In regelmäßigen Abständen veranschtaltet das Literaturhaus Schleswig-Holstein die Leselounge. Hier können junge, noch nicht etablierte Schriftstellerinnen und Schriftsteller ihre Werke präsentieren und das Publikum von sich überzeugen. Die Lesung am 3. Dezember 2014 stand unter dem Motto „Der Norden liest“ und bildet in fast jeder Hinsicht eine Ausnahme in der Reihe. In Kooperation mit dem NDR Kulturjournal präsentierte das Kulturhaus die Hamburger Autorinnen Lucy Fricke (41) und Karen Köhler (41). Beide sind kein unbeschriebenes Blatt, Fricke hat mit „Takeshis Haut“ bereits ihren dritten Roman veröffentlicht; Karen Köhler schrieb schon mehrere Theaterstücke bevor 2014 ihr Erzählband „Wir haben Raketen geangelt“ erschien.

Der Abend beginnt in angenehmer Atmosphäre und alle Sitzplätze sind belegt, einige Leute stehen sogar. Die Singer/Songwriterin Mara Simpson aus England bildet den Rahmen der Lesung und spielt ihre Stücke zu Beginn und während der Pause. Ihre weiche Stimme wird von ihrer Gitarre und dem Bassisten Alex Bayer begleitet; insgesamt unterstreicht sie die entspannte Stimmung. Moderiert wird der Abend normalerweise von Studenten der CAU, die im Rahmen der Leselounge erste Erfahrungen in der Literaturbranche sammeln können. Aufgrund der Kooperation mit dem NDR Kulturjournal wird diese Lesung jedoch hauptsächlich von der Fernsehmoderatorin Julia Westlake begleitet.

Katastrophe in allen Facetten: Tsunami, Super-GAU und Tod

Die eigentliche Lesung eröffnet Lucy Fricke mit einer Passage aus ihrem Roman „Takeshis Haut“. Die Protagonistin Frida verdient ihr Geld als Geräuschemacherin und fliegt nach Japan, um die verlorene Tonspur eines Films zu rekonstruieren. Besondere Bedeutung bekommt der Roman, wenn man die Entstehungsgeschichte berücksichtigt. Im April 2011, einen Monat nach dem GAU in Fukushima, fliegt die Autorin als Stipendiatin des Goethe-Instituts nach Tokyo. Im Interview mit Julia Westlake erzählt sie, wie ihr Plan etwas „lustiges Kleines“ zu machen von den dortigen Ereignissen torpediert wird. Die Erzählweise und Handlung des vorgetragenen Kapitels erscheinen im ersten Moment sehr eigen und fragmentiert. Das Ende jedoch fügt alles zu einem Puzzle zusammen und bringt Struktur. Das Kapitel endet mit einer Straßenszene und Lautsprechern die verkünden:“This is a major Tsunami warning“. Erst in diesem Moment versteht der Leser welches Thema die Autorin für ihr Projekt gewählt hat und wie sie die realen Geschehnisse in Japan verarbeitet hat. Lucy Frickes Art zu lesen, sehr ruhig und fast monoton, bringt eine willkommene Kontinuität in die Geschichte.

Nach einer kurzen Pause und ein wenig Musik stellt Karen Köhler ihr Werk vor. Nach eigener Aussage habe sie gar nicht die Ausdauer für einen Roman und so trifft es sich, dass „Wir haben Raketen geangelt“ ein Erzählband ist. Die verschiedenen Episoden sind in ihrer Handlung sehr unterschiedlich, aber alle verbunden durch den negativen Wendepunkt im Leben der Protagonisten. In der titelgebenden Passage verliert eine junge Frau ihren Freund und steht vor der Frage wie es nun weitergehen soll. In einer zweiten Episode kümmert sich eine erwachsene Tochter um ihren alkoholkranken Vater und denkt über ihre Reaktion auf seinen möglichen Tod nach. Neben den Geschichten an sich unterscheidet auch die Erzählweise die einzelnen Passagen, so dass der Leser sich nicht nur handlungstechnisch jedes Mal wieder auf etwas Neues einlassen muss. Karen Köhler liest sehr lebendig und schafft es als gelernte Schauspielerin, die Figuren und ihr Universum für das Publikum greifbar zu machen. Nach Ende der Lesung schließt der offizielle Teil des Abends mit einem Interview, in dem die beiden Autorinnen Hintergründe und Motivation für ihre Werke beleuchten. Ab 22 Uhr fängt sich die Gesellschaft langsam aufzulösen und es gibt die Möglichkeit ein signiertes Exemplar der beiden Bücher zu kaufen. Die angenehme Atmosphäre und die besondere Chance, die jeweiligen Autoren im kleinen Rahmen etwas kennenzulernen sollte man auch in Zukunft nutzen.

Rebecca war von 2014 bis 2019 teil der ALBRECHT-Redaktion. In der Zeit hat sie für ein Jahr das Lektorat geleitet und war ein weiteres Jahr die stellvertretende Chefredakteurin.

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