Ein Kommentar von Leona Sedlaczek

Moin Norddeutschland, du gehst mir auf die Nerven

Ich habe ein Problem mit kultureller Identität. Ungefähr seit ich vor ein paar Jahren nach Kiel gezogen bin.

Kiel. Dieses mehr oder weniger schöne Küstenstädtchen – mit zwinkerndem Auge nennt man es manchmal auch Landeshauptstadt – windig, klein, schlecht angebunden, aber am Meer. Wer hier aufwächst, hat oft einen Bulli und eine Surfer-Crew, weiß, was die Beaufortskala ist, fährt in den Urlaub nach Skandinavien, spielt in der Kreisliga einer Handballmannschaft, macht sich über Neumünster lustig und hat mindestens eine Tante, die sich regelmäßig mit Küstennebel betrinkt.

Ich mag Kiel, durchaus. Ich verstehe den Charme, der die Stadt umgibt, den Gedanken hier in einem fernen Sommer mit Kind und Kegel am Strand Sandburgen zu bauen, die verschlafene Dorf-Atmosphäre, sobald es 22 Uhr schlägt oder Sonntag ist, und die beruhigende Sicherheit, auf dem alkoholgetränkten Heimweg niemals torkelnd von einer Straßenbahn erfasst werden zu können. Ich weiß auch, dass in Kiel nur deswegen ständig schnuckelige Cafés eröffnen, neue Konzepte umgesetzt werden und konsumkritische Initiativen Fuß fassen können, weil es hier noch nicht jede Idee im Überfluss gibt und Potential herrscht, zu verändern. Trotzdem langweilt mich diese Stadt manchmal.

Genau genommen das fast schon zwanghafte Identifizieren als norddeutsches Küstenkind und die kulturelle Eintönigkeit, die damit einhergeht. Ich komme aus NRW, aus dem Teil, der tatsächlich noch zu Norddeutschland gehört, doch wage ich diese Worte auch nur in den Mund zu nehmen, werde ich verbal verprügelt – südlich der Elbe, ich weiß. Entschuldigung. Auch sind meine i-Laute nicht Kiel-konform und dass ich lieber Wischlappen anstatt Feudel sage, bricht mir fast den Hals. In meinen fünf Jahren Kiel wurde mir im Rahmen solcher Diskussionen immer wieder deutlich gemacht, dass ich hier nicht hingehöre, zumindest nicht, solange ich ‚Geschirr‘ mit langem i ausspreche.

Ich weiß, kulturelle Identität ist Teil unserer sozialen Erziehung. Bayrische Buben und Madel haben eben Dirndl und Lederhosen im Schrank hängen, Kölner Mädchen sind Funkenmariechen und/oder Bierliebhaberinnen mit frecher Schnauze und Berliner Jungs legen ihren Dialekt nicht ab. Mein Pech, dass ich aus einem Teil Deutschlands komme, der sich weder mit dem Karneval, noch der Nordsee, geschweige denn mit Wirtshäusern identifizieren kann. Ich kann also über solchen Neckereien über meine Heimat hinwegsehen, denn auch ich mache mich über Schwaben lustig, die in Münster wohnen.

Was mir in Kiel neben der, zugegeben etwas übertriebenen, Prügel-Parolen allerdings tatsächlich gehörig auf den Zeiger geht, ist, wenn sich dieses regionalstolze Gehabe in einem ganz wunderlichen norddeutschen Phänomen manifestiert: Küstenmädchen. Nicht alle, aber viele dieser ‚seuten Deerns‘ sind die Ausgeburt des Küstenkonsums. Sie tragen gelbe Fischerjacken, am allerliebsten von Derbe, Anker und Worte wie ‚Ahoi‘ und ‚Moin‘ als Ketten, Ohrstecker oder Aufdruck auf ihren Taschen und Klamotten. Sie haben mindestens fünf blau-weiß gestreifte maritime Outfits, und einen weiteren Anker, nautischen Stern, oder Kompass auf den Unterarm tätowiert. Gewonnen haben die, die Svea, Finja oder Greta heißen, weil sie echte skandinavische Wurzeln haben und es keiner merkt, wenn sie sich ihre ach so blonden Haare heimlich noch ein bisschen nachfärben. Ihre Instagram-Bio enthält Worte wie norddeutsche Deern, Meerliebe, Heimathafen Kiel, Küstenkind, Nordmensch, Nordmöwe, Nordlicht, oder Nordliebe und zeigt mindestens ein Anker-Symbol und eine Welle.

Ich finde das langweilig und einfallslos. Es ist, als wäre die norddeutsche Herkunft das einzige, was diese Menschen definiert – und das niedliche Bild einer Frau, das damit einhergeht. Nicht wenige laufen mit den Jutebeuteln eines Kieler Geschäfts herum, auf denen das Wort ‚Küstenmädchen‘ prangt, darüber die Schattensilhouette einer schlanken, jungen Frau, die sich aber anscheinend lieber Mädchen nennt, mit langen Haaren, noch viel längeren Beinen, hohen Schuhen, Rock und in schöner Pose. Und alle finden das toll. Diese Stadt schreit „maritim“ und als Frau, die ja doch viel mehr Opfer gesellschaftlicher Konventionen ist, als ich es sein will, gibt es scheinbar auch hier eine bereits ausgeschnittene Schablone, in die der Konsens meiner Umgebung mir anbietet, mich hineinzulegen. Ich finde das gesellschaftlich spannend, merke aber, dass ich gar keine tolle Schattensilhouette sein will. Muss ich ja zum Glück auch nicht. Ich bin eben doch einfach aus NRW und genieße das Meer, bis mich der Nordwind woanders hintreibt, mein Kompass-Tattoo mir den Weg weist und ich meinen Anker in einem neuen Hafen auswerfe. Wenn ich das richtig verstanden habe, sagt man das hier so.

Autor*in

Leona ist seit Juni 2014 Teil der Redaktion und war von Dezember 2014 bis Februar 2017 Chefredakteurin der Print-Ausgabe des ALBRECHT. Anschließend leitete sie die Online-Redaktion bis Mitte 2018. Leona studiert Englisch und Französisch an der CAU, schreibt für verschiedene Ressorts der Zeitung und kritisiert Land, Leute, Uni und den Status Quo ebenso gerne wie Platten.

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5 Kommentare

  1. <3 Kann ich so, (ebenfalls Nord-NRWlerin) komplett unterschreiben! Bin kein Nordlicht und will keins sein, aus Süddeutschland komm ich aber dennoch nicht. Und hey, nächstes Jahr gehts zurück nach NRW, ne andere Ecke zwar, aber immerhin muss ich mich nicht mehr für die Aussprache der Worte Kirche, Geschirr oder sogar meines Names rechtfertigen.
    Juhu!

  2. Ich komme (auch?) aus Münster und habe in Kiel studiert. Jetzt wo ich in Bayern wohne, muss ich sagen, fällt die Nordidentität vergleichsweise lächerlich gering aus. Hier bist du halt wirklich ein Outsider wenn du bei der kürzlichen Wiesn nicht deine Lederhose und dein Dirndl anziehst. Kiel ist viel zu verschlafen, um den Menschen, die dort wohnen, seine Identität aufzudrängen. Hier unten habe ich das Gefühl, mit dem starken bayrischen Nackengriff geradezu in die Weischwurst getränkt zu werden.

    Dennoch witziger Artikel, manchmal vergesse ich, dass der Norden ja auch seine Besonderheiten hat. Mir fehlt die ruhige Entspanntheit Kiels, das Radeln am Ufer der Förde, der schneidende Meereswind und die vom Himmel kackenden Möwen. Wenn ich in Kiel spazieren ging, hatte ich das Gefühl, dass die Stadt mir gehört, weil sonst kaum jemand zu sehen war. Klar wird das irgendwann langweilig, aber ich wünsche doch jedem Menschen, einmal in seinem Leben an der Ost- oder Nordsee gelebt zu haben, bevor der Kompass uns in den Stress belebterer Städte weiterleitet.

    Bin gespannt, wo es dich hintreibt ^^

  3. Hach!
    Was für ein erfrischender Kommentar.

    Ich bin zwar nicht weiblichen Geschlechts, empfinde jedoch diese Übernordifizierung als sowas von nervig an.

    Ich bin in Eckernförde (das ist 25km von Kiel) geboren und habe dort 30 Jahre lang gelebt ehe ich berufsbedingt ins gruselige Kiel gezogen bin. In Eckernförde habe nicht nur schwimmen, segeln und angeln, sondern auch den Norden lieben gelernt. Egal, wo ich mich innerhalb von D länger aufgehalten habe, gingen mir entweder die Menschen oder die Gegend auf den Sack. Ich brauche die See, die steife Briese und die meist mürrischen, aber dafür ehrlichen Menschen.

    Egal, ich schweife ab.
    Was mir seit ein paar Jahren so richtig derbe auf den Sack geht, ist diese – auch von Dir beschriebene – „Jo, ick bünn so noorddüütsch, selbst mien Leguan schnackt platt“-Attitüde.

    Fast viel schlimmererer finde ich die ganzen Läden und Firmen, die mit auf den Zug aufspringen.
    Bin letztens durch Eckern geschlendert und hab zig neue Lädchen gefunden, die Buzzwords wie „Küste“, „Me(e/h)r“, „Ostsee“ etc im Namen haben. ÄT-ZEND!
    Wo bleibt die Diversität?

    Für mich war dieses Norddeutsch-Sein nie was Besonderes. Ich wusste für mich einfach, dass ich nach „hier oben“ gehöre, hier bleiben werde und ärgere mich dauerhaft, dass ich bisher nie richtig Platt gelernt habe, aber das war’s auch schon.

    Mittlerweile trau ich mich aber ob der o.g. Entwicklungen nicht einmal mehr, meinen Wunsch, ein maritimes Tattoo stechen zu lassen, weiter zu verfolgen, weil ich dann rumlaufen würde, wie jeder Berliner, Dortmunder oder sonstwer, der/die zum Studieren (oder aus anderen Gründen) nach KI + Umgebung gekommen ist, sich nach ein paar Jahren als Norddeutscher bezeichnet und andere (wie z.B. Dich) runtermacht, weil sie nicht auf norddeutsch machen. GRUSELIG

    Ich behaupte ja mal, dass den „echten“ norddeutschen Seelen ziemlich egal ist, wie Du sprichst oder rumläufst – solange wir unsere Ruhe haben. Und natürlich lachen wir, wenn „der Touri“ sich im nassen T-Shirt den Arsch abfriert, wenn er den Schirm daheim gelassen hat.

    😉

  4. Dies sollte uns aber nicht vergessen lassen, dass Al Bundy 1966 4 Touchdowns in einem Spiel gemacht hat und den Polk High School Panthers damit zur Stadtmeisterschaft verholfen hat.

  5. Liebe Leona,
    Ich versteh dich gut, ich komm zwar auch aus Norddeutschland, aber eben nur aus NiedersachEn – was aber auf jeden Fall mehr dem Norden entspricht als NRW – entschuldige die Spitze – und ich muss mich immer wieder dafür rechtfertigen, wenn ich sage, dass ich aus dem Norden komme. Aber: ähnliches ist mir auch in Berlin, Hamburg, Leipzig, Ulm und Mainz passiert. Alles Städte in denen ich längere Zeit gelebt habe. Und jetzt kommt es: du tust es doch auch. Die Menschen auf ihre Herkunft reduzieren und Vorurteile über alles und jeden zu stülpen. Ich selber würde mich wohl nie als Küstenmädchen bezeichnen (aber der Laden ist wirklich schön) und ich mag es im Norden Deutschlands zu leben. Denn das heißt einfach, sich den Wind um die Nase pusten zu lassen, das Meer immer nur einen Katzensprung entfernt zu wissen und vielleicht auch etwas seltsam zu reden – aber mal ehrlich, alles schöner als im Schwabenländle.
    Also, lass den Mädchen ihre Ankertattoos, schlag den Kragen deines Friesennerzes hoch und ärger dich nicht so sehr über die Taten anderer. Denn sonst kommt es eher wie Neid rüber. Auch wenn der gerechtfertigt wäre, denn wer wäre nicht gerne am Meer aufgewachsen?

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