Wartezimmer mit abgegriffenen Zeitschriften auf dem Beistelltisch, klinische Sauberkeit, elektronisches Piepen, gedämpftes Gemurmel aus den einzelnen Zimmern, Medikamentenwägen und herumlaufende Pfleger*innen und Ärzt*innen in weißen Kitteln – es gibt angenehmere Dinge als einen Aufenthalt im Krankenhaus. Nicht nur kann dieser mit physischen Schmerzen oder seelischem Leid verbunden sein, sondern ist oftmals auch mit Gefühlen wie Sorge, Angst und Beklemmung besetzt. Herausgerissen aus dem alltäglichen Kontext, konfrontiert mit der eigenen Krankheit, sollen Patient*innen im Krankenhaus durch individuelle Behandlung geheilt werden. Hierzu bleiben sie von einigen Tagen bis hin zu mehreren Wochen im Klinikum und verlassen das Gebäude häufig kaum. Wartebereiche, Behandlungsräume, das eigene Patientenzimmer, medizinische Gerätschaften und unendliche, sich scheinbar immer wieder gleichende Flure prägen hierbei häufig den Aufenthalt der Patient*innen.
Mit den Fragen, inwieweit Kunst die Gestaltung von Klinikräumen und die Genesung der Patient*innen positiv beeinflussen kann, haben sich Studierende der Muthesius Kunsthochschule anlässlich eines Wettbewerbs für Kunst und Gestaltung der neuen Klinikgebäude des UKSHs in Kiel und Lübeck auseinandergesetzt. Die Ergebnisse des vom Transferpark, dem Kompetenzzentrum der Muthesius Kunsthochschule, initiierten Wettbewerbs sind momentan in der Ausstellung Das klinische Bild – Kunst beflügelt Genesung in der Medizin- und Pharmaziehistorischen Sammlung Kiel zu sehen.
Doch welche gestalterischen Kriterien müssen Kunstwerke erfüllen, um einerseits unterstützend auf die Genesung zu wirken und anderseits den räumlichen und medizinischen Ansprüchen eines Krankenhauses zu genügen? Mit diesen Fragen haben sich die Studierenden im Vorhinein des Wettbewerbs intensiv beschäftigt. Für die Kunststudentin Nina Heinrich stand der Begriff der Heilung im Zentrum ihrer persönlichen Auseinandersetzung. Um sich dem Begriff aus verschiedenen Perspektiven zu nähern, befragte sie Patient*innen und Mitarbeiter*innen im Krankenhaus nach ihrem individuellen Verständnis von Heilung und was sie jeweils als heilsam empfinden. Genannte Assoziationen wie ‚Mutterleib‘ oder ‚Holz‘, das aufgrund seiner Haptik als heilsam empfunden wurde, flossen dann in ihre Entwürfe von nichtfigürlichen Aquarellen ein. Der Prozess von ersten Entwürfen und Ideen hin zu fertigen Kunstwerken wurde dabei durch die Professorinnen Dr. Almuth Linde und Silke Juchter in vielen Arbeitsgesprächen und Diskussionsrunden mit den Studierenden unterstützt. Ziel war es, dass alle Studierenden ihre persönliche künstlerische Position zu der Thematik Heilung entwickeln konnte.
Entstanden sind eine Vielzahl von Werken, die in ihrem Verwendungskontext gezeigt werden. Hierzu durchlaufen die Besucher*innen während des Ausstellungsbesuchs die verschiedenen Stationen eines Krankenhausaufenthaltes – angefangen beim Empfang und Wartebereich über die Station und den Behandlungsraum. Der größte Unterschied zu vielen anderen Klinikaufenthalten ist die Präsenz von Kunst in den Räumen. So zeigt Bildzeit von Maike Schlemmer abstrakte Collagen, die sich aus bunten Scherenschnitten von Pflanzen zusammensetzen und hierdurch die Betrachtenden einladen, immer wieder neue Assoziationen zu bilden. Der Herausforderung, Werke zu schaffen, die lange und oft betrachtet werden können, ohne die Betrachter*innen zu ermüden, haben sich die Kunststudentinnen Helena Hintz und Rebecca Popken gestellt. Durch dynamische Langzeitbelichtung sind in Helenas Arbeit Oblivion fließende Naturmotive entstanden, die Ruhe ausstrahlen und zugleich die Betrachter*innen zum Eintauchen einladen. Norddeutsche Lichtatmosphären sind hingegen Gegenstand von Rebeccas photographischer Arbeit Fluidity, welche durch ihre Bearbeitung an abstrakte Aquarelle erinnern und dem*der Patient*in helfen sollen, in der Betrachtung schwere Gedanken loszulassen. Ein Stück Geborgenheit und Schutz soll die in warmen Farben gehaltene Wandmalerei von Grigori Skrylev im Krankenhaus erzeugen, indem sie verschiedene asiatische Ornamente verbindet, die als gesundheitsfördernd gelten. Die an einen Teppich angelehnte Arbeit kann somit von vielen verschiedenen Kulturen gelesen werden und kommunikationsfördernd wirken. Neben den Kunstwerken stellt die Darstellung der historischen Entwicklung des Krankenhauses in Deutschland und des UKSHs in Kiel eine interessante Ergänzung dar und rundet die Ausstellung im Gesamten ab.
Welche der Arbeiten im Endeffekt tatsächlich später in den neuen Klinikgebäuden des UKSHs zu sehen sind, ist noch nicht entschieden. Doch unabhängig davon, lädt die Ausstellung die Besucher*innen dazu sein, sich mit dem Diskurs um die Wirksamkeit von heilenden Umgebungen zu beschäftigen.
Die Ausstellung Das klinische Bild – Kunst beflügelt Genesung ist noch bis zum 1. März 2020 in der Medizin-und Pharmaziehistorischen Sammlung Kiel zu sehen.
Sophie studiert Germanistik und Kunst. Seit April 2015 ist sie Teil der Redaktion des ALBRECHTs. Sophie ist für den Bereich 'Zeichnungen' zuständig und greift hier auch gerne selbst zum Stift.