Der nie endende Kampf der Indigenen

Es ist ein heißer Sommertag. Ich flüchte von Schatten zu Schatten, bis ich schon fast automatisch im nächstgelegenen Buchladen lande. Nachdem ich durch die Tür schlüpfe, eröffnet sich vor mir ein zweistöckiges Riesenmonstrum eines Buchladens. Meine Reise durch Amerikas Norden, Kanada, führte mich vergangenes Jahr an diesen Ort. Begeistert von den netten Menschen und der wundervollen Landschaft zog es mich von Stadt zu Stadt, bis ich realisierte, dass dieser Staat eine sehr viel blutigere Gegenwart hat, als zuerst angenommen.  

Mehr über Kanada lernen – über die Geschichte – war mein Ziel für diese Reise. Wie sollte das denn besser funktionieren als mit einem Buch über die allererste Kultur Kanadas. Die Indigenen. Nach kurzem Nachfragen brachte mich ein Verkäufer zu einem Regalfach, in dem ungefähr acht Bücher standen. Das seien alle Bücher von Indigenen, die sie haben. Ich schluckte. Im Vergleich zu so einem gigantischen Laden sah dieses Regalfach geradezu mickrig aus. 

Jede Seite schockiert 

Nach kurzem Stöbern fand ich, was ich suchte: Our Voice of Fire. A Memoir of a Warrior Rising von Brandi Morin. Ein Buch über die Probleme von Indigenen und deren Kämpfe in der heutigen Zeit versprach der Klappentext. Ein Buch, das mir zeigte: Der Kampf der Indigenen ist noch lange nicht zu Ende. 

Schon nach wenigen Seiten merkte ich: Das wird keine leichte Kost. Die Autorin und Journalistin Morin spricht in ihrem Werk ehrlich und direkt von dem Leiden und der Diskriminierung, die Indigene Tag für Tag erfahren. Sie erzählt von vererbten Traumata, Drogenkonsum und einem fehlerhaften System.  

Indigene Kinder kommen schneller in Erziehungsanstalten, werden dort weniger beachtet. Traumata der Familien werden nicht behandelt. Armut, Depression und Suizidalität prägen den Alltag vieler Indigenen. Morin selbst war Teil solcher Erfahrungen. Früh kam sie in einen Kinderhort, floh, wurde vergewaltigt, bedroht. Oft galt sie als das ‚indigene Mädchen’: weniger wert, überflüssig. 

Die Autorin spricht über ihr Werk.

Das Buch einer Kämpferin 

Morin setzt sich heute für die Rechte der Indigenen ein. Schreibt Artikel über sie, arbeitet Geschichten auf, berichtet über Morde. Eine Arbeit, der sie schon früher hätte nachgehen wollen, welche aber, wie sie schreibt, von ihren Arbeitgebenden oft nicht erwünscht war. 

Rote Kleider als Zeichen für das Gedenken an vergewaltigte, missbrauchte und ermordete indigene Frauen hängen im ganzen Land. Viele Mahnmale zum Erinnern an Taten, die keine Vergangenheit sind. Morin selbst schaute sich für ihre Arbeit solche Kleider an und musste beobachten, wie die Polizei versuchte, dagegen vorzugehen. Doch trotz solcher Rückschläge hört sie nicht auf und kämpft weiter für sich und alle anderen Indigenen. 

Nachdruck 

Entgeistert über die Geschichte las ich das Buch an einem Tag durch. Kanada war für mich ein Land, das modern und gerecht ist. Doch es hat seine Schatten und diese sind lang und blutrot. Menschen sterben, werden vergewaltigt. Doch öffentliche Aufarbeitung geschieht kaum. Our Voice of Fire. A Memoir of a Warrior Rising schaffte es nicht nur, mich an die Lebensgeschichte einer einzigen Frau zu fesseln, sondern es sorgte dafür, dass sich mein Blick auf ein ganzes Land veränderte. Auf eine Gesellschaft, die gespalten ist.  

Autor*in

Nele studiert seit Wintersemester 2019/20 Politikwissenschaften und Deutsch an der CAU. Im Mai 2020 hat sie als Redakteurin und im Lektorat-Team beim ALBRECHT angefangen. Sie war bis zum SoSe 23 zwei Jahre lang Gesellschaft-Ressort-Leitung.

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