Der Ursprung der Welt nach Liv Strömquist am Jungen Theater Kiel

Mit „Eins, Zwei, Drei, VULVA!“ wird das Publikum animiert, den Namen der außenliegenden Teile des weiblich gelesenen Geschlechtsorgans zu nennen und laut mitzuschreien. Denn in dem Stück Der Ursprung der Welt, welches aktuell am Theater im Werftpark aufgeführt wird, leisten die Darstellerinnen eine Stunde lang wichtige Aufklärungsarbeit über die weiblichen Genitalien und zeigen auf, wie Männer über mehrere Jahrhunderte hinweg den weiblichen Körper, den Orgasmus und die Menstruation tabuisiert haben.  

Als Grundlage für die Theaterinszenierung unter der Regie von Astrid Großgasteiger dient die gleichnamige Graphic Novel der Schwedin Liv Strömquist. Wer diese gelesen hat, wird nicht von neuem Wissen überrascht, sondern vielmehr davon, wie viele Szenen aus dem Comic unmittelbar auf der Bühne gelandet sind. Erfreulicherweise wird keines der Themen, die Strömquist in ihrem Werk anspricht, ausgelassen.  

Somit führen die beiden weiblich gelesenen Schauspielerinnen Diana Marie Müller und Marie Jobst die Zuschauenden entlang der Top-Sieben-Männer(gruppen), die zu sehr an den weiblichen Genitalien interessiert waren, durch Themen wie Genitalverstümmelung, Hexenverbrennung und Geschlechtsidentität. Aber auch die griechische Göttersage der Demeter, welche der Vulva Spiritualität und Heiligkeit zuschreibt, findet ihren Platz. 
 

Wissensvermittlung mal anders 

Wer nun an eine trockene Vorlesung denkt, wird sich wundern, wie eindrucksvoll und lebendig die Thematik auf die Bühne geholt wird. Natürlich darf auch eine Prise Humor nicht fehlen. Somit ist das Stück, welches mit einer Stunde Spielzeit wirklich knapp bemessen ist, sehr kurzweilig. 

Auch überzeugen die beiden Frauen auf der Bühne nicht nur mit ihren schauspielerischen Leistungen, sondern beeindrucken ebenso mit Gesangs- und Rapeinlagen. Durch Mimik, Körperhaltung und zum Teil auch mit der Hilfe von ein paar Requisiten schlüpfen sie scheinbar mühelos in die unterschiedlichsten Rollen. So werden die Beiden zum Beispiel durch Sonnenbrille und Gymnastikball zu Aliens, die von der Erde aus versandte Bilder nackter Menschen betrachten. 

Bild: Olaf Struck

Das Bühnenbild überzeugt durch seine Schlichtheit, wodurch genug Platz für verschiedene Tanzeinlagen und turnerische Elemente bleibt. Außerdem liegt so der Fokus konstant auf den Inhalten, welche die Schauspielerinnen ihrem Publikum kunstvoll präsentieren. Alle Objekte auf der Bühne dienen primär als Requisite. Somit wird auch die das Bühnenbild dominierende Zielscheibe, auf der eine lebensgroße, menschliche Puppe befestigt ist, in die Theaterperformance eingebunden.  

Da Wissen an die Zusehenden vermittelt werden soll, wird das Publikum regelmäßig direkt angesprochen und – es erinnert ein wenig an Vokabeln lernen in der Schule – dazu aufgefordert, Vulva nachzusprechen. Ein Begriff, der leider vielen Menschen noch unbekannt ist. 

Auch wird der Raum hinter der Bühne genutzt, um eine Metaebene zu öffnen, in der die Schauspielerinnen sich Zuversicht für die nächste Szene zusprechen. Es betont, dass es Mut braucht, um gesellschaftliche Tabus zu brechen. 


Für alle sehenswert 

Ein wichtiges, informierendes Stück, das Schweigen bricht und wertvolle Aufklärungsarbeit leistet, um patriarchalische Strukturen aufzuzeigen, kritisch zu hinterfragen und abzubauen. Somit ist es besonders schön zu wissen, dass bereits einige Schulklassen für Aufführungen angemeldet sind. Denn es ist wichtig, dass sich auch junge Menschen mit der Thematik auseinandersetzen und früh über gesellschaftliche Irrglauben aufgeklärt werden. Erfreulich war auch der gehobene Altersdurchschnitt im heterogenen Publikum bei der Premiere. Denn meistens herrscht das Gefühl, nur überwiegend jüngere Menschen wären an feministischen Themen interessiert. Doch dass auch Menschen jenseits ihrer zwanziger und dreißiger voller Elan „VULVA“ durch den Saal rufen, erfüllt einen mit Freude. Eines ist auf jeden Fall festzuhalten, Der Ursprung der Welt schafft Sichtbarkeit von Themen, die in unserer Gesellschaft traurigerweise meist nur im Verborgenen und mit Scham behandelt werden. Deswegen: Wenn euer Interesse geweckt ist, schleppt all eure Bekannten mit, denn niemandem sollte das Stück vorenthalten werden. Allerdings ist Eile geboten, die letzte Aufführung ist bereits am 14. Oktober.  Danach müsstet ihr euch für weitere Aufführungen bis Dezember gedulden.

Autor*in

Franzi studiert Psychologie, Pädagogik und Soziologie und schreibt seit Beginn des Wintersemesters 22/23 für den ALBRECHT.

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