Wer hat es nicht schon einmal als Opfer erlebt: Auf einer Datingplattform wird eine nette Bekanntschaft gemacht, es scheint gut zu laufen, viele Texte werden hin und her geschrieben. Doch plötzlich – Funkstille. Die eben noch so begehrte Person zieht sich zurück, antwortet auf keine der Nachrichten mehr, ist quasi ein Geist geworden. Ghosting nennt sich passenderweise diese Form des abrupten Abbrechens von Beziehungen.
Manch eine*r mag denken, wer jemand anderen ghostet, habe einen schwachen Charakter. Wer im Internet nach „ghosting“ sucht, findet Hinweise auf Charaktereigenschaften wie Narzissmus. Ebendieser verursacht oft ein Empathieunverständnis anderen Personen gegenüber. Es wird demnach als nicht weiter schlimm empfunden, jemand anderen von jetzt auf gleich zu ignorieren. Mir geht’s gut damit, dir dann sicher auch. Ebenso gehören pure Feigheit und Konfliktscheue aus einer unsicheren Persönlichkeit heraus entstehend, zu den Gründen, eine andere Person zu ghosten. Vergangene Studien haben gezeigt, dass Menschen, die sich in ihrer Beziehung unsicher fühlen, besonders konfliktscheu seien, da ein Streit oder eine Auseinandersetzung für sie mit Angst und Stress verbunden sei. Vielleicht fehlt den Menschen heutzutage auch einfach die Hemmschwelle, sich wie ein Idiot zu benehmen. Ist mir egal, wie du dich dabei fühlst. Hauptsache, ich komme aus der Sache raus, ohne mich weiter mit dir auseinandersetzen zu müssen.
Ghosting findet sich nicht nur in schnellen, kurzlebigen (Online-) Dates, sondern genauso in Langzeitbeziehungen und Freundschaften. In all diesen Personenkonstellationen gibt es die Möglichkeit, sich ohne jegliche Vorwarnung von jemandem zu trennen, indem der Kontakt ohne Weiteres abgebrochen wird. Laut der Ausarbeitung Ghosting and destiny: Implicit theories of relationships predict beliefs about ghosting von Gili Freedman aus dem Jahr 2018 gibt es Unterschiede zwischen „destiny beliefs“ und „growth beliefs“ hinsichtlich der Akzeptanz von ghosting. Um dies zu spezifizieren, wurden zwei Studien mit insgesamt 1301 Teilnehmer*innen durchgeführt. Menschen mit „destiny beliefs“ sehen ihr Leben vom Schicksal vorgegeben. Entweder, diese oder jene Person ist für einen vorgesehen, ist ein*e Seelenverwandte*r, oder eben nicht. Wer so denkt und empfindet, dem fällt es leichter, andere Menschen zu ghosten, beziehungsweise würde es eher akzeptieren, selbst geghosted zu werden. Wenn ein anderer Mensch nicht vom Schicksal vorgesehen ist, muss sich auch nicht weiter mit dem- oder derjenigen befasst werden. Bei Personen mit „growth beliefs“ hingegen ist der Gedanke verankert, dass Beziehungen sich im Laufe der Zeit entwickeln. Hier ist das ghosting eher verpönt.
Beide Studien, die von Freedman durchgeführt wurden, zeigen, dass etwa 25% der Teilnehmer*innen bereits geghostet wurden, etwa 20% haben in ihrer Vergangenheit eine*n Partner*in geghostet. Es wurden verschiedene Thesen aufgestellt, zum Beispiel „Ghosting ist akzeptabel, um eine Kurzzeitbeziehung zu beenden“ oder „Ghosting ist akzeptabel, bevor es zu Intimitäten kommt“, welche von den Teilnehmer*innen mit Ja oder Nein beantwortet wurden. In der ersten Studie gaben 19,5% der Teilnehmer*innen an, dass Ghosting nach einer Kurzzeitbeziehung akzeptabel ist, während nur 4,7% akzeptierten, so eine Langzeitbeziehung zu beenden.
Wer eine*n (Fast-)Partner*in oder Freund*in ghostet, kann damit die verschiedensten Gefühle bei seinem Gegenüber auslösen. Forscher untersuchten bei Betroffenen Trauer und Wut sowie das Gefühl von Verletzung menschlicher Bedürfnisse wie Zugehörigkeit oder Selbstbewusstsein. Im Prinzip werden Opfer des Ghostings psychisch stark verletzt.
Es stellt sich in unserem digitalen Zeitalter natürlich die Frage, ob das Phänomen des Ghostings erst durch Soziale Medien und den Fortschritt in der Technik in Form von WhatsApp, SMS etc. auftrat. Fakt ist, dass es schon immer Menschen gab, die sich eines Tages dazu entscheiden, ihrem (potentiellen) „significant other“ oder auch einer*m guten Freund*in nicht mehr zu antworten und aus dem Weg zu gehen. Bislang gibt es keine eindeutigen Studien, die ein heutzutage vermehrtes Auftreten des Ghostings dokumentieren und belegen könnten. Dennoch lässt sich sagen, dass, obwohl diese Form des Beziehungsbeendens wahrscheinlich schon lange existiert, der immer weiter fortschreitende Gebrauch von WhatsApp und Co. dafür sorgt, dass diese Strategie des Kontaktabbrechens vermehrt genutzt wird. Das liegt wohl vor allem daran, dass das heutige Kennenlernen oft relativ anonym verläuft: Es werden Nachrichten ausgetauscht, aber nicht unbedingt Adressen. Es ist schwer, jemanden zu ghosten, der weiß, wo man zu finden ist. Es ist viel einfacher, auf anonymem Boden eine Person zu ignorieren, besonders, wenn diese zur Not sogar geblockt werden kann.


Bildquelle: Ira Mick

Autor*in

Ann-Kathrin studiert Deutsch und Anglistik im Master an der CAU. Da sie nicht auf Lehramt studiert, hielt sie es für klug, im Oktober 2017 Teil der ALBRECHT Redaktion zu werden. Von Februar 2018 bis Februar 2019 war sie Leiterin des Ressorts Gesellschaft und übernahm dann bis Januar 2020 den Posten der stellvertretenden Chefredakteurin.

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