Vielseitig, beliebt und aus der Stadt nicht wegzudenken
Es ist voll. Es ist so voll, dass Menschen mit klaustrophobischen Neigungen die gesamte Innenstadt der Landeshauptstadt jeden ersten Sonntag in den Sommermonaten großflächig meiden müssen, um nicht panisch in einer Flut von kaufwütigen Massen unterzugehen. Der Allgemeine Flohmarkt Kiel gehört mittlerweile fest zum Kieler Stadtbild und hat seinen Platz in zahlreichen Kalendern der Nordlichter gefunden.
„Die Flohmärkte werden seit 1978 durchgeführt. Sie starteten damals als kleine Flohmärkte nur auf dem Rathausplatz und sind im Laufe der Zeit bis zu ihrer jetzigen Größe herangewachsen. Heute finden sie auf einer Gesamtfläche von etwa 27 000 Quadratmetern statt“, erklärt Simone Sievers, die im Bürger- und Ordnungsamt Kiel die Flohmärkte betreut und im Vorfeld organisiert. Kiel setzte damals auf einen sehr zeitgemäßen Trend. Nachdem der erste Flohmarkt in seiner heutigen Form 1967 in Hannover stattfand, folgten immer mehr deutsche Städte dem Beispiel und schufen Orte zum Stöbern, Verkaufen, Handeln, Suchen und Finden. Dem Boom in den Siebzigerjahren können die Kieler*innen also danken, wenn sie glücklich und mit vollen Baumwollbüddeln von einem weiteren Flohmarktbesuch heimkehren.
Doch nicht nur Schnäppchenjäger*innen fühlen sich bei einem sonntäglichen Bummel auf dem Rathausplatz wie im Paradies, denn ein Flohmarkt wäre kein Flohmarkt ohne die zahlreichen Kleinhändler*innen, Hobbyhandwerker*innen und Privatpersonen, die ihre Ware anbieten. Bei einer Standgebühr von fünf Euro pro laufenden Meter ist ein Flohmarktstand hier für jedermann erschwinglich. Und so ist natürlich auch das Angebot so bunt wie das Publikum: Neben einem Stand voller Porzellan findet sich ein riesiges Angebot an Legosteinen und ein Tisch, der unter der Last von riesigen Bücherstapeln fast zusammenbricht. Auf dem Boden ausgebreitete, uralte Musikinstrumente liegen neben einem Stand für Lederwaren und hier und da verstecken sich wahre Künstler*innen, die ihre selbstgemachten Werke verkaufen. „Immer wieder haben wir Anfragen von Hobbyhandwerker*innen, die ihre Produkte gerne verkaufen möchten. Diese sind herzlich willkommen als Aussteller*innen“, erklärt Frau Sievers und beschreibt hiermit das große Angebot an selbstgemachten Schlüsselanhängern, Schmuck, Handyhüllen und Dekoartikeln. Einen Vorverkauf oder eine Standanmeldung gibt es für den Allgemeinen Flohmarkt im klassischen Sinne nicht. Mit Kreide können sich Interessierte am Vorabend des Flohmarktes einen Platz markieren, welcher dann bis fünf Uhr am eigentlichen Verkaufstag freigehalten wird. Ansonsten gilt: „Hinkommen, aufbauen und verkaufen.“ Die Standgebühr wird dann an einen der rund 20 Mitarbeiter*innen entrichtet, die auf dem Flohmarkt arbeiten.
Neben den von der Stadt organisierten Flohmärkten in der Innenstadt, an der Hörn und in Gaarden gibt es jedoch noch zahlreiche andere Flohmärkte, die so vielfältig sind, dass wirklich jede*r etwas findet. Von Spezialmärkten für Kinder- und Babyware, dem Musikerflohmarkt, Fahrradflohmarkt oder Perlentaucherflohmarkt der Alten Mu gibt es eine weitere Sparte, die in Kiel sehr erfolgreich ist: Die Rede ist von Flohmärkten speziell für Frauen. Der allgemeine Tenor aus der Gesellschaft sagt diesem Geschlecht seit jeher eine weitaus höhere Kaufkraft zu als den Männern. Deswegen dürfte es wohl kaum verwundern, dass Märkte wie Mädchensachen oder Deernskram organisiert werden. Letzteren haben Vera Stolzenberg und Lisa Stelley ins Leben gerufen und arbeiten seitdem erfolgreich an der Umsetzung und Ausweitung des Konzepts. Die Idee entstand aus der Organisation eines anderen Flohmarktes heraus: „Wir waren beide in Elternzeit und auf der Suche nach einem großen Kindersecondhandmarkt in Lübeck und Umgebung. Da es diesen nicht gab, haben wir ihn kurzerhand selber organisiert. Er wurde von Anfang an gut besucht und, um unsere Ressourcen sinnvoll zu nutzen, haben wir bereits beim zweiten Mal vormittags Zwergenkram und abends Deernskram veranstaltet. Mütter sind bekanntlich auch Frauen, von daher war unsere Zielgruppe bereits vor Ort, wobei Deernskram für alle Mädels und Frauen ab 18 Jahren ist und auch dementsprechend angenommen wurde“, berichten die beiden Gründerinnen, die seitdem ungefähr 20 Wochenstunden in die Organisation der Märkte fließen lassen. Deernskram ist kein Flohmarkt im klassischen Sinne, sondern ein Shoppingevent für Frauen. „Wir bieten die Plattform, Secondhand sowie Handgemachtes zu veräußern, es ist eine ganz besondere Atmosphäre und wir möchten keinen Trödel oder Ähnliches, sondern wirklich nur Dinge rund um die Frau“, erklären Vera und Lisa ihr Konzept. „Ihr findet auf unseren Veranstaltungen immer die Möglichkeit, euch bei einer Stylistin aufstylen zu lassen und vieles mehr.“
Seit 2016 findet Deernskram in der Kieler Sparkassen-Arena statt. Neben den zahlreichen positiven Merkmalen wie Barrierefreiheit und der Möglichkeit, Umkleidekabinen einzurichten, zeigt der Standort jedoch auch Nachteile. „Mein erster Eindruck vom Deernskram-Flohmarkt: Reizüberflutung! Es war laut, heiß und so voll, dass man kaum vom Fleck und ganz bestimmt nicht in die Nähe der Kleiderständer und Verkaufstische kam“, berichtet Studentin Franziska. Doch trotz des bemängelten Platzes war das Feedback überwältigend positiv. Die 23-jährige Johanna kam sogar extra aus Hamburg angereist: „Der Flohmarkt hält, was er verspricht. Von Mädchen, für Mädchen. Es hat Spaß gemacht, mit meinen Freundinnen verschiedenste Teile anzuprobieren, von peinlich bis perfekt war vieles dabei. Ich bin mit meiner Ausbeute sehr zufrieden.“
Ein nächster Deernskram-Flohmarkt befindet sich schon in der Planung: Am 4. November können Frauen wieder ab 18 Uhr in der Sparkassen-Arena feilschen, verkaufen und durch Vintage-Klamotten, Schmuckstände und Kuriositäten stöbern oder genau diese loswerden – wenn sie sich vorher für einen Stand anmelden.
Flohmärkte wie der Deernskram oder der Allgemeine Flohmarkt Kiel bieten Besucher*innen zahlreiche Möglichkeiten eines wertvollen Shoppingerlebnisses, wie es kein Online-Versandhandel je können wird. Neben dem Erwerb von Gegenständen oder dem entspannten Stöbern durch Gegenstände, die eigentlich niemand braucht, ist es vor allem der direkte Kontakt zu den Verkäufer*innen sowie das muntere Feilschen, das Studierende, Familien, Teenager und Senior*innen gleichermaßen anlockt. Und Balsam für unser gutes Gewissen ist ein Flohmarktbesuch allemal: Altem, nützlichem oder einfach nur schönem Trödel kann ein neues Zuhause gegeben werden – und jede*r Käufer*in setzt dabei aktiv ein Zeichen gegen den immer stärker werdenden Trend unserer Wegwerfgesellschaft.
Johanna schreibt seit Anfang 2015 vornehmlich für das Ressort Gesellschaft. Seit Februar 2017 ist sie Chefredakteurin des ALBRECHT. Sie studiert seit dem Wintersemester 2014 Deutsch und Soziologie an der CAU.