Nach einem Indie Mega Film Erfolg wie Drive sollte man es doch eigentlich als Regisseur in Hollywood geschafft haben. Doch nicht der Däne Nicolas Winding Refn. Während sich andere Filmemacher-Ikonen wie Quentin Tarantino und Christopher Nolan zu jedem Budget die teuersten Schauspieler der Welt aussuchen können und mit großen Mainstream-Blockbustern auch finanzielle Erfolge erzielen, zog sich Refn nach seinem großen Erfolg erst einmal zurück. Mit Drive-Darsteller Ryan Gosling drehte er im US fernen Bangkok einen ziemlich abgefahrenen Arthousestreifen. Nachdem Only God Forgives sowohl bei Kritikern als auch an der Kinokasse floppte, lässt sich Refn in seinem Stil aber nicht beirren und liefert mit The Neon Demon den nächsten außergewöhnlichen Ausnahmefilm.
Die 16-jährige Jesse ist nach L.A. gekommen um die große Modelkarriere zu leben und es scheint sogar ziemlich gut zu funktionieren: Konkurrentinnen und Unterstützer sind sich einig, dass sie der nächste große Star im Business werden wird. Zusammen mit dem Modelwunderkind tauchen wir in die befremdliche Welt von Make-Up-Artisten, Starfotografen und Casting-Coaches ein. Und ob nun in diesem Haifischbecken oder ihrem heruntergekommenen Motel (inklusive Keanu Reeves als creepigem Nachtmanager): Ihre Schönheit scheint mit zunehmendem Erfolg mehr Bürde als Segen.
Dass Refn es schafft, den identischen Inhalt einer Donnerstagabend ProSieben-Castingshow, als nervenzerreißenden Thriller zu inszenieren, spricht für die Qualität des Ausnahmeregisseurs. Ob nun Zickenkrieg auf der Frauentoilette oder ein Termin mit dem eigenartigen Kunstfotografen (Dexters Desmond Harrington) – die Inszenierung der Einzelszenen macht The Neon Demon bereits zu einem must-see für Filminteressierte. Die Grundlage dafür liefert das sehr starke Schauspielensemble. Allen voran Elle Flanning und Jena Malone tragen mit ihrem nuancierten und authentischem Spiel die sehr stimmungsdichten Passagen von Jesses Karriereaufstieg. Ähnlich wie Großmeister David Lynch kann Refn mit diesem Fundament auch einmal Szenen surrealer gestalten und sich zeitweise auch vollständig auf den Einfluss bestimmter Stilmittel konzentrieren. Starke Dialogszenen wechseln sich so mit Passagen ab, in denen eine besondere Belichtung oder der einzigartige Electrosoundtrack das Ruder übernehmen. Solche stilistischen Sequenzen sind zwar sehr innovativ und auch für ein größeres Publikum ansprechend, doch darf The Neon Demon, wie schon in der Einführung angedeutet, keineswegs als effekthascherischer Zuschauerstreifen verstanden werden – die 117 Spielminuten richten sich vielmehr an Zuschauer von Filmperlen wie Mullholland Drive oder jüngst Denis Villeneuves Enemy (mit Jake Gyllenhaal). Wie schon seine Vergleichswerke lässt sich Refns neuster Film nicht klar in ein Genre einordnen. Narrativ stringenter als ein Lynchfilm, stößt er den Zuschauer gegen Ende trotzdem mit Tabuthemen, starken Symboliken und ungewöhnlichen Dramatugiebrüchen vor den Kopf. Für einen Horrorfilm ist The Neon Demon viel zu unterschwellig und zeitweise zu dokumentarisch, grenzt sich aber durch die gegen Ende einsetzende Phantastik und den starken Gore-Elementen von Psychothrillern ab.
Dass Refn The Neon Demon allein der Filmkunst willen erschaffen hat, zeigt die widersprüchliche Distribution: Das Produktionsstudio Amazon Prime Instant Video schreit praktisch nach einem online-only Release, was für eine solch außergewöhnliche Produktion sicher angebrachter wäre, als der aktuell scheiternde internationale Kinolauf. Paradoxerweise ist die Produktion mit ihrem speziellen Soundtrack und der künstlerischen Belichtung wie für die große Leinwand samt ohrenbetäubender Bassanlage geschaffen und entfaltet erst im Lichtspielhaus eine Immersion die höchstens mit den weltweit besten IMAX Kinos verglichen werden kann.
FAZIT
Nicolas Winding Refn ist und bleibt einer der größten Regie-Talente, die aktuell in der Branche tätig sind. Nach dem Kulthit Drive sind seine Filme eher spezieller und feinfühliger geworden, statt dass der Filmemacher durch seinen großen Erfolg kommerzialisiert worden wäre. Es ist eine Schande, dass auch The Neon Demon keine weitgefächerte Popularität vergönnt sein wird und so nur wenige in den Genuss dieses Highlights des Filmjahres kommen werden. Aber ob der Film nun für einen gemacht ist oder nicht: Refns Produktionen bleiben Events, die sämtlichen Zuschauern sowohl sehr positiv oder eben auch sehr negativ im Gedächtnis bleiben werden.
WERTUNG: 9,0 Kinokatzenpunkte
ZUSATZ: Nachdem es sich in den letzten Monaten zunehmend gehäuft hat, dass die Freiwillige Selbstkontrolle (FSK) Kinofilme zu lasch bewertet hat, verleihe ich hiermit meiner starken Verwunderung über eine FSK 16 Freigabe des Films Ausdruck. The Neon Demon ist nichts für zartbesaitete Mägen und führte während der Pressevorführung bei benachbarten Journalisten teilweise zu Würgereizen und dem Verlassen des Kinosaals.
René war vom Wintersemester 2014 bis Februar 2017 Teil der Redaktion sowie von April 2015 bis Februar 2017 Chefredakteur für den Online-Bereich. Als Spezialist zum Thema Film rief er Ende 2015 die Kultur-Sparte 'KinoKatze' ins Leben.