Schach, das königliche Spiel. Viele verbinden damit lediglich das langweilige Hin- und Herschieben von Spielfiguren auf einem karierten Brett. Gerade als Außenstehender wirkt das nie enden wollende Überlegen der beiden Parteien vor dem nächsten Zug vielleicht schnell ermüdend. Es geht aber auch anders, wie uns die Schachnovelle eindrucksvoll beweist.  In der Erzählung Stefan Zweigs aus dem Jahre 1942 entwickelt sich die Partie zu einem spannenden Duell der beiden größten Schachgenies der Welt. Diese Geschichte wurde 70 Jahre später als Oper adaptiert und am 18. Mai schließlich im Opernhaus Kiel uraufgeführt.

Die zentrale Figur des Stücks ist Dr. Leo Berger (Jörg Sabrowski), der in Wien von den Nationalsozialisten wegen illegaler Geschäfte verhaftet wird. Da dieser im Verhör mit Gestapooffizier (Michael Hofmeister) keine Geständnisse geben möchte, wird er in ein leeres Hotelzimmer gesperrt. In der Haft soll Dr. Berger allmählich den Verstand verlieren und so zu einer Aussage gezwungen werden. Durch einen Zufall gelangt er jedoch an ein Buch, in dem die Finalpartien der bisherigen Schachweltmeisterschaften verzeichnet sind. So flüchtet Berger vor den Nazis in eine Gedankenwelt, in der er sämtliche Schachpartien rekonstruiert und sich so in seiner Gefangenschaft zu einem Schachgenie entwickelt, innerlich zerrissen durch die Rivalität von Schwarz und Weiß. Viele Jahre später wird Berger auf einer Kreuzfahrt Zeuge eines Spiels zwischen dem amtierenden Schachweltmeister und Wunderkind Mirko Czentovic (Tomohiro Takada) und einiger mutiger Herausforderer. Berger greift in die Partie ein, um die drohende Niederlage der chancenlosen Schiffsreisenden abzuwenden. Es kommt zu einem finalen Duell zwischen den beiden Schachgenies, welches Berger zwar eigentlich durch Schachmatt gewinnt, dabei jedoch das Zeitlimit überschreitet und somit disqualifiziert wird. Trotz der Niederlage schöpft Berger, durch dieses Spiel ermutigt, die Kraft mit seiner Vergangenheit in der Gefangenschaft der Nazis abzuschließen und positiv in die Zukunft zu blicken.

Dr. Berger in Gefangenschaft der Nazis. Foto: Olaf Struck
Dr. Berger in Gefangenschaft der Nazis. Foto: Olaf Struck

Die von Cristóbal Halffter komponierte Oper weiß vor allem durch stilvolles Kostüm und Bühnenbild sowie durch symbolhafte Musik zu überzeugen. So übermitteln beispielsweise, eingeleitet durch Glockenspiel,  Paukenschläge metaphorisch den Krieg und verschiebbare, transparente Wände etablieren mehrere Räume eines Hotels gleichzeitig auf der Bühne. Ein Höhepunkt stellt hier Bergers Gedankenreise gegen Ende des ersten Aktes dar; mithilfe von dreidimensional wirkenden Lichtprojektionen, unterstützt durch den sich stetig wiederholenden Chorgesang von schwarzen und weißen Schachfiguren, welche die Namen der Schachweltmeister rezitieren, werden die Aktivitäten im Kopf des Gefangenen und der allmählich nahende Wahnsinn visualisiert. Die Idee der Lichtspielereien wird auch im Intermezzo eindrucksvoll aufgegriffen.

Insgesamt hält sich Wolfgang Haendelers durchgehend deutschsprachiges Libretto nahe an der Buchvorlage. Vom Fehlen des Erzählers veranlasst, wird die Erzählstruktur der Novelle nachvollziehbar aufgebrochen, sodass als Einstieg die Rückblenden der Figuren Dr. Berger und Czentovic fungieren.

Jörg Sabrowskis Arien drücken die Verzweiflung in der mehrmonatigen Gefangenschaft aus, unterstrichen wird dies durch lange Pausen im Gesang und Stillstand auf der Bühne. Diese Momente werden durch das begleitende Orchester jedoch nie langweilig, da es die Gefühlsregungen Bergers glaubwürdig wiedergibt. Einen schrillen Kontrast bilden die Verhörszenen, in denen der tiefe Bass-Bariton Sabrowski gegen den hohen Countertenor Michael Hofmeister bestehen muss – die Sympathien mit den Charakteren sind dadurch schnell verteilt. Wirklich zur Geltung kommen außer Sabrowski und Hofmeister allerdings keine Gesänge. Die makellosen Darbietungen Tomohiro Takadas oder auch Heike Wittliebs als Bergers Krankenschwester sind eher knapp bemessen, da die Figur Dr. Berger eindeutig im Fokus steht. Abwechslung bietet im zweiten Akt das weibliche Ensemble bestehend aus Juliane Harberg, Anna Petrova und Susan Gouthro in der männerdominierten Oper. Ein Wiedersehen mit Hofmeisters Gestapooffizier erhält das Publikum im Finale; die bösen Erinnerungen Dr. Bergers treffen im Schachduell aufeinander, der Offizier klagt begleitet vom Chor der Schachfiguren und dessen bedrohliches Schachweltmeister-Mantra erneut an. Mit dem Schachmatt wird die innere Zerrissenheit Bergers endlich besiegt, die Bühne leert sich nach und nach und zurück bleibt Sabrowski, der im Epilog die ersten Sätze aus Stefan Zweigs Schachnovelle vorträgt und die Oper langsam ausklingen lässt.

Das finale Duell der beiden Schachgenies. Foto: Olaf Struck
Das finale Duell der beiden Schachgenies. Foto: Olaf Struck

Cristóbal Halffters Adaption der Schachnovelle transportiert erfolgreich die Spannung Erzählung Zweigs auf die Theaterbühne, obwohl der Stoff zunächst nicht sonderlich für die Oper tauglich erscheint. Nicht nur die im Verlauf des Stücks gespielten Schachpartien sind fesselnd, sondern auch die Gefangenschaft Dr. Bergers, deren narrativer Schwerpunkt in der Novelle eher von psychologischer Natur ist, gerät in der Oper zu einer packenden Sequenz. Ein Besuch der Schachnovelle ist somit sehr ans Herz gelegt, deren letzte Aufführung der Spielzeit 2013 leider bereits am 18. Juni über die Bühne geht.

Titelbild: Olaf Struck

Dennis studiert Deutsch, Englisch und Russisch an der Uni Kiel. Seit 2011 ist er Teil der Redaktion. Bis zum Wintersemester 2013/14 war er für das Layout der Print-Ausgabe verantwortlich. Von Anfang 2012 bis Mai 2015 war er Chefredakteur für den Online-Bereich.

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