Mit der Adaption des Versromans Eugen Onegin entführt Ballettdirektor Yaroslav Ivanenko die Zuschauerinnen und Zuschauer diesmal in die russische Gesellschaft des 19. Jahrhunderts. Eine kühle Welt, die dennoch glänzt – die Welt von Dandy Eugen Onegin. Ein stets elegant gekleideter Lebemann, der sich auf den Bällen der Sankt Petersburger Oberschicht vergnügt. Eines Tages trifft er auf das verträumte Mädchen Tatjana und zwischen den beiden entwickelt sich eine dramatische Liebesgeschichte, die von großen Emotionen und verpassten Chancen geprägt ist.
Was wir wirklich in unserem Leben brauchen
Der junge Dandy Eugen Onegin (Amilcar Moret Gonzalez) ist von seinem Leben in der russischen High Society zunehmend gelangweilt. Als er die Nachricht von dem Tod seines Onkels erhält, einen Mann, den er mit glücklichen Kindheitserinnerungen verbindet, beschließt Eugen auf das geerbte Landgut in die Provinz zu ziehen. Dort trifft er auf das verträumte Mädchen Tatjana (Carolina Agüero), welches die meiste Zeit in der Fantasiewelt ihrer Bücher zu leben scheint. Sie fühlt sich sofort zu dem eleganten Eugen hingezogen und offenbart ihre Gefühle in einem Brief. Der ruhelose Städter weist das schüchterne Mädchen jedoch zurück und bandelt stattdessen mit ihrer aufgeweckten Schwester Olga (Leisa Martínez Santana) an, womit Eugen deren Verlobten Lenski (Christopher Carduck) provoziert. Es kommt zum Duell zwischen den beiden Männern, welches für Lenski tödlich endet. Eugen verlässt daraufhin das Landgut, um auf Reisen Zerstreuung zu finden.
Einige Jahre vergehen, bis Eugen wieder zurückkehrt und auf einem Ball Tatjana trifft. Diese hat sich vom schüchternen Mädchen zu einer eleganten Generalsgattin entwickelt. Überwältigt von der schönen Frau, bereut er, sie damals abgewiesen zu haben. Nun ist es Eugen, der in einem Brief seine Gefühle preisgibt und damit Tatjana zu einer Wahl zwischen ihm und ihren Ehemann zwingt. Obwohl sie noch Gefühle für Eugen hegt, zerreißt Tatjana den Brief und bleibt ihrem Mann treu.
Die innere Geschichte des Autors
Es gilt als eines der persönlichsten Werke Alexander Puschkins. So lässt der Autor bewusst auch autobiografische Details miteinfließen. Dabei ist es gerade das Duell zwischen Lenski und Eugen, welches Puschkin im nicht-fiktionalen Leben zum Verhängnis wird und seinen Tod mit nur 37 Jahren zur Folge hat. Was eventuell einer der Gründe dafür ist, warum Eugen Onegin vermutlich eins der bedeutendsten Werke Puschkins darstellt.
Mit klaren und emotionsgeladenen Szenen erzählt Ivanenko nun seine Version des russischen Nationalepos. Dabei wendet er sich musikalisch von der gleichnamigen Oper Peter Tschaikowskis ab und wählt zusammen mit dem musikalischen Leiter Daniel Carlberg symphonische und kammermusikalische Stücke Tschaikowskis, die den Handlungsverlauf auf der akustischen Ebene wiedergeben.
Pure Gefühle, Treue und Ehrlichkeit
Der Vorhang öffnet sich und es wird eine kühl schimmernde Welt präsentiert. Das Bühnenbild, entwickelt von Eva Adler, unterstützt diese Ausstrahlung: blaues Licht und graue Wände, die auf dem ersten Blick unspektakulär wirken. Doch entfalten sie im Laufe des Stückes ihre Dynamik – die Wände sind beweglich und entpuppen sich im zweiten Akt als symbolische Bedrohung, welche die innere emotionale Zerrissenheit der Figuren nach außen trägt.
Für die Rolle der Tatjana konnte die Argentinierin Carolina Agüero als Gasttänzerin gewonnen werden. Sie zeigt sich mit präzisem und anmutigem Tanzstil, der der Figur einen natürlichen Bewegungsfluss verleiht. Im Laufe des Stückes entwickelt sich Tatjana von dem introvertierten Mädchen zu einer souveränen Dame. Entsprechend werden ihre Bewegungen offener in der Verspieltheit und zeigen mehr Dynamik. Eine Charakterentwicklung, die sich auch in den von Angelo Alberto entworfenen Kostümen widerspiegelt: Das schlichte rosa Kleid, wird durch ein feuerrotes Ballkleid ausgetauscht.
Eugen Onegin, getanzt und gespielt von Amilcar Moret Gonzalez, strotzt von Anfang an vor einer raumfüllenden Eleganz, die durch eine starke Präsenz und schwungvollen Sprüngen verkörpert wird. Ein auf dem ersten Blick charmanter Dandy, der innerlich in seinem Gefühlsgeflecht gefangen ist und eine rastlose Unentschlossenheit zu Tage bringt.
Als Highlight präsentieren sich die an Intensität gewinnenden Pas de deux der Hauptcharaktere: Anfangs noch zurückhaltend, wird die Anziehung der beiden immer stärker und der Tanz befreiter. Der Höhepunkt wird in der Abschlussszene erreicht, mit höchster Dramatik und emotionaler Zerrissenheit.
Die Pas de deux der beiden Hauptcharaktere zeigen zunächst noch zurückhaltend, dann stärkere Intensität und Leidenschaft. Gegipfelt in höchster Dramatik und Zerrissenheit. Mit begeistertem Applaus vom Publikum werden die Tänzer*innen dann verdient belohnt.
Johanna studiert seit dem Wintersemester 2016/17 Deutsch und Soziologie an der CAU. Sie ist seit Oktober 2016 Teil der ALBRECHT-Redaktion. Von Juli 2017 bis Januar 2019 war sie als Ressortleiterin für die Kultur verantwortlich. Sie war von Februar 2019 bis Januar 2022 Chefredakteurin des ALBRECHT.