Eine Kolumne über übersehene Klassiker,
Langlebiges und Wiederveröffentlichungen,
die zum gegenwärtigen Stand der Dinge
noch Einiges zu sagen haben.
Nick Fury, Agent von SHIELD
Titel: Nick Fury, Agent von Shield Bd. 1+2
Autor: Roy Thomas (Skript) und Jim Steranko (Skript/Zeichnungen)
Verlag: Hachette. Je 130 Seiten (farbig), Hardcover. Je 12,99 Euro.
Obwohl sich die Populärkultur 1966 rasant wandelte, setzten amerikanische Comichefte noch auf Zeichnungen, die den Stil der 1940er im besten Fall moderat aktualisierten. Als der junge Jim Steranko, seines Zeichens der erste echte Vertreter einer neuen Generation, die Agenten-Serie Nick Fury, Agent of S.H.I.E.L.D übernahm, sollte sich dies in kürzester Zeit ändern: Elemente aus Pop-Art und Psychedelic hielten ebenso Einzug in die Abenteuer, die als Reaktion auf den Erfolg der James Bond-Filme konzipiert worden waren, wie Einflüsse aus den europäischen Erwachsenencomics Barbarella und Valentina. Steranko vereinte nicht nur alles, was die Sechziger bewegte, in seinen Geschichten, dies gelang ihm auch mit einer stilistischen Vielfalt und Innovation, für die es bis heute kaum andere Beispiele gibt.
Sämtliche Nick Fury-Geschichten des Zeichners erscheinen nun in einer optisch ansprechenden und extrem preiswerten Ausgabe der Marvel Comic Collection, die hier einmal mehr ihr bemerkenswertes historisches Bewusstsein demonstriert. Bereits 1969 gab Steranko den Comic übrigens wieder auf, um in die Werbung zu wechseln, wo man ein solches Talent deutlich lukrativer vergütete. Seine Bedeutung lässt sich gleichsam kaum überschätzen, gilt er doch als alleiniger Wegbereiter für Zeichner wie Neal Adams, denen es auf Grundlage seiner Arbeit gelang, Anfang der 1970er einen endgültigen Paradigmenwechsel herbeizuführen.
X-Men
Titel: Marvel Klassiker: X-Men/X-Men: Ein neuer Anfang.
Autor: Stan Lee, Roy Thomas, Len Wein, Chris Claremont (Skript) und Jack Kirby, Neal Adams, Dave Cockrum, John Byrne, Jim Lee (Zeichnungen)
Verlag: Panini. 184/188 Seiten, Softcover (farbig). 24,99/16,99 Euro.
Als die X-Men 1963 debütierten, waren sie noch eine ziemliche Gurkentruppe, die einige der lächerlichsten Superkräfte überhaupt in ihren Reihe hatte: Das Beast zeichnete sich in dieser Phase allen Ernstes primär dadurch aus, dass es außergewöhnlich gut turnen konnte! Aufwärts ging es als Neal Adams 1969 die Zeichnungen übernahm und der Serie ein stilbildendes, psychedelisch angehauchtes Artwork verlieh, dessen Dynamik und Dramatik noch heute beeindrucken. Seine Nachfolger waren nie ganz so gut, erweiterten die Gruppe 1975 aber mit Wolverine, Storm und Nightcrawler zu einem multi-ethnischen Mutanten-Mix, der den Grundstein für die anhaltende Popularität der Serie legte. Es lohnt sich, dieses Auf und Ab der Sechziger und Siebziger Jahre noch einmal nachzuvollziehen, die Marvel Klassiker-Anthologie gibt mit einer gelungenen Auswahl und kompetenten Textbeiträgen eine attraktive Gelegenheit dazu.
Ihren kommerziellen Höhepunkt erreichten die X-Men schließlich im Jahr 1991, als Jim Lee die Serie zu zeichnen begann: Bis zu acht Millionen Exemplare wurden pro Heft abgesetzt – ein bis heute ungebrochener Rekord. Lee wusste, was die Fans wollten, nämlich ein sagenhaft athletisches und unfassbar übersexualisiertes Figurendesign sowie spektakuläre, auf den maximalen Effekt hin komponierte Bilderräusche. Unter dem Titel Ein neuer Anfang werden nun sieben Hefte dieses Neustarts wiederveröffentlicht, die noch heute wirken, als hätten sie die Neunziger im Alleingang erfunden.
Hellboy
Titel: Hellboy: Kompendium Bd. 1
Autor: John Byrne (Skript) und Mike Mignola (Skript/Zeichnungen)
Verlag: Cross Cult. 448 Seiten (farbig), Hardcover. 50 Euro.
Als Hellboy 1993 debütierte, zeigte er sich vom Zeitgeist gänzlich unbeeindruckt: Aus klassischem Gothic-Horror, osteuropäischer Folklore und Indiana Jones setzte Mike Mignola die vergleichsweise universelle Geschichte vom Junior-Teufel zusammen, der von Hitlers Okkultisten beschworen, aber von den Alliierten gefunden und aufgezogen wird. Den Kinderschuhen entwachsen, verdingt er sich im Dienst einer geheimen Regierungsorganisation dann als eine Art Kammerjäger für paranormale Strolche und mythisches Gesocks. Übermenschlich stark und widerstandsfähig hebt sich Hellboy schon dadurch von den konventionellen Superhelden ab, dass er keinen urbanen Raum beschützt, sondern stets an den Randgebieten der Zivilisation agiert, wo er nicht selten als letzte Bastion gegen das Übernatürliche auftritt.
Nachdem die frühen Abenteuer des Höllenbengels lange vergriffen waren, erscheint nun eine Neuausgabe, die die Sammelbände Saat der Zerstörung, Der Teufel erwacht sowie die Kurzgeschichtensammlung Sarg in Ketten kompiliert. Alle drei sind zweifelsohne essentiell, doch zeigt sich Mignolas Meisterschaft gerade in den kurzen Erzählungen: Je mehr Fett er vom Handlungsgerüst wegschneidet, desto eindrucksvoller geraten die Episoden. Zu bemängeln bleibt eigentlich nur, dass es nie zu einem Crossover mit der inhaltlich ähnlich gearteten und im gleichen Jahr gestarteten Fernsehserie Akte X kam. Mulder und Hellboy gegen den Wolfsmensch – man wird ja wohl noch träumen dürfen…
Inspektor Bayard
Autor: Jean-Claude Cabanau/Dieter/Jean-Louis Fonteneau (Skript) und Olivier Schwartz (Zeichnungen)
Verlag: Carlsen. 94 Seiten (farbig), Softcover. 12,99 Euro.
Seit 1993 zeichnet Olivier Schwartz die Serie Inspektor Bayard, deren maßgebliche Leistung es ist, die Grenzen zwischen Nostalgie, Ironisierung und Kunstfälschung endgültig zu verwischen. Alles ist hier irgendwie Retro: Von Schwartz‘ Zeichenstil, der den franko-belgischen Comic der Vierziger und Fünfziger-Jahre nachempfindet, bis hin zum Prinzip der kriminalistischen Kurzgeschichten, die den Leser am Ende auffordern, den Täter selbst zu ermitteln. Klar, vor 25 Jahren war dieser Ansatz en vogue, doch heute ist er nahezu verschwunden.
Mit seinen detailliert-kunstvollen Beiträgen zu Spirou und Fantasio kann und will Schwartz in Inspektor Bayard gar nicht konkurrieren, er hält seinen Strich hier eher schlicht und den Bildaufbau klar. Das ist einerseits schade, kommt aber dennoch der Beschäftigung mit den schön versponnenen Kriminalfällen, in die der Inspektor immer wieder hineingezogen wird, entgegen, weil diese zur Lösung eine intensive Auseinandersetzung mit den Zeichnungen einfordern. Da ist man dann schon mal dankbar, wenn üppiger Zierrat weitestgehend fehlt. Die angehängten Lösungen ergänzen dann gerne noch mal paar absurde Pointen, am meisten Humor beweist aber Übersetzer Thomas Schöner, der es sich nicht nehmen lässt, den französischen Seemännern Songtexte der deutschen Shanty-Schlagerikonen Santiano in den Mund zu legen. In diesem Sinne: Leinen los, volle Fahrt!
Maximum Carnage
Titel: Spider-Man: Maximum Carnage Bd. 1+2
Autor: Diverse
Verlag: Panini. 172/176 Seiten (farbig), Softcover. Je 16,99 Euro.
1984 brachte Spider-Man von einem Ausflug ins All einen extraterrestrischen Parasiten mit, der von der Spinne Besitz ergreifen wollte. Als dies misslang, verband er sich mit dem Reporter Eddie Brooke zum monströsen Venom, der trotz seinem Hang zur Gewalt bei den Fans bestens ankam, weshalb man ihm sogar einen eigenen Widerpart kreierte: Ein Ableger des Parasiten verschmolz mit dem Serienkiller Kasady zum blutrünstig-asozialen Carnage, dessen große Stunde 1993 schlug. In Maximum Carnage schloss er sich mit einer ganzen Truppe geisteskranker Superkrimineller zu einer pervertierten Familie zusammen und begann einen Amoklauf durch New York, gegen den selbst die vereinten Kräfte von Spider-Man und Venom machtlos erschienen.
Noch heute ist die 14-teilige Serie ein ganz und gar absonderliches Vergnügen: Der Bodycount nimmt horrende Ausmaße an, Blut und Gewalt werden aber nie explizit in Szene gesetzt. Stattdessen prahlen Carnage und seine Gang ausgiebig mit ihrer Mordgeilheit und massakrieren auch schon mal einen Kellner, weil er ihnen Tofu und Dampfgemüse vorsetzt. Wie im selben Jahr die Filme Falling Down und Natural Born Killers verkündet Maximum Carnage das Ende der zivilisierten Gesellschaft. Das drohende Abdriften in Amok und Terror ist heute natürlich wieder tagesaktuell (wenn es denn je anders war), der knallig-zynische Vortrag ist aber vor allem Eines: endkrass. Nur um einmal in der Diktion seiner Entstehungszeit zu bleiben.
XCT
Autor: Niki Kopp (Skript) und Timo Wuerz (Zeichnungen)
Verlag: Popcom. 168 Seiten, Hardcover (farbig). 16 Euro.
Von wegen alles wird immer teurer! Als XCT 1997 erschien, musste man knapp 17 Deutsche Mark für jedes der beiden Alben ausgeben, für einen Zähler weniger (!) erhält man heute eine Komplettausgabe im Hardcover (!!) mit gut sechzig (!!!) Seiten Bonusmaterial (nahezu allem, was damals begleitend veröffentlicht wurde und (!!!!) extra für die Neuauflage verfassten Anmerkungen und Erinnerungen der Autoren.
XTC ist dabei das typischste Kind einer Zeit, in der das Nahen der Jahrtausendwende digitale Utopien beflügelte: Aids ist besiegt und Marihuana legalisiert, Waffen hat man verboten. Auf dem ehemaligen Grundbesitz einer militanten Sekte hat die junge Corky einst X-City, eine Metropole, die der Generation X vorbehalten bleibt, gegründet. Mit Ende zwanzig fühlt sie sich jedoch nicht nur langsam zu alt für ihre Schöpfung, sondern gerät auch in die Schusslinie von Terroristen und Spekulanten, die mit X-City ihre eigenen Pläne haben. Mit Stirb Langsam auf der Loveparade ist die weitere Handlung ebenso platt wie zutreffend charakterisiert: Timo Wuerz – damals die Offenbarung der deutschen Comic-Szene – wusste, dass Reizüberflutung kein Schimpfwort und zu viel niemals genug ist: Seine ohnehin schon spektakulären Acrylzeichnungen rüstete er mit wirklich allem, was Grafikprogramme damals an Effekten hergaben, auf. Und die in Anmut ramponierte Amazone Corky ist eine der übersehenen Ikonen der Neunziger, die auch das Tank Girl noch locker aus dem Panzer gekickt hätte.
1997 befanden sich Cyberpunk und Techno allerdings bereits wieder auf dem absteigenden Ast, während deutsche Verlage ihr Heil zunehmend im Manga, statt im Aufbau der einheimischen Szene suchten. XCT bleibt somit ein letztes, gewaltiges Aufbäumen, das aber auch zeitgeistbefreit noch knallt wie vor 20 Jahren.
Batman: Das Beben
Titel: Batman: Das Beben Bd. 1+2/Auf dem Weg ins Niemandsland Bd. 1
Autor: Diverse
Verlag: Panini. 244/252/416 Seiten (farbig), Softcover. 24,99/24,99/39,99 Euro.
Im März 1998 hatte man bei Batman den ewigen Kampf gegen die Superschurken satt und konfrontierte den dunklen Ritter stattdessen mit einer Naturkatastrophe, gegen deren Ausmaße er letztlich machtlos war: Ein Erdbeben zerstörte große Teile seiner Heimatstadt und leitete den breit angelegten Niemandsland-Zyklus ein, der Gotham City als von der Regierung abgeschriebenen, rechtsfreien und sich selbst überlassenen Raum präsentierte. Das Bild des Superhelden, der sich im Zentrum der Zerstörung seine eigene Hilflosigkeit eingestehen muss, erwies sich als prophetisch: Nach den Anschlägen von 11. September 2001 bemühten mittelfristig alle amerikanischen Superheldencomics dieses Motiv.
Anno 2017 ist es hingegen der Abbau sozialer Leistungen und staatlicher Hilfestellungen, der die Normalbürger in der Not mit ihren Problemen alleine lässt und als erschreckende Parallele in die Gegenwart reicht. Ein zeitgemäß degenerierter Präsident glänzt im Niemandsland allerdings noch durch Abwesenheit, dieser Typus entwickelte sich erst, als George W. Bush im Folgejahr das Amt übernahm: Sowohl bei DC als auch bei Marvel fand man daraufhin Gefallen daran, mit Lex Luthor und Norman Green Goblin Osborne zwei notorische Verbrecher an den Wahlurnen triumphieren zu lassen. Doch auch ohne explizite Intention kündet jedes Bild in Niemandsland heute von einer möglichen Zukunft des Amerikas unter Trump – soll in drei Jahren mal keiner sagen, Batman hätte ihn nicht gewarnt. (8)
Rachel Rising
Titel: Rachel Rising Bd. 7: Staub zu Staub.
Autor: Terry Moore
Verlag: schreiber&leser. 128 Seiten, Softcover (s/w). 14,95 Euro.
Es bedarf schon eines gewissen Pragmatismus, um sich nach der eigenen Ermordung stur wieder an die Oberfläche zu buddeln. Rachel Beck verfügt zweifelsohne über diesen Charakterzug, muss nach ihrer Wiedergeburt jedoch erkennen, dass sie eine Hexe ist – und zwar nicht die einzige in ihrer Kleinstadt Branson: Die miesgelaunte Lilith hat dem Ort die Sache mit dem Scheiterhaufen nicht verziehen und will nun die ganze Stadt einebnen, während es einem anderen alten Bekannten, dem Dämon Malus, gleich nach dem jüngsten Gericht dürstet. Die quirlige Jet, deren Verhältnis zu Rachel die Grenzen des Platonischen neu absteckt und die burschikos-abgeklärte Gerichtsmedizinerin Tante Johnny wissen aufgrund der übernatürlichen Ereignisse zwar nicht mehr, wo ihnen der Kopf steht, erkennen dann aber am eigenen Leib, dass der Tod zwar ein Grund, aber kein Hindernis ist.
Nach Strangers in Paradise begann Terry Moore 2011 mit Rachel Rising ein zweites Großwerk, das seine Stärken dort fand, wo sie sonst nicht einmal jemand gesucht hatte: Je stärker Rachels Konflikt mit Lilith und Malus in den Hintergrund trat, desto präziser lotete Moore die Figuren und ihre Beziehungen zueinander aus – je mehr die Haupthandlung stagnierte, desto besser wurde die Serie. Das Gros der Leser verlangte dennoch nach einer Auflösung, die nun im siebten und letzten Band nicht mit biblischem Brimborium, sondern eben pragmatisch mit Faust und Verstand folgt. Ein würdiger Abschluss für den vielleicht besten amerikanischen Comic der 2010er Jahre. Und was für ein Jammer. (10)
Short Cuts
Jean van Hamme/Willam Vance: XIII – Gesamtausgabe Bd. 3: Die Verschwörung um den Amnesie-geplagten Agenten Jason Fly schien am Ende des zweiten Sammelbandes aufdeckt, dennoch blieben diverse blinde Flecken in seinem Lebenslauf. Die Episoden Tödliche Gefahr (1992), El Cascador (1993) und Drei silberne Uhren (1994) führen Fly auf der Suche nach seiner Vergangenheit ins mittelamerikanische Cobra Verde, wo er zum Mittelpunkt eines dramatischen Revolutionswesterns wird. Mit dem hier ebenfalls kompilierten Album Der letzte Zeuge (1997) gelingt der Serie schließlich noch die selten gesehene Verbindung von Spionage- und Gerichtsthriller. An Inspiration wie Ambition hat es hier wahrlich nicht gemangelt. (208 Seiten, Hardcover. 34,99 Euro)
Alan Grant/Val Semeikis: Lobo Collection 2+3: Man sollte nicht den Fehler machen, den außerirdischen Kopfgeldkiller Lobo vorschnell als anachronistischen Vertreter des in den Neunzigern populären Killen-und-Kichern-Genres abzutun: Band 2 der Lobo Collection watet mit grotesken Satiren auf religiöse Show-Blender und penible Post-Bürokraten auf, in Band 3 avanciert der Titelheld zum Medienstar, als sich ein zufällig von ihm aufgenommenes Video rasant verbreitet. YouTube – schon 1995 antizipiert. Respekt, du prophetischer Präsi. (188/164 Seiten, Softcover. 19,99/16,99 Euro)
Kevin Smith/Joe Quesada: Daredevil: In den Armen des Teufels: Dass gerade Daredevil einen Säugling beschützen soll, ist eigentlich schon absurd genug, doch 1998 war es lediglich der Auftakt zu einer im Superlativ gedachten Story. Denn bei dem Baby handelte es sich angeblich um nicht weniger als den Antichristen und Kevin Smith stopfte Katholizismus, Schuld und Sühne in den Superheldencomic bis die Seiten darunter ächzten. Joe Quesada fuhr derweil alles auf, was die zweite Hälfte der Neunziger stilistisch zu bieten hatte und nach der Lektüre braucht man erstmal eine Woche Urlaub. (236 Seiten, Softcover. 19,99 Euro)
Garth Ennis/John McCrea: All Star Section Eight: Die Section Eight ist das wohl einzige Superheldenteam, das eine größere Gefahr darstellt, als die Schurken, die sie zu bekämpfen vorgeben. Anführer Six-Pack ist ein übergewichtiger Alkoholiker, seine Kollegen wie Hundschweisser (schweißt jedem, den er trifft, einen Vierbeiner ans Gesicht) oder Fensterstürzer (trägt stets ein Fenster mit sich herum, um seine Feinde hindurch werfen zu können) eiskalte Psychopathen. Einst im Rahmen der formidablen Serie Hitman (1996-2001) eingeführt, spendierten die Originalautoren Six-Pack nun ein überfälliges Comeback, in dem er versucht, gegen eine Bedrohung anzutreten, die vermutlich nur in seinem alkoholbenebelten Gehirn besteht. Der beste Gossenhumor der Saison. (132 Seiten, Softcover. 16,99 Euro)
Brian Azzarello/Richard Corben: Luke Cage: Ein Mann räumt auf: Aus der Zusammenarbeit des Noir-Innovatoren Brian Azzarello (100 Bullets) und der Fantasy-Ikone Richard Corben (DEN) ging 2002 eine Ghetto-Variante von Für eine Handvoll Dollar hervor. Die Miniserie um den kugelsicheren afro-amerikanischen Marvel-Heroen Luke Cage sah dabei aus, als hätten die Underground-Comix der 1960er eine vergessene Vorlage von Shaft produziert. Das Ergebnis ist ein Plädoyer für mehr Obskurität im Superheldencomic. (132 Seiten, Softcover. 14,99 Euro)
Greg Pak/John Romita jr.: World War Hulk: Als die Kräfte des Hulk außer Kontrolle gerieten und begannen, eine konkrete Gefahr für die Erde darzustellen, rangen sich die Avengers dazu durch, den grünen Koloss ins All zu schießen. 2007 fand er zurück und hatte nur ein Ziel: Die Verantwortlichen grün und blau zu schlagen. Die Figurenfülle wird ohne Nachschlagewerk nur bewältigen können, wer selbst im Marvel-Universum lebt. Dafür ist die Klopperei bemerkenswert unversöhnlich geraten und wenn Wut eine Religion ist, dann ist World War Hulk ihr Amen in der Kirche. (280 Seiten, Softcover. 19,99 Euro)
Stephan Franck: Silver Bd. 1: James Finnigan ist Indiana Jones als verhinderter Meisterdieb: Bei einem misslungenen Coup fällt ihm Eigentum eines gewissen Jonathan Harker in die Hände, das ihn erkennen lässt, dass a) Vampire wirklich existieren und sie b) 2. große Silberschätze horten, die es sich unter den Nagel zu reißen gilt. Zwischen den Polen Lupin 3rd und Hellboy entwickelt Stephan Franck eine rasante Räuberpistole. Dass der Zeichner sich bisher primär als Regisseur von Smurfy Hollow – Eine schön schaurige Schlumpfgeschichte hervortat, sollte dabei niemanden abschrecken. (111 Seiten, Softcover. 14,95)
Diverse: Batman Eternal Bd. 4+5: Eternal heißt so viel wie ewig oder immer. Und daran, dass der dunkle Ritter uns mal alle überleben wird, besteht kein Zweifel: Kaum haben die Bände 4 und 5 seinen 2015 geführten Kampf gegen alle städtischen Institutionen und die nahezu komplette Schurkengalerie effektvoll zu Ende gebracht, erscheinen schon zwei Bände des Nachfolgers Batman & Robin Eternal. Darin versucht nun die geballte Sidekick-Riege ihren Mentor von dem Vorwurf reinzuwaschen, sich einst bei einer Menschenhändlerin einen neuen Robin bestellt zu haben, während Batman selbst unter Gedächtnisschwund leidet und sich an seine Identität als Held nicht mehr erinnert. Für einen Ewigen ist das natürlich nur ein Übergangsstadium. (228/248/148/132 Seiten, Softcover. 19,99/19,99/16,99/14,99 Euro)
John Layman/Rob Guillory: Chew – Bulle mit Biss!: Seit neun Bänden schlägt sich Sonderagent Tony, der die absonderliche Fähigkeit besitzt, alles über Dinge und Personen (einschließlich Leichen) erfahren zu können indem er in sie hineinbeißt, bereits mit dem Zweig der Unterwelt herum, der über ähnlich abstruse Kräfte verfügt. In der zehnten Folge Blutwurst steht der Endkampf mit dem monströs-vampiresken Sammler an, der die Fähigkeiten seiner Opfer assimiliert und bereits Tonys Schwester auf dem Gewissen hat. Entsprechend groß sind die Geschütze, die aufgefahren werden – weniger als eine Parallelhandlung im Höllenfeuer wäre ja auch Understatement. Der elfte Band wird womöglich der Abschluss dieser brillanten Serie, daran dass Autor John Layman noch genügend Pfeile im Kreativ-Köcher hat, würde aber niemand, der bei klarem Verstand ist, zweifeln. (128 Seiten, Hardcover. 16,80 Euro)
Benoît Feroumont: Spirou + Fantasio Spezial: Fantasio heiratet: Asterix und Obelix, Blake und Mortimer, Tim und Struppi… Ich korrigiere: Tim und Kapitän Haddock. Der franko-belgische Comic ist wahrlich nicht arm an großen Bromanzen. Was passiert also, wenn sich einer des Duos ausklinkt, um überraschend doch in den Hafen der heterosexuellen Ehe einzulaufen? Benoît Feroumont geht dieser Frage am Beispiel des Reporter/Abenteurer-Gespann Spirou/Fantasio nach und findet dabei durchaus überraschende Antworten, die von der gegenwärtigen Vitalität dieser klassischen Serie künden. (71 Seiten, Softcover. 12 Euro)
Sekundärliteratur: Hannes Rall: Animationsfilm. Konzept und Produktion: Bereits seit 2015 auf dem Markt, aber immer noch eine Empfehlung wert, ist diese Abhandlung, die theoretische Vorüberlegungen und praktische Umsetzung der unterschiedlichen Formen des Animationsfilms schlüssig miteinander verknüpft. Besonders überzeugend sind die Abschnitte über Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Trickfilm und Comic geraten, da sie einige blinde Flecken der Comicforschung zu füllen vermögen. (342 Seiten, Softcover. 34,99 Euro)
Janwillem promoviert am Institut für Neuere deutsche Literatur- und Medienwissenschaft. Er schreibt seit 2010 regelmäßig für den Albrecht über Comics und Musik, letzteres mit dem Schwerpunkt Festivalkultur.