Gewaltfreie Kommunikation und wie sie unser Zusammenleben verändern

Der Klassiker: Ein sich immer weiter aufschaukelndes Gespräch zwischen zwei Fremden in der Bahn, das sich durch die Dissonanzen ihrer Stimmmelodien stark von dem stummen Gemurmel der Hintergrundkonversationen abhebt. Die eine Partei, eigentlich sprechlagetechnisch eher im Bass zu verorten, begibt sich progredient – mit Fortschreiten des Wortgefechts – auf zwei Oktaven zu hoch intonierte Irrwege, während die andere Partei ihr Sprechtempo immer weiter beschleunigt, als sei das unausgesprochene Ziel, den ersten Platz bei einem Schnellsprechwettbewerb gewinnen zu wollen. Hinzu kommt die umherfliegende Spucke, die mit der Bewegung des Zuges durch die wechselhaft einfallenden Sonnenstrahlen sichtbar wird – ein Zeichen der feurigen Erregtheit und Empörung über das fulminante Falschliegen des Gegenübers. Die in der zwangsläufig aufgezwungenen Debatte gefangene Mithörer*innenschaft könnte meinen, die erhitzten Gemüter hätten sich insgesamt darauf verständigt, inmitten von Worten, Meinungen und Bewertungen den eigentlichen Kern ihrer Positionen in der Auseinandersetzung im repetitiven Kugelhagel der leeren Worthülsen aus den Augen zu verlieren.  

Den gewünschten Effekt – die Gegenseite bloßzustellen – wird heute keine*r erreichen. Schnellsprech-Spucki steigt an der nächsten Station aus. Damit ist das Ganze beendet. Könnte man meinen. Nur vielleicht mit dem Endergebnis, dass wirklich niemandem diese Konversation etwas gebracht haben kann. Zurück bleibt: ein Wagonabschnitt aufgewühlt überrumpelter Personen – zumindest diejenigen, die sich nicht hinter ihren Noise Cancelling Kopfhörern verstecken konnten; und eventuell zwei weitere nunmehr verfestigte Meinungen, die auch zukünftig anderen keinen Raum für Alternativpositionen einräumen werden. 

Ob bei Themen wie dem Krieg in Gaza, der Migrationspolitik, dem Klima oder dem Gendern: Es scheint oft vielmehr darum zu gehen, sich durch verbal abgefeuerte Splittergeschosse gegenseitig zerfetzen zu wollen und als ‚Gewinner*in’ vom Schlachtfeld abzuziehen, als  einander zuzuhören und etwas für sich mitzunehmen. Willkommen in der Polarisierung. 

Manchmal kann es aber auch einfach eine uns nahestehende Person sein, die wir nicht verstehen oder von der wir uns in unserem Standpunkt nicht gesehen fühlen. Wenn wir nicht mehr weiterwissen, greifen wir häufig zu verbalen Waffen, ohne es unbedingt bewusst zu wollen oder nehmen dann doch die Verletzung der anderen Person für ‚the greater good’ – nämlich die eigene, ‚richtige’ Meinung durchzusetzen, willentlich in Kauf.   

„Fair enough“ könnte man jetzt sagen und einen Punkt an dieser Stelle setzen. Es wurde schon viel über Kommunikation gesprochen, über Gesprochenes kommuniziert; Kommunikationsmodelle theorisiert, ebensolche Theorien modelliert. 

Aber vielleicht ist es auch genau an dieser Stelle, an diesem Punkt, an dem sich unsere gewaltig gewalttätige Gesellschaft gerade befindet, an der Zeit, nochmal eine dieser Theorien aus der Mottenkiste der Kommunikationsmodelle auszubuddeln.  

Das Konzept der Gewaltfreien Kommunikation (GFK) wurde zu Beginn der 1960er Jahre von Marshall B. Rosenberg entwickelt und seither in vielfältigen Bereichen angewandt. Seine einfache Verständlichkeit soll für alle sozialen Bereiche und Altersgruppen verständlich und umsetzbar sein. Beispielsweise gibt es Konzepte der GFK für Unternehmen oder Kindergärten und Grundschulen. Ziel dabei ist es, Kommunikation im Allgemeinen zu fördern und gerade Konfliktsituationen deeskalativ entgegenwirken zu können. Durch einfühlsames Zuhören soll eine empathisch zugewandte Grundhaltung eingenommen werden. Zudem basiert das GFK-Konzept auf Selbstempathie und einem achtsamen und authentisch-ehrlichen Selbstausdruck. Darauf aufbauend sollen die vier Schritte der GFK durchlaufen werden: Den Anfang stellt die Phase der Unterscheidung zwischen reiner Beobachtung und Bewertung des Gehörten dar. Anschließend sollen wahrgenommene Gefühle beschrieben werden. Dieses Beschreiben soll dazu führen, die eigenen Bedürfnisse zu erkennen und zu benennen, um schließlich auf Basis jener Bedürfnisse dem Gegenüber klare und erfüllbare Wünsche äußern zu können. 

In seinem mehrfach aufgelegten Buch zur GFK bietet Rosenberg immer wieder kleine Übungen an, um beispielsweise zwischen Beobachtung und Bewertungen differenzieren zu lernen. Außerdem thematisiert er, dass Schmerz die Empathiefähigkeit deutlich einschränken kann, und zeigt Alternativformulierungen auf, die allein durch ihre Wortwahl eine deeskalative Wirkung entfalten können. 

Auch, wenn es deutlich einfacher ist, Gewalt anzuwenden, als sich mit der eigenen Gewalttätigkeit auseinanderzusetzen, sollte es selbstverständlich sein, Verantwortung für die eigenen Emotionen und Bedürfnisse zu übernehmen und sie nicht verschlüsselt anderen an den Kopf zu knallen. Vielleicht kann das Konzept der Gewaltfreien Kommunikation dabei behilflich sein. Oder ein anderes. 

So oder so, wenn es mehr Kommunikationspazifist*innen gäbe, könnten diese einen weniger gewaltvollen Umgang im Miteinander ermöglichen und vielleicht damit einen Weg in eine weniger polarisierende, gewaltvolle Welt ebnen .  

Autor*in

Chiara studiert seit dem Wintersemester 23/24 Psychologie im Master. Seit dem Sommersemester 2024 ist sie Teil der Albrecht-Redaktion und des Social Media Teams.

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