Was ist wahr?
Florian Henckel von Donnersmark wagt sich in seinem neuen Film Werk ohne Autor, der am 3. Oktober in den Kinos anlief, an die großen Fragen des künstlerischen Daseins. Schon der Einstieg in den Film ist starker Tobak: Der gerade mal fünf Jahre alte Kurt Barnert (Cai Cohrs) besucht mit seiner Tante Elisabeth (Saskia Rosendahl) die Ausstellung über „Entartete Kunst“. Dort wird er mit der nationalsozialistischen Deutungshoheit über die Kunst konfrontiert.


Was ist schön?

Kurz darauf wird bei Elisabeth die Krankheit Schizophrenie diagnostiziert. Während Kurts nackte Tante sich vor den Augen des Kindes einen Glasteller auf den Kopf schlägt, verkündet sie : „Alles was wahr ist, ist schön!“ Es zeigt sich ein wichtiges Leitbild des Filmes: Bis zum Schluss ist diese Frage das Zentrum Kurt Barnerts Schaffensdrangs. Florian Henckel von Donnersmarck suggeriert, alles habe eine Schönheit, solange es wahr sei. Damit etwas wirkliche Relevanz habe, müsse der Künstler frei in allem sein.


Was ist Schuld?

Nach ihrem Anfall soll Elisabeth in einer Anstalt untergebracht werden. Als sie sich panisch schreiend den Pflegern widersetzt, legt Kurts Mutter dem Kind die Hand über die Augen, doch dieser schiebt sie weg. Ist nun diese Handlung als bewusste Entscheidung eines Fünfjährigen zu deuten, die Wahrheit als schön zu akzeptieren? Der Film scheint dies andeuten zu wollen.

Nachdem bei Elisabeth eine Sterilisation vorgenommen wurde, entscheidet der SS-Arzt Professor Carl Seeband (Sebastian Koch), die junge Frau von ihren Leiden „zu erlösen“. Als unwertes Leben gebrandmarkt wird sie mit anderen Frauen in eine Gaskammer gebracht. Während der Zuschauer mit ansieht, wie Kurts Tante zu Boden geht, blickt er selbst auf das durch die Luftangriffe brennende Dresden. In vielen Rezensionen ist zu lesen, dass der Schnitt dieser Szene falsche Assoziationen hervorrufen könne. Zu sehr erscheine er wie eine Gleichsetzung, zu wenig werde deutlich, dass es sich hierbei vielleicht nur um die Collage des Leides handeln könnte, das der Familie Barnert widerfährt.


Was ist Sühne?

Während Kurt aufwächst, fällt das NS-Regime und der Osten Deutschlands wird zur Sowjetischen Besatzungszone. Auch hier erfährt die Familie jedoch Repressionen: Kurts Vater, der sich offenbar nach Elisabeths Tod dem Druck beugte und der NSDAP beitrat, darf aufgrund dessen seiner Arbeit als Lehrer nicht nachgehen. Die Problematik für die Menschen, die in der DDR oder dem Dritten Reich lebten, wird in Werk ohne Autor deutlich. Beide Systeme, ob es sich dabei um das Nazi-Deutschland oder die spätere DDR handelt, funktionieren durch Ausgrenzung.

Kurt Barnert besucht inzwischen eine Kunsthochschule, an der er Elli Seeband (Paula Beer), die Tochter Carl Seebands, kennenlernt. Von der Verwandtschaft Ellis zum SS-Arzt ahnt Kurt jedoch nichts: Zwischen Elli und Kurt erwächst eine intensive Liebesbeziehung. Carl Seeband hingegen plant die Entzweiung des Paares: Kurt sei nicht die „Erbmasse“, die er sich für seine Nachkommen wünsche. Es wird deutlich, wie nah sich die beiden Systeme sind.

Auffallend sind leider auch die Stereotypen, die der Film verbreitet und der Kitsch, der mit ihnen einhergeht. Dem Film hätte es nicht geschadet, um die eine oder andere übermäßig leidenschaftliche Sexszene verkürzt zu werden. Die Beziehung von Elli und Kurt verkommt so zeitweise zur Parallele zu Kurts Schaffen. Läuft es im Atelier, läuft es auch im Schlafzimmer.

Schließlich scheint Kurt Barnert genau das zu finden, was der gesuchten „Wahrheit“ entspricht und vervollständigt damit sein Werk: Denn was wahr ist, ist schön. Diese Deutung hinterlässt durchaus einen leicht bitteren Nachgeschmack. Florian Henckel von Donnersmarck schwingt sich auf zu entscheiden, dass die eine Kunst wahr sei, während die andere es eben nicht ist. Doch letztendlich bleibt Kunst doch eben eins: subjektiv. Indem Henckel von Donnersmarck seinem Helden die ultimative Deutungshoheit der Wahrheit verschafft, gerät er in Gefahr, zu dogmatisch zu urteilen. Das, was der Film von Beginn an stets verurteilt, scheint zum Ende hin doch irgendwie Programm zu werden.


Fazit

Florian Henckel von Donnersmarcks Film Werk ohne Autor zeigt eindrucksvoll, was ein starres System mit Menschen anrichten kann. Das NS-Regime und die Sowjetische Besatzungszone weisen hierbei Parallelen auf, die vor allem eines hervorbringen: viel Leid. Leider wirken von Donnersmarcks Figuren häufig stereotypisch und die dargestellten Liebesbeziehungen kitschig. Ein schöner Film, der insgesamt leider etwas reißerisch wirkt.


6 von 10 KinoKatzenpunkten

Autor*in

Michèle ist 24 Jahre alt und studiert Deutsch und Geschichte an der CAU. Seit September 2018 ist sie Teil der Redaktion.

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