In einem Meer aus Farben liegen die fünf Schauspieler überströmt von Farbwellen auf dem Bühnenboden. Sie sind gesellschaftlich zerstört und liegen auch im übertragenen Sinn am Boden. Auf ein Happy End wartet man bei der modernen Inszenierung von „Gefährliche Liebschaften“ in einer Fassung von Dramaturgin Annika Hartmann und Regisseur Dariusch Yazdkhasti vergeblich. Noch bis Anfang Juli läuft das Stück nach Pierre Choderlos de Laclos´ Briefroman „Liaisons Dangereuses“ im Schauspielhaus.
Imanuel Humm und Claudia Friebel. foto: struck-fotoMit weißer Farbe malt die Marquise von Merteuil den Namen „Gercourt“ an die Wand der Kulisse, der fortan wie ein Geist über dem Ganzen schwebt. Er ist ungewollt Auslöser des Unglücks. Fünf Figuren verstricken sich in ein Chaos aus Affären und Untreue. Das perfide Spiel beginnt. Immer tiefer geraten die Figuren in die Gefühlskrise. „Nobody loves no-one“ singt der Chevalier de Danceny das Motto des Stücks.
Im Einklang mit der Farbe unterstreichen die Kostüme perfekt die Charaktere der Rollen, Verführer Vicomte de Valmont trägt eine hautenge Sporthose, die im Schritt ausgestopft ist. Auch sein weißes Shirt ist durch viele Farben getränkt und zerrissen, wie auch er zu Tode zerrissen wird.
Durch die sehr übertriebene, unnatürlich wirkende Inszenierung schafften es auch die Schauspieler oft nicht, ihr Lachen zu verbergen. Es war nie ganz klar war, ob das zum Stück gehört, oder ob sie es selbst komisch finden. In verstörenden Gruppen-Choreographien spielten sie Elemente des epischen Theaters in die Aufführung mit ein.
„Hoffentlich wird das kein Mitspieltheater“, ruft Valcomte mit einem ironischen Unterton aus, was viele im Publikum denken. Die Schauspieler agieren mit dem Publikum: In zart weißem Kleid, gehalten von zwei roten Luftballons, läuft Cécil durch die vierte Reihe im Publikum. Vor Platz 86 bleibt sie stehen, bittet den Mann sich zu erheben und freut sich wie ein kleines Kind, dort zu sitzen. Die Lacher aus dem Publikum waren ihr sicher. Der Ausspruch „Reihe 4, Platz 86“ zog sich als running Gag durch die Aufführung und sorgte neben anderen Spielereien und derben Sprüchen für Erheiterung. Immer wieder lockerten die Schauspieler das Stück durch gekonnt inszenierte Gesangs- und Tanzeinlagen auf.
Besonders stach Imanuel Humm in der Rolle des Vicomte de Valmont durch seine impulsive, sehr laute und intensive Art heraus. Der Hauch von Wahnsinn, der gegen Ende bei allen Figuren zu sehen war, fand in ihm seine Perfektion. Isabel Baumert als Présidente de Tourvel hob sich durch ihre Natürlichkeit, Claudia Friebel als Cécil Volanges durch ihre übertrieben naive Authentizität ab.
Viele Zuschauer stellten sich hinterher die Frage, ob nicht vielleicht weniger mehr gewesen wäre. Ein paar Eimer Farbe weniger und etwas weniger übertriebenes Spiel hätten vielleicht die wenigen Buh-Rufe am Ende verhindern können. Der Rest des Publikums zeigte sich allerdings durch lang anhaltendes Klatschen und Bravo-Rufe begeistert.
Am Ende bleibt nur die Frage offen, wer die ganze Farbe auf der Bühne wegwischt.
Anna Lisa ist seit dem Herbst 2010 als Redakteurin beim Albrecht tätig. Sie schreibt besonders gern Opernkritiken und Theaterrezensionen und leitete mehrere Jahre das Kulturressort. Der kulturelle Schwerpunkt begründet sich im Studium der Fächer Deutsch und Europäische Ethnologie/ Volkskunde.