Zwischen knarzigen Dielen und blökenden Schafen haben die Hamburger Musiker Kevin Hamann und Oliver Stangl, besser bekannt als ClickClickDecker, in Nordfriesland ihr neues Album Ich glaub dir gar nichts und irgendwie doch alles aufgenommen. Mit wenigen Plänen, aber vielen Zufällen, Offenheit und Leidenschaft ist daraus ein ganz besonderes Werk entstanden. Ein Hang zur Zuversicht trifft auf die Flucht in poetische Melancholie, aussichtslose Gedanken und Hoffnungsschimmer geben eng umschlungen einander die Hand. Zurück bleibt eine tiefe Gelassenheit in dem Wissen, dass zu viele Pläne das Leben verbauen und ein Einlassen auf die Dinge oftmals alles Erforderliche von uns ist. Im Interview mit dem ALBRECHT nach ihrem Konzert in der Hansa48 verraten sie, warum sie Fehler mögen und sich Masterpläne abgeschrieben haben.

Großartiges Konzert, wie war es für euch selber?

Kevin: Vielen Dank! Ja, ich glaube das war das verdattertste Konzert auf der ganzen Tour, weil wir einfach noch in so einer Blase vom Konzert gestern in Hamburg waren. Aber ich fand, wir haben‘s ganz gut aufgefangen und es hat sich gezeigt, dass wir wirklich auf Ungereimtheiten oder Ausläufer des Anderen reagieren können, wenn es auseinanderschwimmt.

Ihr seid gerade mit eurem neuen Album auf Tour. Es erweckt den Eindruck, als würdet ihr eurer Musik nun viel mehr Raum neben den Texten geben, während man auf den älteren Platten eine intensivere Rolle der Texte wahrnahm. Habt ihr bewusst an diesem Verhältnis gearbeitet?

Kevin: Nein, also ich kann von mir sagen, dass es genau das Gegenteil ist. Ich hab früher viel mehr Zeit in das Musikalische investiert, was natürlich auch daran lag, dass ich das zu Hause in meinem Schlafzimmer aufgenommen habe und man so jede Menschlichkeit und jede Dynamik nachbauen muss. Das hat mir wahnsinnig viel Spaß gemacht und jetzt ist es aber einfach so passiert, wie alles auf dieser Platte! Das einzige, was wir geplant haben, ist: Wir fahren dahin! Wie kommen wir dahin?

Oliver: Was nehmen wir mit?

Kevin: Und was kaufen wir zum Essen ein? Aber ansonsten ist das einfach alles so gekommen.

Mit dem Aufnahmeort eurer Platte habt ihr ganz besondere Einmaligkeiten eingefangen: es knarzt der Boden, die Vögel zwitschern, Schafe blöken und jedes Stück wirkt insgesamt sehr authentisch und nah. Woher kam der Impuls in die alte Bauernschule nach Emmelbüll zu fahren?

Oliver: Auch Zufall! Das Ding war, dass wir diesmal auch gerne irgendwo hin fahren wollten um eine Platte aufzunehmen, also sie nicht in Hamburg oder bei uns zu Hause aufnehmen wollten. Als wir dann gesucht haben, hat das irgendjemand aus dem blauen Dunst heraus Kevin über Facebook empfohlen. Und dann haben wir gesagt „Komm, wir probieren das aus“, und es war total super. Wir wollten das gerne woanders machen, aber dass es jetzt genau der Ort geworden ist: ein glücklicher Zufall.

Kevin: Ich finde immer noch, ohne den Ort wäre das Album auch nicht so wie es ist. Sei es musikalisch, sei es bildlich, textlich vielleicht nicht unbedingt, aber das Gesamtpaket. Der Ort ist halt einfach total wichtig gewesen. Und den haben wir uns aber nicht ausgesucht und ich glaube, wir können auch nie wieder da hinfahren um das gleiche nochmal zu reproduzieren.

Wie lief die Arbeit an eurem Album ab? Hattet ihr bereits viele fertige Ideen oder ist der überwiegende Teil spontan entstanden?

Kevin: Wir haben gar nicht die Zeit dafür gehabt, irgendwo hinzufahren und zusammen zu jammen. Ich glaube, das würde mir auch gar nicht liegen. Ich arbeite lieber am Grundgerüst, bestimme selber das Tempo und nehme mir das, was dann da ist, entweder halt eine Idee von mir selber oder von einem Kompagnon und arbeite dann damit. Und dann, wenn ich eine Idee habe, kommt die Frage „Können wir irgendwas daraus formen? Was kannst du dazu tun?“

Oliver: Und dann kommt ganz viel Spontaneität ins Spiel. Auch, dass man sagt: Man hat hier irgendetwas Konkretes, und dann lässt man es irgendwie laufen und dann kommt die Offenheit ins Spiel.

Kevin: Wir mögen auch gerne Firsttakes.

Oliver: Und Fehler.

Kevin: Ich glaube was die Platte auch einfach sehr hörenswert, musikalisch und lebendig macht, was aber früher schwieriger war und mehr Zeit gebraucht hat, ist: bei den älteren Platten haben wir wirklich jedes Instrument einzeln eingespielt. Und jetzt haben all diese Dinge ja Fehler, rutschen auseinander und das macht, glaube ich, die Platte so rasant, schnell auf den Punkt, fehlerhaft, lebendig und auch liebenswert und das wäre glaube ich auch niemals nachzustellen am Computer.

Musikalisch und menschlich ein eingespieltes Gleichgewicht: <br />Kevin Hamann (li.) und Oliver Stangl<br />  Foto: Sophie Krische
Musikalisch und menschlich ein eingespieltes Gleichgewicht:
Kevin Hamann (li.) und Oliver Stangl
Foto: Sophie Krische

Auf eurer neuen Platte hört man die verschiedensten Effekte, Chöre und andere Sänger. Wer war bei den Aufnahmen noch mit dabei?

Kevin: Also da waren Oli und ich und unsere Fotografin Sophie Krische, die das alles festgehalten hat im Bild.

Oliver: Wir haben das Album dann auch zu zweit gemischt. Auch da entstehen natürlich Fehler beim Aufnehmen weil wir keine gelernten Techniker sind. Die meisten Sachen haben dann Kevin und ich gesungen, also dann dupliziert. Und dann singen Sebastian Cleemann und seine Frau mit, eine Kollegin von Kevin und ein befreundeter Musiker, noch ein anderer befreundeter Musiker, aber so im Kern sind es eigentlich, auch die Chöre: Kevin, ich und Sebastian.

Wo ich gerade auf den Chor zu sprechen gekommen bin, z.B. „Durch die Kastanienanlagen“ scheint in seiner Art und Weise etwas völlig neues von euch zu sein: ein lauter Chor, Klatschen, Rasseln, ein Übersprudeln von Lebensenergie – wie seht ihr diese neue Linie?

Kevin:  Das ist komplett ein Oliver Stangl-Track. Es hat unglaublich Spaß gemacht im Studio auf dem Schlagzeug den Refrain einzudreschen, das war unglaublich toll!

Oliver: Das ist für mich auch ein ganz besonderes Stück. Das war das erste Stück, wo so eine komische „Gitarrendudelei“ von mir plötzlich zu einem Song geworden ist. Also das war für mich ganz zauberhaft, ist es auch immer noch!

Gefällt euch die Entwicklung von diesen schwermütigen Gitarren- und Klavierklängen nun zu solchen „Gitarrendudeleien“ wie du sagst?

Oliver: Ach, eine ordentliche Portion Melancholie ist ja auch immer noch da.

Kevin: Absolut. Ich finde auch, da haben wir uns gar nicht wegentwickelt. Ich glaube eher, dass es mittlerweile vielleicht einfach ein bisschen mehr auf den Punkt ist, verspielt auf den Punkt.

Kevin, nach der Release von „Den Umständen entsprechend“ antwortetest du in Interviews auf die Frage, ob es für dich in Zukunft als Band oder Solo weitergeht häufig mit den Worten „Das weiß ich jetzt noch nicht“. Man spürt jetzt eine starke Entwicklung in Richtung Band. Ist Solo für dich jetzt weg vom Fenster?

Kevin: Also was heißt Solo ist weg? Gerade genießen wir es einfach alle total das zusammen zu machen, aber man kann ja nie irgendetwas ausschließen. Deshalb will ich mich da gar nicht festlegen.

ccd-sophiekrische1_small
Foto: Sophie Krische

Oliver: Das ist zum einen ja auch nichts, was holterdiepolter von einem Tag auf den anderen passiert ist, sondern wir machen seit 8 Jahren zusammen Musik und das sind einfach immer Dinge, die sich irgendwie richtig anfühlen und dementsprechend trifft man Entscheidungen oder man trifft sie gar nicht, sondern Dinge passieren, das ist das eine. Und das andere ist, dass ich glaube, dass es bei Zukunftsplänen total wichtig ist, dass man einfach den Moment genießt, also dass man sich gar nicht unbedingt einen Plan nimmt und sagt: „Ich will, dass das nächste Album wird wie das hier“, weil das dann zum einen immer eine totale Enttäuschungsgefahr birgt und man sich zum anderen sehr oft dadurch die Möglichkeit verbaut, dass Dinge auch zufällig entstehen und sich einfach irgendwie entwickeln.

Würdet ihr also sagen, eure Arbeit steht unter dem Motto ‚Zufall‘?

Oliver: Nein, Zufall nicht, aber der spielt schon eine Rolle. Und man tut schon was dafür, es ist ja nicht so, dass man sich jetzt nur zurücklehnt, sonst würde überhaupt nichts passieren.

Kevin: Aber wir müssen einfach nichts mehr versuchen zu erzwingen oder uns Masterpläne legen. Und ich glaube, das ist auch das Wichtige: Wir sind nicht unbedingt davon abhängig. Na klar freuen wir uns total, wenn Leute zu unseren Konzerten kommen. Das heißt natürlich auch, dass wir Geld generieren. Aber wir stehen auch alle in einer Art und Weise im Leben, dass wir auch damit fahren könnten, wenn es nicht so wäre.

Kevin, es wirkt so, als ob du zurzeit mehr auf ClickClickDecker fixiert bist. Ganz klar, ihr habt jetzt die neue Platte aufgenommen und seid gerade auf Tour, aber hast du für dich schon selbst Tendenzen, zu welchen Projekten es für dich danach hingehen wird?

Kevin: Also ich hab eine ganz klare Tendenz und zwar, dass ich in dem Job in der Barner 16, in dem ich vor zwei Jahren angefangen habe, mehr arbeiten will. Ich war jetzt ein paar Jahre als Musiker selbstständig und das hab ich total genossen, aber ich freu mich auch wieder ganz normal arbeiten zu gehen und hab da eine tolle Stätte gefunden wo ich einfach beides miteinander verbinden kann: Musik und Arbeit mit Leuten mit Handicap. Das ist eine Betriebsstätte, in der wir mit Menschen mit Handicap Kunst herstellen – sei es Musik, bildende Kunst, Videos, Performances oder Theater.

Oliver: Die machen echt super Sachen! Ganz tolle musikalische Projekte, zum Beispiel Station 17 ist so eine Band. Es gibt auch eine CD mit den verschiedenen Musikprojekten, das Kollektiv Barner 16, kann ich nur empfehlen!

Ihr seid kein Fan von Plänen. Trotzdem: wie geht es mit ClickClickDecker weiter?

Kevin: Ich meine, es ist einfach mal Fakt: Seit 12 Jahren ist das die beste Tour, die wir je gespielt haben und ich würde lügen, wenn ich sagen würde: „Na und? Ich denk jetzt nicht an die Zukunft!“ Ich glaub auf jeden Fall, dass es weitergeht. Dafür ist es viel zu schön, um das zu ersticken. Die Frage „wann?“ können wir dir nicht beantworten, wollen wir auch nicht! Erstmal genießen wir, dass wir jetzt ganz viel unterwegs sind.

Oliver: Ich glaube es ist auch immer ganz wichtig, dass man in seinem eigenen Tempo lebt. Es ist ein sehr großer Fehler, wenn man zum Beispiel sagt: „Das war jetzt so schön, da müssen wir unbedingt nächstes Jahr wieder ein Album machen“, weil man die Enttäuschungslatte da ganz arg nach oben schiebt. Wir wissen es einfach nicht und ich finde es auch gut, dass man sich da nicht so die Gedanken drüber macht. Wenn es jetzt so wäre, dass Rucki-Zucki nächstes Jahr was Neues passiert, dann super! Und wenn es erst in vier Jahren ist, dann ist es auch richtig so.

Herzlichen Dank ihr beiden!

Das Interview führte Christina Wetzel.

Autor*in

Christina ist 21 Jahre alt und studiert Psychologie an der Uni Kiel. Seit November 2013 schreibt sie für den ALBRECHT.

Share.
Leave A Reply