Die neue Spielzeit am Theater Kiel im Schnelldurchlauf
Dass wir in einer Wind- und Wellenstadt wohnen, will das Theater Kiel in der neuen Spielzeit auf frische Weise betonen. Im stürmisch entworfenen philharmonischen Programm finden sich die Vorzüge unserer Nordstadt schnell wieder. Und auch die Oper beteiligt sich mit der Schaffung einer Nixe für eine Uraufführung an diesem thematischen Grundtenor. Tatsächlich kommt diese thematische Orientierung nicht von ungefähr: Noch bis März 2025 darf die Stadt Kiel sich noch offiziell Kulturperle der Ostsee nennen.
Vor der Präsentation des neuen Spielplans herrschte gelöste Stimmung im Opernfoyer. Schließlich schauen alle Kulturschaffenden auf eine erfolgreiche Saison zurück. Mit einer Auslastung von 79 Prozent über alle Sparten ist die Besucheranzahl fast auf ein Prä-Corona-Niveau zurückgekehrt. Noch dazu haben sich mehr als 4 000 Studierende für das Kulturticket registriert und beweisen vielfältiges Interesse am aktuellen Programm.
Eine Ode ans junge Theater
Der Feminismus geht im Jungen Theater im Werftpark in eine verdiente Verlängerung. Der Ursprung der Welt (nach Strömquist) hatte in der vergangenen Saison die Vulvas ins Rampenlicht gestellt (wir berichteten). Nun wird Das andere Geschlecht (Simone de Beavoir) erneut den Diskurs zu Machtstrukturen im Geschlechtersystem entfachen. De Beavoirs Werk aus den Fünfzigern bildet den Grundstein für feministische Ansätze und das Gebiet der Gender Studies. Es bleibt abzuwarten, wie ihre Thesen Platz auf der Bühne finden können. Zum Glück kann man diesem Zweiakter im Ganzen beiwohnen, denn Der Ursprung der Welt feiert in der neuen Saison eine Wiederaufnahme.
Wer diese Sparte des Kieler Theaters noch immer den kleinsten Zuschauenden überlässt, dem entgeht wirklich etwas. Selbstverständlich produziert das Junge Theater im Werftpark mit Frederick, Tiere im Hotel und einem Gedankenexperiment zur Existenz von Dinos im Hier und Jetzt tierisch niedliche Stücke. Aber die Wiederaufnahme von Schlachthof 5 (wir berichteten), der Zweiakter über Feminismus und eine Theaterproduktion angelehnt an Sophokles’ Antigone sind unbedingt auch für studentisches Publikum entworfen.
Und damit nicht genug der jungen Ideen: Am 26. Januar 2025 wird ein noch gänzlich unbekanntes Werk im Studio Uraufführung feiern. Eine fünfköpfige Jury wertet noch das Gewinnerstück des Autor*innenwettbewerbs Textflimmern aus. Aus den über 50 Einsendungen wird es nur ein Konzept schließlich auf die Kieler Bühne schaffen. Fest steht bislang nur das Datum, die Ausstatterin und die Regie durch Johannes Ender.
Herr der Elemente
Der Wind und die Wellen kommen in der neuen Spielzeit vorrangig durch Gabriel Feltz. Nur knapp acht Wochen hatte der neue GMD Zeit, seinen frischen Wind zu definieren. Wie er seinen Auftakt in Kiel gestalten möchte, ist dabei sehr abhängig von fremden Talenten. Schließlich ist ‚der Neue’ noch bis einschließlich 2025 doppelspurig in Dortmund eingespannt. Mit Ausnahme von zwei philharmonischen Konzerten, welche er selbst leiten wird, können Zuhörende sich also auf spannende Gastdirigent*innen freuen. So wird der iranische Dirigent Hossein Pishkar einen feurigen Auftakt der Saison dirigieren. An sein Dirigat der Feuerwerksmusik schließt sich ein Themenkonzert zum Wind an. Dem Element Erde widmet sich sodann die Ukrainerin Natalia Ponomarchuk mit Bernsteins Symphonie Nr. 2, die Jazz-Klänge in die Wunderino-Arena bringen wird.
Das fünfte Element neben Feuer, Wind, Erde und Wasser bildet im Kieler Kanon das Element der Transzendenz. Im achten und letzten philharmonischen Konzert wird Feltz dazu eine 40-stimmige Motette von Thomas Tallis aufrufen. Spem in allium bildet ein gigantisches Projekt, welches durch seine Doppelbesetzung 80 fähige Sänger*innen nun ein Jahr lang beschäftigt. Die zwölfminütige Polyphonie wird durch Bruckners 5. Symphonie ergänzt, die ein ähnliches Klangcluster erschaffen wird.
Noch mehr Experimente vertont das philharmonische Orchester auch dieses Jahr in den Con-Spirito-Konzerten. Hier steht ein Poetry Slam mit muskalischer Untermalung an, eine Begleitung des Stummfilms Faust von 1926 sowie ein Themenkonzert zu Videospielen.
Zeitlose Klassiker
Nicht nur mit der Sommeroper La Traviata verkörpert die Oper in der neuen Spielzeit einen Hang zu Operngott Verdi. Auch sein Werk Don Carlos findet mit einer bekannten Besetzung den Weg auf die Kieler Bühne. Das gesamte Team von Samson et Dalilah wird sich in die Produktion dieser Grand Opéra werfen. Strauss (Der Rosenkavalier) und Strauß (Die Fledermaus) sind ebenso mit von der Partie wie Händels Rodelinda, welches unter Leitung von Alessandro Quarta in erfahrene Barock-Hände fällt. Es wird viele freuen, dass das Ballett eine Wiederaufnahme von Schwanensee vorsieht. Neben Tschaikowskis Werk gesellt sich zudem Ein Sommernachtstraum, der mit Musik von Mendelssohn Bartholdy und Saint-Saens ertanzt wird.
Das Schauspielhaus deckt von Drama über Tragi-Komödie bis Komödie in dieser Spielzeit alles ab. So wird Tschechows irrer Dorfschullehrer Platonow sich mit dem Kieler Publikum vertraut machen. Die alte Dame von Dürrenmatt wird den Norden besuchen und die Schwestern Abby und Martha ein gehöriges Leichenchaos samt schwarzem Humor schaffen (Arsen und Spitzenhäubchen). Dazu kommen zeitgenössische Studio-Produktionen: eine dystopische Gen-Gesellschaft, ein Anti-Road-Movie und eine autobiografische Erzählung über eine stumme Krankheit bilden einen Gegenpol zum kanonischen Geschehen auf der Hauptbühne.
Selbst notorische Weihnachts-Gänger wird das diesjährige Märchen wohl wieder abholen. Es sei denn man will in Scrooge-Manier Charles Dickens Weihnachtsgeschichte verschmähen. Dann ist euch wirklich nicht zu helfen.
Lena studiert Medienwissenschaft und Anglistik und leitet seit Januar 2024 das Kultur-Ressort. Seit November 2020 ist sie Teil der Albrecht-Redaktion, wo sie über Theater, Kino, Oper, Literatur schreibt. Selten verirrt sie sich auch in Themen der Hochschule und Gesellschaft.