Goethes Klassiker neu entdeckt

Die Umsetzung von Lyrik in ein tänzerisches Werk ist nicht einfach und resultiert oft in abstrakten Inszenierungen. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Gretchen (Anna Romanova) im Kampf der Emotionen: Soll sie ihr Neugeborenes töten? Foto: Olaf Struck
Gretchen (Anna Romanova) im Kampf der Emotionen: Soll sie ihr Neugeborenes töten?

Die Zusammenkunft von lyrischer und tänzerischer Kunst ist für viele Choreografen eine Herausforderung. Die Umsetzungen sind oft abstrakt und für Laien des einen oder anderen Fachs unverständlich. Yaroslav Ivanenko hat Goethes Tragödie Faust für das Kieler Opernhaus inszeniert. Faust, ein Mann der sein gesamtes Leben den Wissenschaften verschrieben hat, ist am Ende seiner Tage unglücklich mit dem eigenen Lebenswerk und will sich in den Selbstmord stürzen, als ihm just in diesem Moment der Teufel Mephisto (Edward James Gottschall), zunächst in Gestalt eines Pudels, erscheint. Er bietet dem verzweifelten Wissenschaftler an, ihm all seine Wünsche zu erfüllen, nur seine Seele müsse er dem Teufel dafür verschreiben. Faust lässt sich nach anfänglichem Zögern auf den Tausch ein und wird verjüngt. Bald allerdings muss er die schmerzlichen Folgen dieses Geschäfts erfahren.

Faust hat seine Seele verkauft und sein Wille befindet sich in den Händen des Mephisto. Foto: Olaf Struck
Faust hat seine Seele verkauft und sein Wille befindet sich in den Händen des Mephisto.

Wenn die vertraute Anfangsszene des alten Fausts (Llewelyn Malan), der beginnt, in seinem Büro zu klagen und zu philosophieren, plötzlich auf Afrikaans mit Untertiteln gesprochen wird, wirkt das zunächst irritierend und trifft sicher nicht jedermanns Geschmack. Der polarisierende Auftakt ist der Verständlichkeit der Handlung jedoch wenig abträglich und wendet sich schnell in eine spannende Komposition aus ästhetischem Tanz und Schauspiel. Durch eine Mischung aus Theater und Ballett, die von abwechslungsreichen Orchesterstücken begleitet wird, schafft Ivanenko es, die Geschichte ebenso facettenreich wie sie im Buch zu lesen ist, darzustellen. Der neoklassische und zeitgenössische Tanz wirkt, von ausgefallenen stilistischen Methoden gespickt, unglaublich ausdrucksstark. Besonders die Hauptdarsteller überzeugen mit ihrer eindrucksvollen Präzision im Tanz. Alexej Irmatov sticht als junger Faust durch kraftvolle Sprünge und freche Mimik hervor. Anna Romanova ergänzt diesen als Gretchen und strahlt durch ihre natürliche Schönheit, die durch ihren so leicht aussehenden Tanz noch untermalt wird.

Faust (Alexej Irmatov) bekommt die dunkle Macht des Mephisto zu spüren. Foto: Olaf Struck
Faust (Alexej Irmatov) bekommt die dunkle Macht des Mephisto zu spüren.

Elegant und einfallsreich werden die Spannungsmomente und Wendepunkte der Geschichte Fausts hervorgehoben; Details wie glucksende Tänzer, die ausdrucksstarke Mimik der Darsteller oder die gezielte Wiederholung choreographischer Elemente schaffen tiefe Atmosphären, in denen das Publikum sich verlieren darf. Die Schauspielkünste, die deutliche Spannung und der Witz, der sich neben der dramatischen Handlung der Geschichte hervortut, unterscheiden diese Aufführung von vielen anderen Ballettinszenierungen. Die inhaltlichen Fragen Goethes Tragödie nach wahren Werten und einer ausfüllenden und moralischen Lebensführung paaren sich zwei Stunden lang ausgewogen mit der Kunst von Tanz und Unterhaltung. Der Choreograf entlässt den Zuschauer mit einer gelungenen Pointe. Dieses Stück ist eine Freude und nur zu empfehlen.

Fotos: Olaf Struck

Autor*in

Anika ist seit dem Sommersemester 2013 Teil der Redaktion. Sie studiert Politikwissenschaften und Soziologie.

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