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Steht man in diesem Raum, ist man umzingelt von unzähligen Schattenwesen, die in dunklen Acrylfarben von Wänden und Decke heulen. Vor einem allumfassenden Horizont heben sich wechselstimmige Szenen ab, eingenommen von den konturlosen Gestalten. Durch ihre Konzentration könnte es hier fast belebt wirken, wäre da nicht dieses unsituierte Schwebegefühl, unterstützt durch die bloß schemenhaften Grenzen der Balkons und Säulen. Es ist irrelevant, wo man beginnt sich zu vertiefen. Man entdeckt dann in der Masse mal einen Cafétisch oder Flötenspieler. An einer farbig leicht zerlaufenen Stelle liegt ein sich auflösender Körper, nicht weit davon sogar individuelle Köpfe, allerdings in Serie. Besonders ausdrucksstark fällt ein Pferd auf, das ins Orange galoppiert und unter dem man einen grünen Handabdruck findet – zu klein, um von Künstler stammen zu können.

Bei diesem handelt es sich um Khaled al Khani (37). Er hat in der Kunsthalle für eine Ausstellungsreihe des Schleswig-Holsteinischen Kunstvereins diese Rauminstallation mit dem Titel „The Beginning“ angefertigt. Sie wird bis zum 08. September zu bewundern sein und dann wieder (das macht die Einzigartigkeit der Reihe aus) vollständig entfernt.

Foto: pj
Foto: pj

In der Kunst des gebürtigen Syrers kommt vor allem seine persönliche Erfahrung zum tragen. 1982 musste er das Massaker von Hama, seiner Heimatstadt, miterleben. Damals hatte Machthaber Hafiz al-Assad auf fundamentalistische Anschläge mit der Tötung zehntausender Muslimbrüder und Zivilisten durch seine Truppen reagiert. „Sie ermordeten auch meinen Vater, nachdem sie ihm die Augen ausgestochen hatten.“ Nach diesem Geschehen habe er, wie seine Mutter, mit der Malerei angefangen, studierte diese dann später in Damaskus. Wie die mit der Vorbereitung befasst gewesene Dr. Maren Welsch ausführt, ist sie ihm „zu einer Sprache geworden, die das Trauma, das Unsagbare und Verborgene zum Ausdruck bringt“.

Seine Gemälde lädt Khani mit emotionaler Bedeutung auf, indem er beispielsweise auf schwarz-grauen Hintergründen mit breit einfallenden Primärfarben strahlende Akzentuierungen setzt. So sind manche von den dunklen Seelengewändern von einem weißen Nebel umzogen und gleich daneben sticht eine kleine Gruppe in erlösendem Blau hervor. Die Menschen sind auch nicht alle auf einer Ebene, sondern in mehreren Schichten hintereinander gestuft, verblassen nach oben hin zu schwachen Silhouetten. In einem Ruf nach Betroffenheit verflüchtigen sie sich. Überhaupt bleiben die Szenen geradezu unfertig figurativ. Als vorformierende Andeutungen fordern sie dazu auf, ihnen nachzugehen. So bleibt es der Deutung überlassen, ob man hier einen Kronleuchter, arabische Schriftzeichen oder einen Balkonansatz vor sich hat. Khani vollzieht Welsch zufolge eine „Gratwanderung zwischen Figuration und Abstraktion“.

Die fehlende Artikulation von Individualität ist aber nicht nur regimekritisch gemeint, das heißt gerichtet gegen die Behandlung eines Syrers als einer identitätslosen „Nummer“ des Staatsvolkes, sondern gründet auch in einer islamischen Kultur des Bilderverbots. Die syrische Malerei, von der Khani geprägt ist, fällt darum eher abstrakt aus, ist aber nicht weniger als im Okzident von zeitlosen Themen wie Leid und Hoffnung bewegt. Darüberhinaus importiert der Künstler über die Inhalte seines Gemäldes die Kultur seiner Heimat. „The Beginning“ spielt sich offenbar in einer syrischen Stadt ab, wobei das Leben wie üblich  in den Innenhöfen pulsiert. Die höher gelegenen Balkone verweisen auf religiöse Obrigkeiten. Zugleich findet sich private Alltäglichkeit wieder, ebenso wie nicht ganz vordergründig platziert eine Art bedrohlicher Aufmarsch drastischen Rots.

Hierin drückt sich die Involvierung der aktuellsten Geschichte Syriens aus. Der derzeitige Bürgerkrieg hat Khani 2011 zur Flucht ins Pariser Exil gezwungen. Er persönlich ist sich sicher, dass ein Eingreifen der Vereinten Nationen den Konflikt schnell beenden und den Aufbau einer Demokratie ermöglichen würde. So ist auch letztlich das zentrale Thema seines gesamten Werks die Freiheit. Sie steckt in der Philosophie seiner Malerei. Hinter jenen schwarzen Gewändern soll das Licht der Hoffnung durchscheinen, das auf seinen Durchbruch wartet. Es deutet sich bereits in dem hellen Entweichen seiner Farben zur Decke hin an. Dort ist ein großer weißer Kreis vollständig frei gelassen. Es ist ein Verweis auf die alten syrischen Gebäude, bei denen an solcher Stelle tatsächlich ein Loch war, zur Durchlässigkeit des Lichts. Das ist aber nicht einmal das letzte Geheimnis dieser Wände. Denn was hat es nun mit dem grünen Handabdruck auf sich? Khani hat inmitten der Arbeit eine Schulklasse überall solche Handabdrücke und auch Namen auftragen lassen. Das meiste wurde von ihm in weiteren Schichten übermalt. Unter der massigen Oberfläche aber, und das lässt dieser verlorene Fingerabdruck stechend grün vermerken, liegen die Individuen verborgen. Sie kommen erst wieder zur Erscheinung, wenn „The Beginning“ zu seinem Ende findet und abgetragen wird.

Patrick ist 21 Jahre alt und studiert Philosophie und Geschichte an der Uni Kiel. Seit dem Wintersemester 2012/13 ist er Teil der Redaktion, seit dem Sommersemester 2013 Ressorleiter für gesellschaftliche Themen. In seinen Artikeln befasst er sich vor allem mit Sozialkultur und Politik.

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