„Frauen lesen anders“ – meint man zumindest beim Carlsen-Verlag zu wissen und initiierte deshalb ein eigenes Segment für weibliche Comicleser. Was genau dieses „Andere“ an der unterstellten spezifisch-femininen Leseweise ist, mag die „Special for Ladies“-Edition nicht verraten, offenkundig ist aber die mit ihr verbundene Implikation, es hätte bisher kein für Frauen attraktives Angebot innerhalb der Comic-Programme existiert. Das ist natürlich Humbug.
Wer könnte zum Beispiel je die Pferde-Geschichten von „Wendy“ & Co vergessen, die in den Achtzigern kommerzielle Triumphe feierten? Oder – ungleich obskurer, aber nicht weniger populär – die japanischen „Boys Love“-Mangas, die sich mit ihrer Darstellung homosexueller Liebe unter androgynen Jünglingen eben nicht an eine schwule Zielgruppe wenden, sondern an in Liebesdingen unerfahrene Mädchen, die sich an eine heterosexuelle Partnerschaften noch nicht herantrauen?
Das Spektrum an Comics für Frauen ist folglich weitaus breiter als allgemein angenommen, ein Umstand dem die Edition auf den ersten Blick Rechnung zu tragen scheint. So ist die Bandbreite der drei Starttitel durchaus weit aufgefächert, wenn auch eher unglücklich, wie eine genauere Betrachtung Blick der Titel „Ich wäre so gerne Ethnologin“ von Margaux Motin, „Luft und Liebe“ von Hubert und Marie Caillou und „Paris“ von Maarten Vande Viele offenbart.
So operiert Motin offensiv mit den zu erwartenden Klischees, die Bewerbung des Verlags als „Alltagsdramen einer ganz normalen Mittdreißigerin, Mutter und bekennenden Schuhfetischistin“ macht schon deutlich, wo hier der Hase läuft. Gelungener ist da „Luft und Liebe“, der allerdings im regulären Segment besser aufgehoben wäre, weil er sich zwar des zumeist weiblich konnotierten Themas des Magersucht widmet, diesen aber eben nicht aus einer rein femininen Perspektive betrachtet. Bliebe noch „Paris“ – und um diesen Comic angemessen zu würdigen, muss man schon etwas weiter ausholen.
„Wie können sie nur so gut über Frauen schreiben?“, wird der von Jack Nicholson verkörperte Schriftsteller im Film „Besser geht’s nicht“ von einer Leserin gefragt. Seine Antwort: „Ich stelle mir einen Mann vor und subtrahiere Verstand und Zurechnungsfähigkeit.“ Eine Technik die immer noch en Vogue ist, wie „Paris“-Autor Maarten Vande Viele beweist. Er erzählt die Geschichte der drei Freundinnen Hope, Faith und Chastity, die in der französischen Metropole Karriere als Model, Sängerin oder einfach nur als verkommenes Flittchen machen wollen.
Erzählt werden ihre Geschichten dabei in dem oberflächlich-boulevardesken Plauderton, den das pinke Cover mit Glitzerschriftzug erwarten lässt. Und unter jedem Bild ist angeführt, von welchem Designer die Kleidung stammt, die die Figuren gerade tragen. Diese Vorgehensweise garantiert anspruchslose und zumindest partiell ansprechende Unterhaltung, so lange damit die banalen, milde komischen Erlebnisse der Protagonistinnen geschildert werden. Doch leider belässt es „Paris“ nicht bei diesen.
Schnell halten Themen wie sexueller Missbrauch, Gewalt und Demütigung in den Alltag der Heldinnen Einzug, was der Comic aber stumpf in der gleichen Beifälligkeit erzählt, mit der zuvor die Probleme mit einer zickigen Chefin oder fehlendem Geld für einen neuen Designerfummel geschildert wurden. Wenn Hope unter Drogen gesetzt und weggetreten von mehreren Männern vergewaltigt wird, dauert es kaum zehn Seiten, bis sie sich wieder durch die Geschichte lächelt, als sei nie etwas gewesen. Aber dass ihr Freund während einer Orgie (!) Sex mit Chastity hat, geht ihr dagegen reichlich an die Nieren – die weibliche Psyche, in „Paris“ ist sie flach wie eine Pfütze.
Den Frauen, die allesamt bis zur Dummheit naiv und bis zur Bösartigkeit oberflächlich sind, stehen die Männer als pathologisch triebgesteuerte Charakterschweine gegenüber, so dass der Comic schon nicht mehr sexistisch, sondern komplett menschenfeindlich zu nennen ist. Das demonstriert die Schlusspointe noch einmal eindrucksvoll, wenn die Agenturchefin, die Hope das Leben zur Hölle gemacht hat von demselben Mann einen Drink angeboten bekommt, der Hope zuvor betäubte und missbrauchen ließ. Die drohende Vergewaltigung einer Unsympathin als Happy End zu präsentieren, schlägt dem Fass denn endgültig den Boden aus. Wenn mit „Frauen lesen anders“ derart abscheuliche Machwerke gemeint sind, kann die anvisierte Leserschaft von „Paris“ gar nicht anders, als sich persönlich beleidigt zu fühlen.
Maarten Vande Viele: Paris. Carlsen Comics. Softcover. 216 Seiten (s/w), 19,90 Euro.
„Arzak – Der Raumvermesser“
Titel: Arzak – Der Raumvermesser
Autor: Moebius
Verlag: Ehapa Comic Collection. 80 Seiten (farbig), 25 Euro.
Beschäftigen wir uns nun lieber wieder mit Künstlern, die ihr Metier beherrschen. Der im Frühjahr verstorbene Moebius tat dies zweifelsohne wie kein Zweiter, was besonders die Geschichten um den stoischen Reiter Arzach und seinen Flugsaurier zeigten, deren Wiederveröffentlichung kürzlich an dieser Stelle besprochen wurde. Der nun vorliegende Band markierte die Rückkehr Moebius zu seinen Ursprüngen: Mit leicht abgewandelter Schreibweise ist Arzak wieder da, diesmal als Raumvermesser, eine Art futuristischer Gesetzeshüter. Seine stoische Gemütsruhe wird jedoch arg strapaziert, wenn er sich auf einem unwirtlichen Planeten mit allerlei interstellaren Gesocks und anderen Merkwürdigkeiten herumschlagen muss. Optisch ist das gewohnt großartig, was sowohl Moebius unverwechselbarem Zeichenstil als auch der Aufmachung im Überformat und mit zahlreichen Konzeptzeichnungen des Meisters als Bonus geschuldet ist. Die Geschichte hingegen bleibt Fragment, war sie vor dem Tod des Meisters doch ursprünglich als Auftakt einer Trilogie gedacht. Dem hätte das vermutlich gefallen, ging es seiner Kunst doch immer mehr um Stil und Gefühle, als um Logik und Kontinuität. (7/10)
„Billy Bat“
Titel: Billy Bat Bd. 1
Autor: Naoki Urasawa
Verlag: Carlsen Manga. 198 Seiten (s/w), 8,95 Euro.
„Besser gut geklaut, als schlecht selbst erfunden“ – was heute als Allgemeinplatz gilt, war 1949 noch weitgehend unbekannt. Eines Plagiats beschuldigt zu werden, konnte folglich eine hoffnungsvolle Künstlerkarriere nachhaltig ruinieren. Als der Comiczeichner Kevin feststellt, dass seine erfolgreichste Figur, der Fledermausdetektiv Billy Bat, die unbewusste Kopie einer japanischen Vorlage zu sein scheint, macht er sich umgehend auf ins Land der aufgehenden Sonne, um den Urheber der Figur zu finden und seine Erlaubnis einzuholen. Dort angekommen wird er jedoch prompt in eine Reihe mysteriöser Ereignisse verstrickt, die mit der rätselhaften Fledermausfigur in Verbindung zu stehen scheinen. Wie seine Hauptfigur plagiiert auch Autor Naoki Urasawa gerne, allerdings mit einem künstlerischen Erfolg, der den Vorbildern in nichts nachsteht. Urasawas „20th Century Boys“ kann es mit seiner Vorlage, Stephen Kings „Stand by Me“ beispielsweise locker aufnehmen. Typisch für den Autor ist dabei die dichte, gleichermaßen melancholische wie düstere Atmosphäre, die auch „Billy Bat“ seine unverwechselbare Note verleiht. Der famose Cliffhanger am Ende dieses Bandes hingegen ist aus der neunten Ausgabe von Alan Moores und Dave Gibbons „Watchmen“ übernommen, eine Fußnote die Urasawa lieber schnell nachliefern sollte. Wir haben schließlich nicht mehr 1949. (8/10)
„Don Rosa Classics“
Titel: The Complete Pertwillaby Papers/The Complete Captain Kentucky
Autor: Don Rosa
Verlag: Dani Books. 240/224 Seiten (s/w), je 33 Euro.
Wenn sich jemand die Mühe macht, den Comicstrip einer Studentenzeitung Jahrzehnte später in hochwertigen Hardcover Bänden erneut zu veröffentlichen, muss es sich bei dessen Zeichner schon um einen Großen seiner Zunft handeln. Don Rosa ist zweifelsfrei ein solcher: Nicht nur schaffte er es, aus der Anonymität der Disney-Comic-Produktion auszubrechen und seinen Namen zu etablieren, er übertraf auch sein erklärtes Vorbild Carl Barks an Erzählkunst und schuf mit „Sein Leben, seine Millionen“ einen über 400-seitigen Comicroman über das Leben Dagobert Ducks, der sich mit sämtlichen Meisterwerken der Kunstform messen kann. Wie Rosa das Erzählen in Bildern erlernte, lässt sich nun in „The Complete Pertwillaby Papers“ nachvollziehen. In dem Daily Strip für die „Kentucky Kernel“ ließ Rosa seinen Helden Lance Pertwillaby zunächst mit den Tücken des Studentenlebens kämpfen, bevor er ihn zunehmend auf exotische Abenteuerreisen schickte, die spätere Arbeiten für Disney bereits vorwegnahmen. (7/10) Die in einem zweiten Band erscheinende Superheldenparodie „Captain Kentucky“ orientiert sich hingegen stärker am Undergroundcomic nach Manier Robert Crumbs und ist auf Grund ihrer Textfülle ein etwas anstrengenderes Lesevergnügen. (6/10) Beide Bände erscheinen mustergültig editiert, mit reichhaltigem Bonusmaterial und in englischer Sprache.
Sekundärliteratur „Comics intermedial“
Titel: Comics intermedial. Beiträge zu einem interdisziplinären Forschungsfeld.
Herausgeber: Christian A. Bachmann, Véronique Sina, Lars Banhold.
Verlag: Ch. A. Bachmann Verlag. Softcover. 219 Seiten, 29,90 Euro.
Von den Machern von „Comic – Intermedialität und Legitimität eines popkulturellen Mediums“ kommt nun die inoffizielle Fortführung „Comics intermedial“. Da wissen die geneigten Sekundärliteratur-Nerds bereits, was die Stunde geschlagen hat. Für alle anderen: Der Sammelband vereint zwölf Beiträge die das Verhältnis des Comics zum Film (beispielsweise im Artikel „Mediale Inszenierung von Geschlecht im Comicfilm Kick-Ass“ von Véronique Sina) zum Videospiel („Von Yellow Kid zu Super Mario“ von Hans-Joachim Backe) oder auch zum Radio („Stichproben in einem Feld transsensorischer Intermedialität“ von Christian Bachmann) erforschen. Ein derart breitgefächerter Ansatz erscheint für ein vergleichsweise unerforschtes Feld wie dieses durchaus sinnvoll, hat aber in diesem Fall den Nachteil, dass die einzelnen Artikel sich teilweise mit zu ausladenden Hinführung zum eigentlichen Thema aufhalten und die Erkenntnisse im Anschluss eher dünn ausfallen. Dennoch verteidigt der Bachmann Verlag, der sich ausschließlich der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Comic verschrieben hat, mit dieser Publikation seine Ausnahmestellung und liefert eine Vielzahl wertvoller Denkanstöße. (7/10)
Janwillem promoviert am Institut für Neuere deutsche Literatur- und Medienwissenschaft. Er schreibt seit 2010 regelmäßig für den Albrecht über Comics und Musik, letzteres mit dem Schwerpunkt Festivalkultur.