Mit dem Freischütz in der Wolfsschlucht

Verletzlichkeit, Feuer, Hölle — mit diesen Worten lässt sich die Inszenierung Carl Maria von Webers Der Freischütz an der Kieler Oper umreißen. Der französische Regisseur Jean-Romain Vesperini feiert mit seiner Inszenierung sein Debüt in Kiel.

Er bringt Christophe Chaupin (Licht), Alain Blanchot (Kostüm) und Étienne Guiol sowie Wilfrid Haberey (beide Video) mit in die Landeshauptstadt. Gemeinsam mit Generalmusikdirektor Benjamin Reiners hat das französische Quadrupel eine Inszenierung geschaffen, die es wahrlich in sich hat. Webers Freischütz-Vorlage könnte trotz deutscher Herkunft klassisch-französischer kaum sein: Der junge Jäger Max, überzeugend und tief theatralisch von Michael Müller-Kasztelan verkörpert, will Agathe, in ihren Arien glockenklar von Agnieszka Hauzer ausgearbeitet, heiraten. Die Dorftradition gebietet es, dass ein Probeschuss über Agathes Hand und die Übergabe der Försterei an den angetrauten Max entscheidet. Jedoch hat Max in letzter Zeit nur Pech auf der Jagd und lässt sich von Kaspar, eindringlich gesungen durch Ks. Jörg Sabrowskis tiefen Bass, verleiten, sogenannte Freikugeln zu gießen. Bei diesen hat jedoch der Teufel selbst in der Gestalt des schwarzen Jägers Samiel (vom Höllenfeuer schrecklich entstellt: Achim Buch) seine Finger im Spiel. Die ersten sechs Kugeln mögen treffen, doch über die siebte entscheidet der Teufel.  

Schauderhafte Stimmung verbreiten dabei die virtuos ausgearbeiteten Videoinstallationen von Guiol und Haberey, die nicht nur im Hintergrund als Bühnenbild fungieren und gar Film-Feeling aufkommen lassen, sondern ebenso auf einem Netz vor der Bühne stattfinden und so Vögel über dem Jagdgeschehen kreisen lassen. Gar immersiv wird es, wenn der Hölle Feuer und Hunde nicht nur auf der großen Leinwand, sondern ebenso auf der Decke und den Wänden des Saals ihr Unwesen treiben. Leider ist das Bühnenbild zwar ansprechend zusammengesetzt, wirkt jedoch wiederum an einigen Stellen wie aus dem Fundus gegriffen und aufgehängt. Auch die Kostüme wirken teils schludrig. Während Kaspar majestätisch im dunklen Gefieder seiner Jagdopfer gekleidet durchs Dorf schreitet, sind die Dorfbewohner*innen, bestehend aus Opernchor und Extrachor und wie immer die Grundpfeiler des Stückes bildend, in zerrissenen Kleidern und mit vermeintlichen Brandwunden in Form von abgesengten Haaren und Hautlappen vor dem Gesicht stilistisch völlig anders ausgestaltet. Dies erklärt sich allerdings weder im Verlauf der Aufführung, noch wäre es werkgeschichtlich zu erklären. Hier bleibt Alain Blanchot dem Publikum eine Einordnung schuldig.  

Besonders hervorzuheben sind ebenfalls die musikalischen Leistungen der Solistinnen des Jugendchores der Akademien, die als Jungfernchor Agathe auf ihre baldige Hochzeit einstimmen, am Ende jedoch einen Totenkranz überreichen. In seiner letzten Kieler Produktion leitet der scheidende GMD Benjamin Reiners souverän und mit Witz und Charme durchs Programm – so ist es auf den Monitoren, die eigentlich für die Darsteller*innen bestimmt sind, zu vernehmen. Reiners und das Philharmonische Orchester erhalten nicht nur vom Publikum, sondern auch von den Beteiligten auf der Bühne überschwänglichen Applaus – verdient! 

Wie die Geschichte um Max und Agathe ausgeht können Interessierte am 19.06., 06.07., 12.07. und 28.09. jeweils um 19.00 Uhr im Kieler Opernhaus herausfinden. 

Autor*in
Chefredakteur

Finn ist seit Februar 2024 Chefredakteur des ALBRECHTs. Zuvor hat er ein Jahr lang das Kulturressort geleitet. Für unser Blatt sitzt er häufig in der Oper, im Theater oder im Konzertsaal. Er studiert Englisch und Geographie auf Lehramt und ist seit dem WiSe 22/23 Teil der Redaktion.

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