Gibt man Jeff Buckley bei Wikipedia ein, lautet das erste Kapitel „Leben und Tod“. Bei Bowie und 2Pac heißt es „Biografie“, bei Lennon und Mercury „Leben“ – bei Buckley aber eben „Leben und Tod“. Ob Wikipedia-Kapitel-Benennungen tatsächlich bedeutungstragende Aussagekraft haben, sei einmal dahingestellt, jedoch scheint der Tod in Buckleys Leben eine tragendere Rolle zu spielen, als die allseits bekannte lebensbeendende.
Jeffrey Scott Buckley wird am 17. November 1966 in Anaheim, Kalifornien einer Pianistin und einem Folksänger geboren. Seinen relativ bekannten Vater, Tim Buckley, bekommt Jeff nur einmal als achtjähriger Junge zu Gesicht, kurz darauf stirbt der flüchtige Papa an einer Überdosis Heroin und verfehlt den 27 Club somit nur um ein Jahr. Sein Sohn wächst also bei der Mutter Mary Guibert und Vaterersatz Ron Moorehead auf.
Auf seinen ersten Auftritten, nennt sich Jeff selbst genauso: Moorehead. Was ihn dazu bewegt, irgendwann dann doch den Namen seines berühmten Vaters zu übernehmen, ist unklar. Vielleicht Vitamin B. Vielleicht Wahrheitsanspruch. Er geht zum Musicians Institute in Hollywood, absolviert dort einen einjährigen Kurs und erzählt dem Rolling Stone später, dass das die größte Zeitverschwendung gewesen sei. Sechs Jahre folgen, in denen Buckley jobbt, Konzerte spielt, sich in verschiedenen Bands ausprobiert. Dann ein Umzug nach New York, dann wieder Los Angeles, dann wieder New York. Dort spielt Jeff auf einem Memorial Concert für seinen verstorbenen Vater Tim Buckley und bekommt vorher nicht dagewesene Aufmerksamkeit. Im April 1992 spielt er das erste Mal im Sin-é, eine Café-Bar im East Village. Er covert viel im Singer-Songwriter-Stil, von Nina Simone über Bob Dylan bis hin zu The Smiths, und findet auch endlich Gehör für seine eigenen Songs. Viele Bewunderer sowie Columbia Records werden auf ihn aufmerksam. So veröffentlicht Jeff im November 1993 seine erste EP Live at Sin-E mit den Originalen Mojo Pin und Eternal Life sowie Covern von Je n’en connais pas la fin (Marguerite Monnot) und The Way Young Lovers Do (Van Morrison).
Während er sich auf Promotour für Live at Sin-E befindet, beendet er seine Arbeit an seinem ersten – und einzigen – Studioalbum Grace, das am 23. August 1994 das Licht der Musikwelt entdeckt. Sieben originale Songs und drei Cover befinden sich auf dem Album, aber es ist Jeffs Version des Leonard Cohen Songs Hallelujah, die durch die Decke geht und ihn für immer berühmt machen soll. Cohen selbst, der mit seiner tiefen Stimme Hallelujah auf andächtige Weise performt und dem wir dieses Kunstwerk der Musik erst zu verdanken haben, kommt nicht an Buckleys Version heran. Jeff lässt die Orgel weg, die Background-Sängerinnen, den Firlefanz. Er beginnt mit einem schweren Ausatmen, das die herzensleidige Stimmung besser nicht einfangen könnte. Er lässt sich von der ebenso minimalisierten Version John Cales inspirieren, doch ersetzt das Piano durch seine E-Gitarre und spielt damit ein Intro, das um die Welt geht. Mit sensibler Hingabe, beeindruckender Range und herzzerreißendem Bewusstsein für Text und Melodie kreiert Jeff Buckley die vielleicht bekannteste und geliebteste Version des Klassikers. Das britische Musikmagazin Q bezeichnet seine Version 2007 als das beste Lied aller Zeiten.
Buckley und seine Band touren um die Welt, spielen jahrelang live, legen Pausen ein und machen wieder weiter. Zwar erhält Grace nicht überall volle Aufmerksamkeit, erreicht aber nach und nach in mehreren Ländern Goldstatus. Das Rolling Stone Magazin setzt das Album auf Platz 22 der 100 Best Albums of the Nineties. 1996 kommen die Musiker zurück und Buckley zieht nach Memphis, die Geburtsstadt des Blues und heißes Musikerpflaster. Hier soll endlich das zweite Studioalbum My Sweetheart the Drunk aufgenommen werden, die ersten Songs sind fertig, die große Karriere soll weiter in Schwung gebracht werden – doch wie das Leben so spielt, spielt es auch hier ein anderes Lied.
Es wird erzählt, dass das Led Zeppelin Album, das Jeff von seinem Stiefvater geschenkt bekam, ihn musikalisch unendlich prägte. Sei es erzwungene Romantik, oder tatsächlich Wahrheit, doch glaubt man Buckleys Freund, so war es auch Led Zeppelins Song Whole Lotta Love, der Buckley in den Tod begleitete. Am 29. Mai 1997, kurz bevor die Aufnahmen für das neue Album My Sweetheart the Drunk mit der gesamten Band beginnen sollen, machen Jeff und ein Freund einen nächtlichen Ausflug zum Wolf River. Das Radio spielt Led Zeppelin, Jeff mit den Elementen. Voll bekleidet geht er schwimmen, singt „You need coolin‘, baby, I’m not foolin'“. In der Mitte des Flusses packt ihn eine Bugwelle eines vorbeiziehenden Schiffes. Jeff Buckley ertrinkt. Der Freund will es nicht glauben. Niemand will es glauben. Es ist banal, so zu sterben, so nebensächlich und dabei so menschlich. Von Jeff wurde Größeres erwartet, ein geplantes Verschwinden vielleicht, ein „Hier bin ich wieder, bin nur kurz untergetaucht“. Das schlechte Wortspiel schließt sich an: Untergetaucht ist er tatsächlich – aufgetaucht erst fünf Tage später. Jede Hoffnung auf einen Coup, ein wahnwitziges Versteckspiel, eine dramatische Wendung war verloren. Eine Nacht, ein Fluss, zwei Freunde, der Tod. Jeff Buckley stirbt in Banalität und Tragik und – wie so oft – viel zu früh.
Große Künstler, Kollegen, Fans trauern, während Jeffs Worte aus Lover You Should’ve Come Over nachklingen: „Looking out the door I see the rain fall upon the funeral mourners / Parading in a wake of sad relations as their shoes fill up with water / And maybe I’m too young to keep good love from going wrong / But tonight you’re on my mind so you’ll never know.“
Jeff Buckley wurde groß gehandelt, groß wie Bruce Springsteen oder Bob Dylan – Columbia Records erwartete mit My Sweetheart the Drunk einen Meilenstein. Durch seinen frühen Tod bleibt uns der sensible Mann mit den schönen Haaren und der sanften Stimme jedoch allen ein Rätsel. Wäre er den Erwartungen gerecht geworden? Hätte er wie Mickey Rourke seine Karriere und sein Gesicht vielleicht durch Drogen (und Boxen) zerstört? Hätte er geheiratet, seinen Ruf mit Frauengeschichten gepusht, oder geschädigt? Swayze-like eine treue Ehe geführt und am Ruhm zerbrochen? Wäre er in der musikalischen Versenkung verschwunden oder wie Mercury bis ans bittere Ende gefeiert worden? Stünde er noch immer auf den Bühnen dieser Welt und würden wir seine vielleicht noch geschriebenen zehn Alben zu den Klassikern der Musikgeschichte zählen? Fragen, die das Mysterium Jeff Buckley nur noch komplexer machen, sodass er uns im Tod stets unentschlüsselt bleibt. Seiner posthumen Karriere tut das gut – elf Livealben, Special und Legacy Editions wurden nach seinem Tod veröffentlicht. „Legacy“ für einen Musiker, der nur ein richtiges Studio-Album herausgebracht hat. Das ist beachtlich und bezeichnend.
Viele Künstlerinnen und Künstler widmen ihm Songs, bekunden ihr Leid über seinen tragisch frühen Tod. The Indelicates sind es aber, die singen, worauf hier hingewiesen sein soll: „If Jeff Buckley had lived / And his voice still was heard / On the weak second album / And difficult third / Then the critics, who broke him / He couldn’t forgive / Would grow old and forget him / If Jeff Buckley had lived.“ Leben und Tod gehören bei Jeff Buckley unumstößlich zusammen. Vielleicht wäre er der glänzendste Stern am Musikhimmel geworden, vielleicht hätte das Business ihn dahingerafft. Sein Tod erlaubt uns, zu erträumen, wer er hätte sein können und erspart uns die Härte und Wahrheit mit der schon so viele einst hoch gehandelte Künstler am Musikgeschäft gescheitert sind. Der Konjunktiv um Buckley verleiht seiner Musik noch mehr Tragweite, zaubert Wehmut ins Hören. Jeff Buckley verbleibt mit einem „cold and broken Hallelujah“ – ob er will, oder nicht. 1995 spielte er live im Pariser L’Olympia. “Thank you for giving us so much”, hört man einen Fan auf der Liveaufnahme dem Musiker zurufen. “You’ve given me very much, too”, erwidert Buckley.
Leona ist seit Juni 2014 Teil der Redaktion und war von Dezember 2014 bis Februar 2017 Chefredakteurin der Print-Ausgabe des ALBRECHT. Anschließend leitete sie die Online-Redaktion bis Mitte 2018. Leona studiert Englisch und Französisch an der CAU, schreibt für verschiedene Ressorts der Zeitung und kritisiert Land, Leute, Uni und den Status Quo ebenso gerne wie Platten.