Es ist kurz nach sechs an einem kalten und dunklen Mittwochabend. Viele winterlich eingepackte Menschengruppen spazieren über die schmale Hörnbrücke in Richtung Ostufer. In nur wenigen Minuten Fußweg ist der Kieler Konzertort, die Halle 400 erreicht. Vor dem Eingang hat sich bereits eine rund hundert Meter lange Warteschlange gebildet. Klirrende Dezemberkälte hin oder her – Hunderte sind gekommen, um den deutschen Pop-Sänger Mark Forster live zu sehen. Schon seit Wochen ist dieses Konzert ausverkauft.
Vor wenigen Jahren war Mark Forster noch ein Geheimtipp. Drei Jahre lang, von 2007 bis 2010, spielte er einen polnischer Musiker namens „Polski Balboa“ als Sidekick von Kurt Krömer. 2009 kündigte er Hals über Kopf seine Wohnung und pilgerte zwei Monate lang auf dem Jakobsweg zwischen Frankreich und Spanien. Hier entschied er, es endlich mit einem eigenen Projekt zu probieren: Er fing an, ein eigenes Album zu schreiben. 2012 war es dann soweit: Er veröffentlichte sein Debütalbum Karton und spielte im Vorprogramm von Laith Al-Deen. Es ist ein ruhiges, gefühlvolles Album mit Aufbruch-Charakter. Seine erste Single Auf dem Weg – die damals auf Platz 19 der Charts landete – klingt mit den Zeilen „Auf dem Weg, auf dem ich lauf / Bin ich an so vielen vorbeigerauscht“ fast wie eine Hommage an seine jetzige Karriere. Er hat es wirklich geschafft: er zählt heute zu den ganz Großen in der deutschen Musikszene.
Es wird dunkel in der Halle und die Scheinwerfer sind nach vorne gerichtet. Marks Supportband AMANDA kommt auf die Bühne. Die Sängerin hat lange schwarze Rastazöpfe und trägt ein Parka-Hemd. Im breiten Berlinerisch ruft sie: „Komm‘ Kielchen, wir machen’s uns gemütlich“ und singt Zeilen wie „Es ist scheißegal / wie viel Zeit vergeht / weil alles wie immer ist / wenn du vor mir stehst“. Es ist eine kraftvolle Mischung aus Soul und Rap. Das Kieler Publikum bekommt einen Einblick in ein bisher unveröffentlichtes Liedrepertoire.
Mit lautem Getöse und Geklatsche kommt Marks Band auf die Bühne. Sein Song Spul zurück wird angespielt. Geräusche eines alten Mixtapes. Nur wenige Sekunden. Es folgt direkt die Jazz-Nummer Sowieso – Bühne frei für Drummer, Saxophon und Trompeten. Rechtzeitig zum Text springt Mark Forster auf die Bühne. „Wunderschönen Abend, Kieeeeel! Wir sind froh wieder hier zu sein. Wir hatten im Sommer, auf der Kieler Woche einen großartigen Abend bei euch!“ Das Publikum tobt.
Sein breites, sympathisches Lächeln ist nicht zu übersehen. Er trägt ein lässiges, weit ausgeschnittenes, weißes T-Shirt, eine graue Jeans – und natürlich seine Markenzeichen Vier-Tage-Bart, Brille und Basecap. Er beginnt mit den Liedern seines neuen Albums TAPE. Für Was Ernstes gibt es ein grandioses Bläser-Solo. Die Songs sind voluminös und musikalisch vom feinsten: Für das Album hat er nicht nur die Harlem Gospel Singers aus New York – die zu den besten Chören der Welt gehören – arrangiert, sondern auch mit der Adele-Arrangeurin Rosie Danvers aus London zusammengearbeitet.
Besonders das Stück Natalie ist ein Highlight. „Und wieder lachst du über meine grauen Haare, / Bin froh, dass ich die überhaupt noch habe / Hast dich selber wirklich kaum verändert / Seitdem du sprechen kannst / gehst du mir auf den Sender.“ Das Lied ist seiner Schwester Natalie gewidmet. In der WDR-Talkshow Kölner Treff verrät er, dass ihm diese Geschwister-Liebeserklärung einfach so „herausgerutscht“ sei und dass diese Nummer zu seinen persönlichsten Liedern gehöre. Auch sein Weihnachtsgeschenk an Natalie ist ganz besonders. Jeden Abend seiner Tour fordert er das Publikum auf, einen bestimmten Satz laut auszusprechen. Auch das Kieler Publikum wird Teil dieses Geschenkes, das am Ende seiner Tour zu einem vollständigen Brief zusammengeschnitten wird.
Es folgen einige Lieder seiner Vorgänger-Alben wie Ey Liebe, Immer immer gleich und Königin Schweremut. Im Gegensatz zu den neueren Songs sind diese Lieder etwas ruhiger und melancholischer. Im offiziellen Videointerview zum Album Karton beschreibt er seine Texte mit den Worten: „Die Lieder handeln von dem, was ich so erlebt habe, worüber ich mir Gedanken mache, was mich verletzt hat, aber auch von den Erleuchtungen und Erkenntnissen, die ich so gesammelt habe.“ Er versuche immer Texte „ohne Maske oder Attitüde“ zu schreiben und er sehe kein Problem darin, seine sensiblen Seiten offen zu zeigen.
Für die Nummer Einer dieser Steine wechselt er die Bühne – plötzlich steht er in der Publikumsmitte auf einem kleinen Podest neben dem Mischpult. Das Stück entstand 2013 in Kooperation mit Sido und wurde 2014 mit einer Goldenen Schallplatte ausgezeichnet. Begleitet von seinem Gitarristen „Grubi“ und den textsicheren Zuschauern, sorgt das Lied für einen magischen Konzert-Moment.
Mitten durchs Publikum geht’s zurück auf die Hauptbühne. Einige kreischende Teenager-Fans sind außer sich. Nun gibt die Band noch einmal richtig Gas. Lametta und buntes Konfetti kommen von der Decke und aus dem Bühnenboden schießen große Rauchfontänen. Zum Radio-Hit Au Revoir wird Mark überraschend von AMANDA begleitet. Sie rappt die zweite Strophe, die im Original Sido übernimmt. Seine berühmten Singles Wir sind groß und Bauch und Kopf runden den Abend ab. Die siebenköpfige Band verbeugt sich vor dem Publikum und verabschiedet sich. Nach diesem großartigen Abend ist die lange Menschenschlange an der Jackenausgabe nur halb so schlimm. Das Warten hat sich für die Forster-Fans auf jeden Fall gelohnt.
Fenja ist 22 Jahre alt und studiert Germanistik und Philosophie in Kiel. Sie schreibt seit November 2015 für den Albrecht.