Mutter Courage am Kieler Schauspielhaus

Das Leid des Krieges ist dieser Tage wieder allgegenwärtig. Der anhaltende russische Angriffskrieg auf die Ukraine und der Terror, den die Hamas verbreitet, sind nur wenige Beispiele, denen die Deutschen vermeintlich am nächsten sind. Und wie hinlänglich bekannt ist, zieht die Menschheit immer wieder in den Krieg. So war es auch schon zwischen 1624 und 1636 im ‚Dreißigjährigen Krieg’, zu dessen Zeit Bertolt Brechts Werk spielt, welches er 1939 inmitten des Zweiten Weltkriegs fertigstellte. Mutter Courage, wie es nach der Hauptfigur oft nur verkürzt genannt wird, gilt als das Antikriegsstück und passt demnach – leider – perfekt in unsere heutige Zeit.  

Anna Fierling (Agnes Richter), von allen nur ‚Mutter Courage’ genannt, zieht als Verkäuferin gemeinsam mit ihren drei Kindern über die Märkte des Landes inmitten eines brodelnden Krieges. Auf ihren Reisen trifft die Familie immer wieder auf die unterschiedlichsten Gestalten, teilweise aus hohen militärischen Positionen. So versucht etwa gleich zu Beginn des Stückes der Feldhauptmann (Zacharias Preen) ihren ältesten Sohn Eilif (Mischa Warken) für den Kriegsdienst an der Waffe zu begeistern. Schließlich gelingt es, dem Jungen das Kriegsgeschehen schmackhaft zu machen und Eilif tritt dem Militär bei. Sehr zum Unbehagen seiner Mutter. Und so beginnt die Spirale des Krieges, ‚Mutter Courage’ nach und nach ihrer Kinder zu berauben. Auch der zweite Sohn (Tristan Taubert), nach seinem Schweizer Vater nur ‚Schweizerkas’ genannt, begibt sich in die Fänge des Militärs und wird bei der Kasse eingeteilt. Diese Entscheidung wird auch ihm zum Verhängnis werden. Nur die stumme Tochter Kattrin (Eva Kewer) bleibt noch lange an der Seite ihrer profitgierigen Mutter, die, wenn sie ehrlich zu sich selbst wäre, kein wirkliches Interesse am Kriegsende hat. Krieg bringt Profit. Nach einem kurzen Intermezzo mit einem Koch (Marko Gebbert), der dann jedoch vor dem Krieg zunächst zu fliehen versucht, trifft die Familie um ‚Mutter Courage’ auf einen Feldprediger (Christian Kämpfer). Der Glaubensmann schließt sich ihnen an und versucht so, seinen Beruf vor den religiösen Kriegstreibern versteckt zu halten. 

Detailreiches Schwarz 

v.l.n.r.: Zacharias Preen ( Soldat u.a.), Philipp von Schön-Angerer (Soldat u.a.), Agnes Richter (Mutter Courage) und Ksch. Almuth Schmidt (Bäuerin) | © Olaf Struck

Die Drehbühne des Schauspielhauses fungiert in dieser Produktion als Handelswagen der Mutter Courage. Dicke, schwere Taue sind an einer Seite der Bühne angebracht und eine volle Umdrehung der Bühne, gezogen von der Familie, bringt stehts eine neue Szene mit sich. Das Bühnenbild von Alejandro Andujar ist farblich schlicht und schwarz gehalten, bietet aber durch drehbare, würfelartige Bauteile, auf die sich mit Kreide schreiben lässt, jede Menge Gestaltungsspielraum. So wird auch durch Notizen unterschiedlicher Ensemblemitglieder auf den großen schwarzen Wänden stets vorweggenommen, welchen Wendepunkt das Publikum in der nächsten Szene zu erwarten hat. Der Kreidestaub, der durch das Zeichnen und Schreiben entsteht und sich allmählich wie ein Schleier über das Bühnenbild legt, verleiht diesem zusätzlich einen Eindruck von Tristheit und Zerstörung. 

Außerdem spielt ein schwarzer Flügel eine besondere Rolle: Paul Dessaus Musik um die ‚Mutter Courage’ verleiht dem Werk seinen charakteristischen Charme. Ein Skelett (Ninon Gloger), welches auf der Bühne umhergeistert, entlockt dem Flügel durch Dämpfer und Metalle ungewöhnliche Soundeffekte und Töne. Aber auch Dessaus Musiken erklingen auf dem Tasteninstrument. Mischa Warken und Marko Gebbert komplettieren an Marschtrommel und gedämpfter Trompete je nach Szene den Klang des Krieges. 

Bis ins Mark 

Agnes Richter verkörpert die ‚Mutter Courage’ mit solcher Inbrunst und Bestimmtheit, dass ihre Präsenz das Bühnengeschehen unabdingbar leitet. Sie umwirbt die Städter*innen mit ihrem Verkaufsgeschick und versucht gleichzeitig, ihre Familie zusammenzuhalten. Dies gelingt ihr, wie bereits angerissen, nur bedingt. Christian Kämpfer führt dem Publikum als Feldprediger immer wieder den Zwiespalt, den der Religionskrieg in der Bevölkerung hervorrief, vor Augen. Besondere Begeisterung erweckt Eva Kewer als stumme Kattrin. Das Mädchen durchschaut immer wieder die Machenschaften und Ereignisse, die in und um ihre Familie herum vor sich gehen und versucht ihre Mutter und ihre Brüder vor dem Schlimmsten zu bewahren, doch schafft sie es aufgrund ihrer Stummheit nicht. Auch drückt das Kriegsgeschehen mehr und mehr auf die junge Seele und Kattrin tut alles dafür, dass das Kriegstreiben ein Ende nimmt. Dabei geht sie bis zum Äußersten. Ein bewegendes Schicksal, welches Kewer mit so viel Hingabe verkörpert, dass es den Zusehenden kalt den Rücken herunterläuft. 

Nach drei aufwühlenden Stunden honorierte das Publikum die Darsteller*innen mit tosendem Applaus und ausgiebigen ‚Bravo’ für ihre gelungene Premiere am 06. Oktober.  


Weitere Vorstellungen finden jeweils um 20:00 Uhr am 25.11., 09.12., 29.12., 03.01., 05.01., 14.01. (16:00 Uhr) und 21.03. statt. 

Autor*in
Chefredakteur

Finn ist seit Februar 2024 Chefredakteur des ALBRECHTs. Zuvor hat er ein Jahr lang das Kulturressort geleitet. Er studiert seit dem Wintersemester 20/21 Englisch und Geographie auf Lehramt und ist seit dem WiSe 22/23 Teil der Redaktion.

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