Eigentlich ist klar, was am Ende passieren wird. Der Film Fruitvale Station beginnt mit den verwackelten Aufnahmen einer Handykamera, auf denen Menschen zu sehen sind, die auf dem Boden sitzen, sowie Polizisten, die sie dort festhalten. Es gibt Geschrei, es fallen Schüsse.

Rückblende. Die Zuschauer lernen Oscar Grant kennen, gespielt von Michael B. Jordan. Obwohl er bereits wegen eines Drogenvergehens im Gefängnis saß, möchte er sein Leben wieder in den Griff bekommen, vor allem seiner Familie zuliebe. Um für seine Freundin (Melonie Diaz) und seine kleine Tochter sorgen zu können, braucht er einen Job – das gestaltet sich jedoch schwierig und fast scheint es, als würde Oscar wieder abrutschen. Doch genau dieser Moment, als er die Drogen, die er eigentlich verkaufen wollte, ins Meer wirft, bedeutet dem Zuschauer, dass er es wirklich ernst meint mit seinem Lebenswechsel.

Der Film spielt sich größtenteils an Silvester des Jahres 2008 ab. Die Begegnungen, die Oscar auf seiner Fahrt durch die Francisco Bay Area hat, scheinen nur auf den ersten Blick eher unwichtig für den Fortgang der Handlung zu sein. Doch genau diese zeichnen Stück für Stück ein Bild von Oscars Charakter. Beispielsweise die Unterhaltung mit der Kundin im Supermarkt, in dem er vormals angestellt war, und seine Sorge um einen angefahrenen Hund, den er auf der Straße findet. Regisseur Ryan Coogler schafft es so, aus Oscar eine äußerst sympathische Figur zu machen.

Umso mehr wünscht sich der Zuschauer, dass das Ganze doch anders ausgeht, als die Vorausschau am Anfang suggeriert. Doch unaufhaltsam schreitet die Zeit voran, schon ist es Abend und Oscars Familie trifft sich zum gemeinsamen Essen bei seiner Mutter. Auch hier herrscht Harmonie. Wanda (Octavia Spencer) ist froh, dass die Zeiten, in denen sie ihren Sohn im Gefängnis besuchen musste, endgültig vorbei sind und rät ihm, mit dem Zug anstatt mit dem Auto in die Stadt zu fahren, wo er und seine Freundin ins neue Jahr feiern wollen.

Doch genau dort kommt es zum Eklat: Oscar trifft in der Bahn einen ehemaligen Mithäftling wieder, der auf Streit aus ist. Alles, was die in der Fruitvale Station eintreffenden Polizisten sehen, ist eine Gruppe junger Schwarzer, Oscar und seine Freunde, die sie sofort als Urheber der Unruhe einstufen. Was dann passiert, ist ein Fingerzeig auf einen großen Missstand der amerikanischen Gesellschaft. Fälle wie der Trayvon Martins, des unbewaffneten 17-Jährigen, der erschossen wurde, und Oscar Grants, der als Vorlage für Fruitvale Station diente, zeigen, dass selbst in einem Land mit einem Präsidenten mit dunkler Hautfarbe längst nicht alle Vorurteile überwunden sind.

Die Andeutungen, die den Film über fallen und auf das unausweichliche Ende hinweisen, sind subtil, anders als im wirklich schrecklichen Trailer zu Fruitvale Station, der mit dramatischer Musik und ruckartigen Schnitten die Szene am Bahnhof in den Mittelpunkt des Geschehens rückt. Dieses Sensations-Geheische hat der Film nicht nötig – die Sympathie, die den Zuschauer mit Oscar verbindet, macht die Geschehnisse am Bahnhof bereits schlimm genug. Dies ist kein Action-Film und deshalb irritiert es, dass der Verleih ihn im Trailer als einen verkaufen will. Es ist empfehlenswert, den Streifen im englischen Original zu sehen – der amerikanische Slang der Protagonisten trägt stark zur Authentizität bei, etwas, das die geschliffene deutsche Synchronisation nicht leisten kann.

Fruitvale Station ist kein Film, um ihn sich noch ein zweites Mal anzusehen. Nicht, weil er schlecht wäre – ganz im Gegenteil – sondern weil er mit wenigen Mitteln starke Emotionen im Zuschauer hervorruft. Dies liegt auch an Michael B. Jordan, der zuvor vor allem kleinere Rollen in Fernsehserien bekleidet hatte, und dem zu wünschen ist, dass dieser Film der Beginn einer großen Karriere ist.

Fotoquelle: The Weinstein Company

Autor*in

Linda studiert seit dem Wintersemester 12/13 Anglistik und Germanistik. Sie ist 21 Jahre alt, begann im Dezember 2012 für den Albrecht zu schreiben.

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