Frei nach Anton Tschechow zeigt die Kieler Theatergruppe Weitspuck zurzeit die Komödie Der Kirschgarten auf der Bühne des Studentenwerkes SH in der Mensa I. Im Stück folgen die Zuschauenden den Bewohnern des Gutshauses der Familie Ranjewskaja durch einen turbulenten Sommer voller Liebschaften, Feiereien und vor allem ganz viel Nichtstun.
Gutsherrin Ljubow kehrt nach Jahren des genussvollen Exzesses und mit ihrem Liebhaber im Schlepptau, ohne einen Cent übrig zu haben, aus Paris zurück in ihre russische Heimat. Dort angekommen, wird sie sogleich mit der bitteren Wahrheit konfrontiert: Der Hof ist am Ende. Es ist nichts übrig und der einzige Weg aus der Not heraus scheint der Verkauf des geliebten Kirschgartens, seine Abholzung und der Bau einer Ferienanlage zu sein. Ljubow tut daraufhin, was wohl jede*r tun würde. Absolut gar nichts, aber das mit ganz viel Stil. Und während sie es sich gut gehen lässt, in Erinnerungen und Champagner schwelgt, ist das Publikum gezwungen, mit anzusehen, wie um sie herum alles langsam aber sicher im Chaos versinkt.
Mit jedem neuen Schlag scheint Ljubows Lächeln ein wenig angestrengter zu werden, mit jeder Erinnerung an das Unvermeidbare kann das Zucken im Augenwinkel selbst aus der letzten Reihe noch beobachtet werden und jedes zerbrochene Glas, jeder Fetzen und jeder Blutstropfen, der seinen Weg auf die Bühne findet, wird einfach festgetreten. Und trotz Allem tut sie nichts. Bis es schließlich zu spät ist und sowohl der Gutshof als auch die Bühne und die Beziehungen der Charaktere untereinander nicht mehr zu retten sind.
Ein altes Stück, das immer noch passt
Die Theatergruppe Weitspuck verleiht dem Stück aus dem Jahre 1903 neues Leben in ihrer Produktion und treibt dabei dem Publikum mehr als nur einmal Lachtränen in die Augen. Zwischen Moderne und Vergangenheit behalten viele der Themen des ursprünglichen Stückes auch heute noch Relevanz. Das Sehnen nach der Einfachheit einer vergangenen Zeit, die es so nie gab, die Versuchung sich Lust und Exzess hinzugeben oder der Verlust zur Realität des Lebens von Langzeitstudierenden. Tschechows gesellschaftskritische Komödie bleibt damals wie heute wichtig und absolut witzig. Die Inszenierung schafft es, das Material in das 21. Jahrhundert zu holen, ohne dabei die Botschaft des Autors aus den Augen zu verlieren. Der einzige Groll, den Tschechow dieser Produktion gegenüber haben könnte, ist, dass die Waffe nie gefeuert wurde. Doch Angesichts der Tatsache, dass all das übrige Drama ganz in seine Sinne war, ist dies zu verzeihen.
Noch bis zum 12. Mai ist Der Kirschgarten auf der Bühne im Großen Saal der Mensa I in Kiel zu bewundern. Karten gibt es online unter studentenwerk.sh/de/veranstaltungen oder an der Abendkasse. Die Preise variieren zwischen 5 Euro für Student*innen und 8 Euro für Nicht-Studierende (Abendkassenpreise können abweichen). Zudem wird um kleine Spenden gebeten, die in die Wiedereröffnung der Bühne im Sechseckbau fließen.
Janne ist seit 2019 Teil der Albrecht-Redaktion, zunächst als Leitung des Kulturresorts und Social Media, dann bis Anfang 2024 für ein Jahr als stellvertretende Chefredaktion.