NATO-Ziel sieht Verdoppelung des deutschen Rüstungsetats vor
Der deutsche Rüstungsetat betrug letztes Jahr 35,1 Milliarden Euro. Er war der zweitgrößte Posten des gesamten Bundeshaushaltes. Dieses Jahr wurden die Rüstungsausgaben auf 37 Milliarden Euro gesteigert. Im internationalen Vergleich liegt Deutschland damit auf Rang neun der Länder mit den höchsten Ausgaben für Militär und Rüstung. Unangefochten an der Spitze liegen die USA (mit Rüstungsausgaben von 611 Milliarden US-Dollar – umgerechnet rund 518 Milliarden Euro), danach folgen China, Russland, Saudi-Arabien, Indien, Frankreich, Großbritannien und Japan.
Führenden Kreisen des Militärbündnisses NATO und vor allem der militärischen Führungsmacht USA gehen diese Erhöhungen der Rüstungsausgaben aber nicht weit genug. Schon 2014 wurde auf dem NATO-Gipfeltreffen in Wales beschlossen, dass die Mitgliedsstaaten ihren Rüstungsetat am Bruttoinlandsprodukt (BIP) ausrichten sollen. Als Minimalwert gelten zwei Prozent des BIP. Die Frist für die Umsetzung wurde auf das Jahr 2024 festgesetzt. Bislang erfüllen lediglich fünf Mitgliedsstaaten das Zwei-Prozent-Ziel: Die USA selbst mit 3,61 Prozent des BIP, Griechenland (2,36%), Estland (2,18%), Großbritannien (2,17%) und Polen (2,01%).
Der deutsche Rüstungsetat liegt aktuell bei etwa 1,2 Prozent des BIP. Durch eine Erhöhung auf das Level von zwei Prozent (Stand 2017) würden die Rüstungsausgaben auf circa 62,5 Milliarden Euro anwachsen – eine Steigerung von etwa 25 Milliarden Euro. Bei einer stabilen Wirtschaftsentwicklung läge ein Rüstungsetat, der sich an zwei Prozent des BIP orientiert, im Jahr 2024 bei 70 Milliarden Euro. Damit hätte sich der Rüstungsetat innerhalb weniger Jahre verdoppelt.
Besonders die USA, die bislang den größten Anteil der NATO-Finanzierung stemmen, drängen darauf, diese gleichmäßiger auf die einzelnen Mitgliedsstaaten zu verteilen. US-Präsident Donald Trump verlieh dieser Forderung besonderen Nachdruck. Er bezeichnete die bisherige Finanzierungspraxis als „unfair“ und forderte die Mitgliedsstaaten auf, ihren Verpflichtungen nachzukommen. Speziell auf Deutschland zielte seine Kritik. Auf Twitter schrieb Trump: „They pay FAR LESS than they should on NATO & military. Very bad for U.S. This will change.”
Die Tatsachen widerlegen allerdings Trumps Kritik: 2017 betrug das NATO-Budget insgesamt etwa 2,18 Milliarden Euro – aufgeteilt auf die Bereiche Militärbudget (1,29 Milliarden Euro), Zivilbudget (234,4 Millionen Euro) und NATO Security Investment Program (655 Millionen Euro). Bei der Finanzierung dieses Budgets gibt es einen festen Verteilungsschlüssel. Demzufolge deckten die USA 22,1 Prozent und Deutschland 14,6 Prozent des NATO-Budgets. Hierbei gibt es keinerlei Defizit in den Zahlungen des deutschen Staates. Gemessen am BIP zahlt Deutschland sogar einen proportional höheren Beitrag zur direkten NATO-Finanzierung als die USA. Das Zwei-Prozent-Ziel der NATO betrifft den individuellen Rüstungsetat der einzelnen Mitgliedsstaaten und ist somit Teil der indirekten NATO-Finanzierung.
Zu Beginn des Jahres signalisierte Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass sie beabsichtige, den Forderungen Trumps nachzukommen. Und auch eine „Jamaika-Koalition“ aus CDU/CSU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen hätte höchst wahrscheinlich an dem Zwei-Prozent-Ziel der NATO festgehalten. In ihrem Wahlprogramm gab die CDU ein klares Bekenntnis dazu ab. Die FDP forderte sogar eine Erhöhung der Rüstungsausgaben auf drei Prozent des BIP. Die Grünen sprachen sich zwar gegen eine Steigerung des Rüstungsetats auf zwei Prozent des BIP aus, ein Grund für das Scheitern der Koalitionsverhandlungen war dieser Punkt aber nicht.
Von den im Bundestag vertretenen Parteien sprach sich abgesehen von den Grünen nur die Partei Die Linke gegen das Zwei-Prozent-Ziel der NATO aus. Der stellvertretende Vorsitzende Tobias Pflüger formulierte prägnant, dass sich seine Partei der „Aufrüstungspolitik klar entgegen“ stelle und machte deutlich: „Statt zwei Prozent mehr für Militär und Rüstung auszugeben, wäre es sinnvoll, mehr für soziale Sicherheit zu tun.“
Auch außerhalb des Bundestages gibt es Bewegungen, die gegen weitere Erhöhungen des Rüstungsetats protestieren. Allen voran steht die Friedensbewegung mit ihren Organen wie dem Netzwerk Friedenskooperative, dem Bundesweiten Friedensratschlag und dem Kasseler Friedensforum, auf dem im März diesen Jahres erklärt wurde, dass das Vorhaben, „die Ausgaben für Rüstung, Militär und Krieg“ auf zwei Prozent des BIP zu steigern, „ein grundfalscher Weg“ sei. Es gehe vielmehr um eine vollständige Umkehr: „Abrüsten ist das zentrale Ziel.“
Eine neue Initiative gegen das Zwei-Prozent-Ziel der NATO formierte sich im Vorfeld der Bundestagswahlen. Sie wurde von den Gewerkschaften in Köln – schwerpunktmäßig vom DGB Köln-Bonn – ins Leben gerufen und trägt den Namen #NO2PERCENT – Frieden geht anders. Im Vordergrund der Kampagne, die unter anderem eine Online-Petition umfasst, stehen die sozialen Auswirkungen einer Erhöhung des Rüstungsetats. Der Vorsitzende des DGB Köln, Witich Roßmann, erklärte, dass eine derartige Steigerung der Rüstungsausgaben „drastische Haushaltskürzungen bei dringenden sozialen, ökologischen, infrastrukturellen und bildungspolitischen Projekten“ zur Folge haben würde.
Die Argumentation ist folgende: Schon jetzt liegen die Rüstungsausgaben bei 37 Milliarden Euro. Für Bildung und Forschung hingegen wurden dieses Jahr circa 17,6 Milliarden Euro veranschlagt, für Gesundheit etwa 15,2 Milliarden Euro, für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung etwa 8,5 Milliarden Euro. Es lässt sich eine deutliche Hervorhebung des Rüstungsetats über andere Bereiche erkennen. Dessen Verdoppelung würde diese Öffnung der Schere vergrößern. Darüber hinaus würde eine Erhöhung der Rüstungsausgaben ohne eine entsprechende Erhöhung des Bundeshaushaltes bedeuten, dass Geld von anderen Bereichen, etwa den Sozialausgaben oder dem Bereich Bildung und Forschung, abgezogen werden müsste.
Aber auch der Inhalt einer Erhöhung des Rüstungsetats wird von der Kampagne #NO2PERCENT in Frage gestellt: „Das Zwei-Prozent-Ziel der NATO, das von der Trump-Regierung vehement eingefordert wird, sichert nicht den Frieden, sondern führt zu einer neuen Rüstungsspirale“. Mit der Erhöhung der Rüstungsausgaben soll eine verstärkte Aufrüstung der Bundeswehr erfolgen. Konkret sollen in den nächsten Jahren ca. 270 neue Panzer und 100 Panzerhaubitzen neu gekauft werden; über 100 Leopard-2-Panzer sollen aufgerüstet und modernisiert werden; die Luftwaffe soll neue Kampfhubschrauber, die Marine fünf neue Korvetten bekommen – damit sind nur einige Beispiele benannt.
Mit dieser Aufrüstung steht Deutschland nicht allein. Weltweit wurden dem Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) zufolge im Jahr 2015 etwa 1676 Milliarden US-Dollar für Militärausgaben investiert. Europa nahm daran einen Anteil von 328 Milliarden US-Dollar. Zum Vergleich: Für die weltweite Entwicklungshilfe wurde laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) im Jahr 2015 lediglich 132 Milliarden US-Dollar ausgegeben. In der Kampagne #NO2PERCENT zieht der DGB Köln-Bonn daraus den Schluss: „Mit dem Geld, das für Rüstung ausgegeben wird, könnte der Hunger in der Welt beseitigt, eine medizinische Grundversorgung gesichert und mehr soziale Gerechtigkeit hergestellt werden.“
Titelbild: Aufreihung von Leopard-2-Panzern und anderem Kriegsgerät
Quelle: Hornet Driver – CC BY-SA 3.0
Mark studiert Prähistorische und Historische Archäologie sowie Soziologie an der CAU. Seit dem Sommersemester 2017 gehört er zur ALBRECHT-Redaktion.