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Kopfhörer an, Stress aus?

Leises Flüstern, Klackern, Tröpfeln, Fingernägel kratzen über Holz. Solche und einige weitere Klangerlebnisse findet man, wenn man auf YouTube ‚Autonomous Sensory Meridian Response‘ oder kurz ‚ASMR‘ eingibt. Doch nicht nur auf YouTube ist der Trend zu finden: Auch auf Plattformen wie TikTok, Instagram und Spotify ist ASMR für viele Nutzer*innen nicht mehr wegzudenken und die Community wird immer größer. Doch was ist ASMR überhaupt und wie funktioniert es?  

Kribbeln im Kopf 

Unter ASMR versteht man die Wiedergabe von Geräuschen und Bewegungen, die von den sogenannten ‚ASMR-Artists‘ in Ton- und zumeist auch in Videoformat erzeugt werden. Die Geräusche, in der Community als ‚trigger‘ bekannt, lösen bei den Zuhörenden sogenannte ‚tingles‘ aus, die besonders intensiv beim Tragen von Kopfhörern sind. Häufig werden diese als Kribbeln und als allgemein wohliges Gefühl in Kopf und Körper wahrgenommen.  

Entspannung auf Abruf? 

Die ‚tingles‘ sollen, beispielsweise durch das Absinken der Herzfrequenz, beim Entspannen, Stressabbau und Schlafen helfen und zusätzlich die Konzentration fördern. Das Angebot hierbei ist breit: Von sogenannten ‚background ASMR’s‘, die sich teils über Stunden strecken und ein idealer Lernbegleiter sein sollen, bis hin zu kurzen einminütigen Clips auf TikTok, die beim Einschlafen hilfreich sein können, ist alles dabei. Ein bunter Blumenstrauß verschiedenster Videos, die sich durchaus auch als praktisches Hilfsmittel in Prüfungs- und Stressphasen anbieten und als Lern- und vielfältiger Entspannungshelfer nutzbar sein können.  

‚ASMR-Roleplays‘ und ihre Vorurteile  

Zwischen eben diesen verschiedenen Varianten von ASMR findet sich auch die Kategorie der sogenannten ‚Roleplays‘, in denen die ASMR-Artists in verschiedene Rollen schlüpfen. Der Fantasie werden hier keine Grenzen gesetzt: So findet man beispielsweise Ärzt*innen, Flugbegleiter*innen oder auch Stylist*innen an verschiedenen Schauplätzen wieder. Klingt doch erstmal harmlos oder? Aber eben diese ‚Roleplays‘, die sich besonders durch die direkte und intime Zuwendung des Artists an die Zuschauenden auszeichnen, werden oftmals anders wahrgenommen, als sie in der Regel gemeint sind: Nämlich auf einer sexuellen Ebene. Der Prozentsatz derjenigen, die ASMR auf diese Weise wahrnehmen und auch zu erotischen Zwecken nutzen, ist laut einer Studie der Swansea University mit fünf Prozent allerdings gering. Das starke Wachstum der ASMR-Community und der vielen Klicks wird deshalb wohl eher nicht, oder nur zu einem sehr kleinen Teil, in den absichtlich oder unabsichtlich transportierten sexuellen Reizen mancher Videos begründet liegen. 

Funktioniert das überhaupt bei mir? 

Immer wieder werden aber auch Stimmen laut, die behaupten, dass ASMR bei ihnen nicht funktionieren würde oder bei denen ASMR – gelinde gesagt – eher das Gegenteil von Entspannung hervorruft. Zugegeben, manche ‚trigger‘ sind auch wirklich speziell, wie etwa Videos, in denen minutenlang nur gegessen und geschmatzt wird. Allgemein kann man dazu sagen, dass ASMR noch nicht ausreichend erforscht wurde. Man ist sich deshalb auch noch nicht über die genauen Prozesse im Körper und somit auch über die Empfänglichkeit oder Abneigung gegenüber bestimmten Reizen im Klaren. Der Psychologe Prof. Dr. Claus-Christian Carbon (Universität Bamberg), der die durch ASMR erzeugten Effekte auch als ‚thrills and chills‘ bezeichnet, ist sich aber sicher, dass ASMR theoretisch bei jeder Person funktionieren kann, insofern diese dazu bereit ist, sich darauf einzulassen. 

Probieren geht über Studieren 

Wichtig zu wissen ist aber, dass nicht jeder ‚trigger‘ bei allen die gleiche Wirkung erzeugt. Deshalb kann es lohnend sein, die eventuell vorhandene eigene Abwehrhaltung zu überwinden, sich durch die bunten Angebote in den sozialen Medien durchzuwühlen und zwischen den etlichen Varianten, wie etwa ‚mouth sounds‘, ‚tapping‘, ‚personal attention‘, ‚brushing‘ oder ‚scratching‘, Ausschau nach dem perfekten ‚trigger‘ zu halten. 

Emma studiert im fünften Semester Geschichte und Deutsch im Profil Fachergänzung. Sie ist seit November 2023 Teil der Redaktion.

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