gewaltige Energiestöße abzugeben. Die hat die irritierte Julie auch bitter nötig, da gleich diverse undurchsichtige Mächte ihrer neuen Kräfte habhaft werden wollen. Narrativ eher konventionell geraten, positioniert sich Echo etwas unvorteilhaft zwischen Terry Moores bisherigen Serien (Strangers in Paradise, Rachel Rising). In punkto Erzählkunst und Figurenzeichnung bleibt der Autor aber eine Klasse für sich. (216 Seiten, Softcover. 18,95 Euro)

Paul Dini/Eduardo Risso: Dark Knight: Die schonungslose Sektion der eigenen Schwächen und Lebenslügen hat sich in den letzten Jahren zu einem omnipräsenten Thema im Comic entwickelt. Paul Dini, seines Zeichens Erfinder von Harley Quinn, versteht es dennoch, dieser Ausrichtung neue Facetten abzugewinnen, indem er die von ihm geschriebenen Figuren selbst auftreten lässt um sein Leben zu kommentieren. Gleichsam erschöpft sich seine Erzählung stets in der selbstfixierten Nabelschau, sobald Joker und Batman mal kurz Pause machen. (128 Seiten, Softcover. 16,99 Euro)

Warren Ellis/Mike Wolfer: Gravel: William Gravel ist eine Mischung aus John Constantine und John Rambo: Ein sogenannter „Kampf-Magier“, der bei einem ominösen britischen Geheimdienst in Ungnade gefallen ist und nun im Ausland die Drecksarbeit unter den Drecksarbeiten erledigt. Als archetypischer Antiheld ist er stets Herr der übernatürlichen Dinge, zeigt einen unschönen Hang zur Gewalt und die dazu passende Missachtung menschlichen Lebens. Seine Serie begann 1999, blieb hierzulande aber bisher unveröffentlicht und überzeugt, wie eigentlich immer bei Warren Ellis, durch eine konsequent fatalistische Weltsicht. (212 Seiten, Softcover. 16,95 Euro)

Uli Oesterle: Kopfsachen: Nicht verwunderlich, dass die einheimische Szene stolz auf Uli Oesterle ist. Sein Stil verarbeitet den expressionistischen Stummfilmklassiker Das Kabinett des Dr. Caligari ebenso wie Mike Mignolas Hellboy und reflektiert damit spezifisch deutsche Einflüsse auf internationalem Niveau. Kopfsachen vereint neun Erzählungen aus drei Dekaden künstlerischen Schaffens, qualitativ heterogen, aber immer mit scharfem Blick für menschliche Psychosen, die sich verlässlich zu handfesten Horrorszenarien ausweiten. „Uli Oesterle erstellt Kunst am Bau“, verrät zudem am Ende das Autoreninfo. Den Bau möchte man sehen. (168 Seiten, Hardcover. 16,99 Euro)

Roy Thomas/Neal Adams: X-Men – Im Schatten von Sauron: Vier Jahre hatte man vergeblich versucht, aus X-Men einen vernünftigen Superheldencomic zu machen. 1969 übernahm dann das junge Ausnahmetalent Neal Adams die Zeichnungen und riss das Ruder mit bisher ungekanntem Naturalismus und dramatischer Ausdruckskraft herum. Die Serie wurde 1970 trotzdem abgesetzt – die Kunde von der gestiegenen Auflage hatte die Führungsetagen schlicht zu spät erreicht. Eine historische Fehlentscheidung: Der Moderne des Superhelden beginnt hier. (130 Seiten, Hardcover. 12,99 Euro)

Jean van Hamme/William Vance: XIII Gesamtausgabe Bd. 4: In zwölf Alben um Jason Fly, den Agenten ohne Erinnerungen, hatte die frankobelgische Thriller-Reihe XIII ein derart komplexes Verschwörungsszenario um die Infiltration der amerikanischen Regierung gesponnen, dass selbst dem aufmerksamen Leser der Kopf qualmte. 1999 erschien daher das Kapitel Die Untersuchung, das Fakten und Figuren in Form eines fiktiven Dossiers zusammenfasste und so geschickt mit authentischem Quellen verband, dass die Grenze zwischen Realität und Dichtung zunehmend verschwamm. Daneben enthält der vierte Band der Gesamtausgabe noch die regulären Episoden Die Jagd geht weiter (2000) und Lasst die Hunde los! (2002) sowie fundiertes Bonusmaterial. (224 Seiten, Hardcover. 34,99 Euro)

Greg Rucka & Ed Brubaker/Michael Lark: Gotham Central Bd. 3-5: Im dritten Band der bodenständigen Cop-Serie aus dem Batman-Universum gibt sich der Joker endlich die Ehre. Erschreckend realistisch agiert er hier als hochfunktionaler Psychopath, der einzig ein Scharfschützengewehr benötigt, um die vorweihnachtliche Stadt in den Ausnahmezustand zu versetzen. Dagegen fällt der vierte Teil, der sich verstärkt auf die alltägliche Polizeiarbeit sowie einen besonders perfiden Fall von Gedankenkontrolle konzentriert, notgedrungen ab, bevor der fünfte Band mit gut ausgearbeiteten Handlungsbögen und skurrilen Details wieder zu überzeugen weiß. Unter anderem wird dabei die Frage erörtert, wie man sich einem Kollegen gegenüber zu verhalten hat, der die Todeskugel eines Superschurken auf eBay verhökert. Amtlich. (124/124/228 Seiten, Softcover. 14,99/16,99/19,99 Euro)

John Layman/Rob Guillory: Chew!: Unter den Titel Die letzten Abendmahle erscheint der elfte und vorgebliche vorletzte Band des modernen Klassikers. FBI-Agent Tony ist es inzwischen gelungen, seine Nemesis, den vampirischen Sammler zu besiegen, doch die Verschwörung, die hinter dem Ausbruch der Vogelgrippe steckt, verlangt noch ihre Aufdeckung. Zudem: Schießwütige Schnabeltiere, Hitler als Erdnuss sowie ein Dreier mit Lincoln und Attila dem Hunnen. Und das sind nur die ersten zwanzig Seiten… (128 Seiten, Hardcover. 20 Euro)

Jeff Lemire/Ramón Pérez: Hawkeye: Damals und Morgen: Hawkeye ist der Existenzphilosoph unter den Superhelden. Während er in der Gegenwart in Erscheinung tritt, wird anhand der Vergangenheit gleichzeitig seine Motivation aufgerollt und auf Konsequenzen in einer möglichen Zukunft abgeklopft. Damit es nicht zu verkopft wird, trumpft Zeichner Ramón Pérez ordentlich auf und gestaltet die drei Zeitebenen in unterschiedlichen Stilen, hinter denen man im Leben nicht dieselbe Hand erwartet hätte. (234 Seiten, Softcover. 24 Euro.)

Brian Buccellato/Francis Manapul: Batman: Ikarus: Der dunkle Ritter endlich mal wieder ohne übernatürliche Gegner und eine ganze Fußballmannschaft von Sidekicks: Die Fledermaus und ihr Butler nehmen es hier quasi im Alleingang mit einer brutalen Biker-Gang auf, die Gotham City mit einer teuflischen Droge überschwemmt. Okay, ein radioaktiver Mann und ein rachsüchtiger Riesenoktopus namens Gertrude (!) kommen ebenfalls vor, aber zu viel Realismus ist ja auch schlecht fürs Gemüt. (172 Seiten, Softcover. 16,99 Euro)

Autor*in

Janwillem promoviert am Institut für Neuere deutsche Literatur- und Medienwissenschaft. Er schreibt seit 2010 regelmäßig für den Albrecht über Comics und Musik, letzteres mit dem Schwerpunkt Festivalkultur.

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